# taz.de -- Nach dem Fischsterben im Sommer: „Dinosaurier“ für die Oder | |
> Der Naturschutzbund zeichnet den Fluss als „Umweltsaurerei des Jahres“ | |
> aus. Warschau unternimmt weiter nichts gegen die Salzeinleitungen. | |
Bild: Nur einer von etlichen Toten Fischen: Szene vom deutsch-polnischen Grenzf… | |
WARSCHAU taz | Das wochenlange Fischsterben im deutsch-polnischen | |
Grenzfluss Oder bekommt als größte Umweltkatastrophe 2022 den diesjährigen | |
Negativpreis „Dinosaurier des Jahres“ des Naturschutzbundes Nabu. Polnische | |
Industrieunternehmen, aber auch Gemeinden und sogar der Zoologischen Garten | |
von Wroclaw (Breslau) hatten ihre oft salzhaltigen Abwässer in die Oder | |
geleitet. | |
Dazu kamen Niedrigwasser und eine extreme Sommerhitze, die die | |
Flusstemperatur stellenweise auf rund 27 Grad Celsius steigen ließ – und | |
eine für Fische, Muscheln und andere Flusslebwesen tödliche Blüte der | |
Goldalge auslöste. Diese Alge kommt normalerweise nur in stehendem | |
Brackwasser vor, nicht aber in Fließgewässern. „Wer in diesem Jahr nach der | |
größten Umweltsauerei sucht, hat sofort die Umweltkatastrophe an der Oder | |
vor Augen“, sagte Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger am Dienstag. Besonders | |
ins Gedächtnis gebrannt hätten sich die Bilder der geschätzten 200 bis 400 | |
Tonnen Fischkadaver, die per Hand, aber auch mit Schaufelbaggern aus dem | |
Grenzfluss geholt werden mussten. | |
Die Oder als „Dinosaurier des Jahres“ stehe stellvertretend für die | |
kritische Situation an vielen anderen Flüssen in Deutschland, so Krüger. | |
Nach wie vor würden Flüsse begradigt, ihre Ufer befestigt und ihre | |
Fahrrinnen vertieft, um eine höhere Fließgeschwindigkeit zu erreichen, | |
heißt es in der Begründung des Preises. | |
Die Folge dieser Maßnahmen: es gehen wichtige Lebensräume für Pflanzen und | |
Tiere verloren, die Flüsse selbst verlieren an Widerstandsfähigkeit. Der | |
Nabu fordert daher, alle schädlichen Umwelteinflüsse an deutschen Flüssen | |
sofort zu stoppen. Für die Oder speziell solle zudem ein Moratorium | |
ausgerufen werden, das „sowohl für den Ausbau des Flusses als auch für | |
instandsetzende Unterhaltungsmaßnahmen“ gelten solle. | |
## Kurze Freude der Umweltschützer | |
Da Politiker der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und | |
Gerechtigkeit (PiS) in Polen sich weigern, eine andere als eine „natürliche | |
Ursache“ für das massenhafte Fischsterben anzunehmen, klagten der Nabu, der | |
Deutscher Naturschutzring (DNR), der Bund für Umwelt und Naturschutz sowie | |
das Brandenburger Umweltministerium vor einem Verwaltungsgericht in | |
Warschau. | |
[1][Ein erster Erfolg war der Stopp der Oder-Ausbauarbeiten] am 9. Dezember | |
durch das Gericht, das den Argumenten der Kläger folgte. Doch die Freude | |
der Umweltaktivisten währte nur kurz, denn am 21. Dezember, kurz vor Ende | |
der Widerspruchsfrist legten sowohl die Generaldirektion für Umweltschutz | |
der Republik Polen (GDOŚ) als auch die Behörde für Wasserwirtschaft (Wody | |
Polskie) in Warschau Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung ein. Erst | |
das Gerichtsurteil nach dem Hauptverfahren im nächsten Jahr wird | |
rechtsverbindlich sein. Polens Umweltbehörde hat den Standpunkt, dass der | |
Widerspruch gegen eine einstweilige Verfügung diese aufhebt und als | |
Ergebnis lediglich bleibt, dass es im konkrten Fall Streit über den | |
Oder-Ausbau gibt. | |
„Wir werden unsere Investitionen mit Sicherheit nicht unterbrechen“, | |
kündigt Marek Gróbarczyk, der stellvertretende Infrastrukturminister, an. | |
„Denn es geht um die Sicherheit Polens. Zudem haben wir alle erforderlichen | |
Genehmigungen eingeholt.“ Die neuen Buhnen, in den Fluss hineingebaute | |
kleine Dämme, seien Maßnahmen zum Hochwasserschutz. | |
„Gerade jetzt können wir die Baumaßnahmen nicht unterbrechen, da dies eine | |
Katastrophe nach sich ziehen könnte“, erklärt Gróbarczyk dem PiS-nahen | |
Internet-Portal wPolityce. „Es beginnt die Zeit, in der Eisbrecher | |
gefährliche Eiszusammenballungen lösen mussen“, so der Vizeminister. „Die | |
ersten Eisbrecher sind schließlich schon unterwegs. Wir können von Glück | |
sagen, dass wir zur Zeit ein so mildes Wetter haben, aber die Erfahrung der | |
letzten Jahre hat uns gelehrt, dass wir wahrscheinlich schon bald gegen | |
Eisrückstaus ankämpfen müssen, die Überflutungen auslösen können.“ | |
## Fischsterben droht Wiederholung | |
Mit dem Widerspruch werde die rechtliche Bindung der einstweiligen | |
Verfügung aufgehoben. „Sicherheit ist wichtiger als irgendein richterliches | |
Gutdünken“, so Gróbarczyk. „Dies umso mehr, als wir im Fall des | |
Kohletagebaus Turow schon einmal einen solchen Fall hatten.“ Damals sei es | |
ein europäisches Gericht gewesen, das die Sicherheit Polens so behandelt | |
habe wie jetzt das Verwaltungsgericht in Warschau. | |
Die Umweltschutzverbände und das Land Brandenburg werfen den polnischen | |
Behörden vor, mit dem Abriss der alten Buhnen Sedimentgestein zu lösen, in | |
dem sich über die Jahrzehnte auch Schwermetalle und andere für Fische und | |
Muscheln gefährliche Stoffe festgesetzt hätten. In gelöstem Zustand | |
verhinderten sie die Erholung der Oder und deren Fischbestände nach der | |
Katastrophe vom Sommer. | |
Allerdings warnte inzwischen auch die konservative Tageszeitung | |
Rzeczpospolita vor einer Wiederholung des massenhaften Fischsterbens in der | |
Oder. Die Zeitung bekam Zugang zu einem internen Experten-Bericht, der im | |
Regierungsauftrag erstellt wurde und die bislang vor allem legalen | |
Abwasser-Einleitungen in die Oder als Ursache für die hohe Salzlast im | |
Fluss und den Tod hunderttausender Fische verantwortlich macht. | |
[2][Allerdings haben die zuständigen Behörden bislang keinerlei | |
Gegenmaßnahmen ergriffen]. Im Gegenteil: laut Rzeczpospolita gibt es zur | |
Zeit 751 Genehmigungen für Abwassereinleitungen in die Oder, 70 Prozent | |
davon hätten die Kommunalverwaltungen erteilt, 230 das Amt für | |
Wasserwirtschaft. | |
28 Dec 2022 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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