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# taz.de -- Oder-Konferenz in Frankfurt: Ein Fluss, zwei Welten
> Polen plant einen großflächigen Ausbau der Oder. Umweltschützer sind
> entsetzt: Das Gewässer gehört zu den letzten naturnahen Flüssen in
> Europa.
Bild: Oder-Ufer im brandenburgischen Ratzdorf. Die Flusslandschaft ist unter an…
Frankfurt (Oder) taz | „Es geht nicht darum, die Oder zum Rhein zu machen.
Es geht aber um eine Entlastung von Schiene und Straße.“ Robert
Radzimanowski ist Leiter Regionalpolitik der IHK Ostbrandenburg und sieht
angesichts des jüngsten Berichtes des Weltklimarates IPCC dringenden Bedarf
für mehr Transporte auf den Wasserstraßen. „Binnenschifffahrt ist die
klimafreundlichste Transportart“, erklärte Radzimanowski auf der
Oder-Konferenz, zu der gestern die Bündnisgrünen ins Kleist-Forum nach
Frankfurt (Oder) eingeladen haben. „Ein Großteil unserer Unternehmen
spiegelt uns, wie wichtig eine funktionierende Wasserstraße für ihr
Geschäft ist“.
Die Region entlang der Grenzoder ist eine der strukturschwächsten in
Deutschland. Übrig geblieben sind drei große Arbeitgeber: Die Papierfabrik
Leipa in Schwedt mit 1.700 Mitarbeitern, die dortige PCK-Raffinerie mit
1.200 Jobs und das Stahlwerk ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt mit 2.200
Beschäftigten. Solarfabriken wie Odersun, First Solar oder Conergy in
Frankfurt mit ehedem 5.000 Jobs sind genauso verschwunden wie das
Chemiefaserwerk in Guben (am Oderzufluss Neiße) mit damals 8.000
Beschäftigten oder die Halbleiterindustrie mit ebenso vielen Jobs.
Auf polnischer Seite sind die Werft in Szczecin (Stettin) und der dortige
Hafen mit zusammen etwa 9.000 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber. Vor
allem aber ist die Oder die Verbindung zum Oberschlesischen
Industriegebiet. Polen will den Grenzfluss zum wirtschaftlichen Aufschwung
nutzen: An der Mündung zur Ostsee soll bei Świnoujście (Swinemünde) ein 1,3
Kilometer langes Container-Terminal gebaut werden. Hannah Neumann, grüne
Europaabgeordnete, sagt: „2026, spätestens 2027 wird der Hafen fertig.“
Ausgelegt ist die Anlage für jährlich zwei Millionen Standardcontainer, die
über die Oder ins Landesinnere verschifft werden sollen, und darüber hinaus
bis nach Prag, Budapest oder Belgrad: Polen, Tschechien und die Slowakei
verfolgen ein Kanalprojekt, das die Ostsee mit dem Schwarzen Meer
verbindet, den sogenannten Oder-Donau-Kanal. Dafür soll die Oder ausgebaut
werden.
## „Sportboote, viele seltene Vögel, keine Frachtschiffe“
Für Naturschützer ist das eine Katastrophe, denn die Oder gilt als einer
der letzten naturnahen Flüsse Mitteleuropas. Marta Smigrowska-Mohn vom
Bündnis „Czas na Odre“ (Zeit für die Oder) macht „wirtschaftliches
Interesse und Verflechtungen in die Politik“ für die Ausbaupläne
verantwortlich. Ziel ist, dass die Oder in ihrem unteren Bereich in
mindestens elf Monaten eines Jahres die Wassertiefe von 1,80 Meter
aufweist. Im oberen, polnischen Bereich ist sie bereits durch Staustufen
reguliert.
Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär
Bundeswirtschaftsministerium, sieht dagegen „eine große Chance für
naturnahen Tourismus.“ Im Bundesverkehrswegeplan ist die Oder als
Nebenwasserstraße ausgewiesen, „es gibt Sportboote, viele seltene Vögel,
fast keine Frachtschiffe“. Im Unterlauf liegt der „Nationalpark Unteres
Odertal“, Deutschlands einziger Auennationalpark. Allerdings wurden 2019 in
den Einrichtungen des Nationalparks oder bei den Angeboten von Naturwacht,
Natur- und Kanuführern lediglich 20.000 Besucher gezählt, so wenig wie in
keinem anderen deutschen Nationalpark.
Ein Fluss, zwei Welten: Deutschland hat die Oder als „weitgehend
unverbauten Fluss“ eingestuft, was die Bundesrepublik gemäß
Wasserrahmenrichtlinie der EU verpflichtet, einen „guten ökologischen
Zustand“ wiederherzustellen – also zum Rückbau von Uferbefestigungen,
Steinwällen und anderen Flussbauten, für ein natürliches Ufer. Polen
kategorisierte die Oder hingegen als vom Menschen „erheblich verändertes“
Gewässer und muss deshalb lediglich das „gute ökologische Potenzial“
ausschöpfen – und das definiert sich nur über die Wasserqualität.
## Ausbau geht weiter, trotz fehlender Genehmigung
Ins deutsche Bewusstsein war die Oder im vergangenen Jahr durch Gift im
Wasser und ein beispielloses Fischsterben gedrungen. „Wir konnten sehr,
sehr salzhaltige Einleitungen aus dem Kohlebergbau nachweisen, salziger als
die Ostsee“, erklärte auf der Konferenz Nina Noelle, die bei Greenpeace
Deutschland die Katastrophe untersuchte. Hauptverursacher seien zwei
Konzerne gewesen, die Polska Grupa Górnicza und Jastrzębska Spółka Węglowa.
Doch was hierzulande als Skandal gilt, ist in Polen legal: Die Unternehmen
besitzen eine Genehmigung, die Grubenabwässer einzuleiten.
Keine Genehmigung mehr gibt es für den Ausbau der Oder: Das Oberste
Verwaltungsgericht Polens hatte vor zwei Wochen einen Baustopp verhängt.
„Trotzdem arbeiten die Bagger weiter“, sagt die Landtagsabgeordnete Sarah
Damus aus Frankfurt (Oder). Denn in der polnischen Lesart wird nicht
ausgebaut, sondern Instandgesetzt. „Wie wir wissen, laufen gerade aber auch
auf deutscher Seite Bauvorbereitungen“.
„Verkehrsminister Volker Wissing duckt sich weg“, erklärt Benjamin Raschke,
Fraktionschef in Brandenburg. Denn auch der FDP-Politiker war nach
Frankfurt eingeladen. Raschke: „Wissing sagte ab, um im Herbst eine eigene
Konferenz auszurichten.“
27 Mar 2023
## AUTOREN
Nick Reimer
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