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# taz.de -- Fischsterben in der Oder: Intransparenz und Verharmlosung
> Zu spät und zu spärlich klärte die Regierung in Warschau über die
> Verseuchung der Oder auf. Für das deutsch-polnische Verhältnis ist das
> verheerend.
Bild: Warschau hat sich mit wichtigen Informationen zurückgehalten
Es war schwer zu widerstehen. Als der Berlin–Warschau-Express auf die
Eisenbahnbrücke rollte, die Deutschland mit Polen verbindet, klebten die
Fahrgäste ihre Nasen an die Fenster. Alle suchten das schöne Oderufer
sorgfältig mit den Augen ab und hielten Ausschau nach [1][toten Fischen].
Es war der 12. August, und die Wissenschaftler überschlugen sich mit
Vermutungen, was diesen großen polnischen Fluss vergiftet haben könnte. Bis
heute ist [2][das Rätsel der ökologischen Tragödie] nicht vollständig
gelöst.
Seit zwei Wochen hatten die polnischen Medien an diesem Tag bereits darüber
berichtet. Zunehmend wurde darauf hingewiesen, dass wir es
höchstwahrscheinlich mit einer großen, von Menschen verursachten
Katastrophe zu tun haben. Die Regierung von Mateusz Morawiecki in Warschau
hatte sich jedoch zunächst kaum geäußert. Unser deutscher Nachbar erfuhr
erst 24 Stunden vor der Überfahrt unseres Zugs von der Nachricht von der
„Giftwelle an der Oder“.
Die Quelle des Flusses liegt in der Tschechischen Republik, südlich von
Breslau, und erst dann wendet sich die Oder nach Norden. Sowohl die
polnischen als auch die deutschen Grenzgebiete hätten sich also darauf
vorbereiten können, sie hätten die Giftwelle eindämmen können, aber
Warschau beschloss zu schweigen. Heute ist die Oder an einigen Stellen
praktisch tot. Dutzende von Tonnen toter Fische und anderer Wassertiere
wurden aus dem Wasser gefischt.
Eine eilige Entsorgung wurde vorgenommen, doch die bittere Wahrheit ist,
dass an manchen Stellen nichts mehr von der einstigen Artenvielfalt des
Flusses übrig ist. In dieser dramatischen Angelegenheit spiegelt sich – wie
in der Oberfläche eines Flusses – die aktuelle Politik wider. Erstens geht
es um die Praxis der deutsch-polnischen Nachbarschaft. Theoretisch ist
alles darüber gesagt, und praktisch sind alle möglichen Schritte
unternommen worden.
## Dynamik des Populismus
Von der im Schweiße des Angesichts aufgebauten deutsch-polnischen
Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin zu den letzten Jahren, in
denen die Regierung in Warschau eine dezente antideutsche Propaganda
verbreitete. Jetzt aber hat die Nachbarschaft nicht so funktioniert, wie
sie sollte. Mit der Zurückhaltung wichtiger Informationen hat Warschau so
getan, als ob der westliche Nachbar einfach nicht existierte.
Zweitens geht es um die Dynamik des Populismus. In der ausgezeichneten
Serie „[3][Tschernobyl]“ (2019) unter der Regie von Johan Renck sehen wir
gleich nach der Explosion im berühmten Reaktor IV die gegensätzlichen Ziele
der Figuren in diesem Drama. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die
versuchen, die Wahrheit über die Katastrophe herauszufinden. Auf der
anderen Seite stehen die Behörden, die verhindern wollen, dass
Informationen über das Ausmaß der Explosion bekannt werden.
Die Oder ist nicht Tschernobyl, Polen ist nicht die UdSSR, und 2022 ist
nicht 1986. Trotzdem muss man sagen, dass der politische Mechanismus an
alte Handlungsmuster erinnert. Hier wird, so lange es geht, eine Atmosphäre
der Intransparenz und der Verharmlosung der möglichen Bedrohung
aufrechterhalten.
Und wenn es darum geht, etwas zu sagen, wird die Katastrophe genutzt, um
die [4][Polarisierung und den Parteienstreit] zu vertiefen, und das zu
einem Zeitpunkt, zu dem vernünftige und gut geplante internationale
Maßnahmen am nötigsten wären. Es kann überall zu einer Umweltkatastrophe
kommen – unter jedem Regime. Die entscheidende Frage ist jedoch, was
unternommen wird, um den Schaden zu begrenzen und die Ursache zu finden.
Nun bleibt einzig die Hoffnung, dass wir alle bald wieder die schönen,
bewaldeten Oderufer aus den Fenstern des Berlin–Warschau-Express genießen
können.
20 Aug 2022
## LINKS
[1] /Tonnenweise-tote-Fische-im-Grenzfluss/!5874282
[2] /Umweltkatastrophe-in-der-Oder/!5874447
[3] https://www.youtube.com/watch?v=s9APLXM9Ei8
[4] /Fischsterben-in-der-Oder/!5871745
## AUTOREN
Karolina Wigura
Jaroslaw Kuisz
## TAGS
Polen
Oder (Fluss)
Umweltverschmutzung
Kolumne Fernsicht
Fische
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Oder (Fluss)
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