Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Umweltkatastrophe an der Oder: Der Oderausbau und das Fischsterben
> Noch ist unklar, was die Umweltkatastrophe ausgelöst hat. Doch der Ausbau
> auf polnischer Seite kann dazu beigetragen haben, sagen Umweltschützer.
Bild: Angeblich zum Hochwasserausschutz: Buhnenausbau an der Oder
Berlin taz | Es ist der Tag, an dem Polens Ministerpräsident handelt. Am
Samstagnachmittag entlässt Mateusz Morawiecki wegen der Umweltkatastrophe
in der Oder zwei Spitzenbeamte: den Chef der Wasserbehörde Przemysław Daca
und den Leiter der Umweltbehörde Michał Mistrzak. „Eine solche Situation
war keineswegs vorhersehbar“, schrieb [1][Morawiecki auf Twitter] über das
massenhafte Fischsterben in der Oder. „Aber die Reaktion der
verantwortlichen Behörden hätte schneller erfolgen müssen.“
Am selben Tag hält sich Sascha Maier in Polen auf. In Nietkowice an der
mittleren Oder beobachtet der Referent für Gewässerpolitik des BUND
Bauarbeiten am Oderufer. „Die Bauarbeiten an den Buhnen waren in vollem
Gange“, sagt Maier der taz. Trotz der „Vergiftung der Oder“, wie es der
PiS-Ministerpräsident nennt, gehen die polnischen Arbeiten zum Ausbau der
Oder also weiter.
## Bauarbeiten weit gediehen
Ein klarer Fall von Rechtsbruch, wie es scheint. Tatsächlich hat ein
Verwaltungsgericht in Warschau im Juni die Baugenehmigung für den
[2][Oderausbau auf Eis gelegt]. Doch ganz so einfach ist die rechtliche
Lage nicht. Ein Baustopp wird daraus erst, wenn auch der zuständige
Generaldirektor für Umweltschutz der polnischen Umweltbehörde dem Urteil
zustimmt. Das ist bis heute nicht geschehen, kritisiert die grüne
Abgeordnete im Brandenburger Landtag, Sahra Damus. Sie schließt nicht aus,
dass auch der Ausbau der Oder zum Fischsterben beigetragen hat.
Damus kommt aus Frankfurt (Oder) und erlebt die Umweltkatastrophe vor der
eigenen Haustür. Und sie kennt die Tricks, mit denen die polnischen
Behörden arbeiten. „Gut möglich, dass da weiter auf Verzögerungstaktik
gesetzt wird“, sagt sie am Sonntag der taz. „Dann ist das Jahr rum, und die
Baumaßnahmen sind fertig.“ Wie weit die Modernisierung der Buhnen schon
sei, so Damus, „kann man von Frankfurt aus jeden Tag sehen“.
Einen möglichen Zusammenhang zwischen dem massenhaften Fischsterben und dem
Ausbau der Oder sieht auch Sascha Maier vom BUND. „Vor allem bei
Niedrigwasser ist der Oderausbau ein zusätzlicher Stress für die Fische“,
sagt Maier der taz. „Durch die Bauarbeiten werden Sedimente aufgewirbelt.“
Die Fische, sagt Maier, „waren nicht in einem entspannten Zustand“.
Vor allem Schwermetalle wie Quecksilber lagern in den Sedimenten. Auch wenn
Polen inzwischen Schwermetalle als Ursache ausschließt und auf eine erhöhte
Salzkonzentration hinweist, sehen auch polnische Umweltschützer einen
möglichen Zusammenhang zu den Bauarbeiten. „Verlässliche Daten dazu gibt es
im Moment zwar nicht“, sagt Piotr Nieznański von WWF-Polska zur taz. „Aber
in der Diskussion über die Ursachen des Fischsterbens ist das ein wichtiger
Punkt, der überprüft werden muss.“
Nieznański meint, dass die Bauarbeiten nicht nur die Fähigkeiten des
Flusses zur Selbstreinigung minderten. „Die Modernisierungsarbeiten an den
Buhnen können bei niedrigem Wasserstand und hohen Temperaturen ebenfalls
ein zusätzlicher Fakor sein, der zur Katastrophe beigetragen hat.“
Über einen Zusammenhang zwischen Oderausbau und Fischsterben will die PiS
in Polen aber nicht so gerne diskutieren. Lieber setzt Ministerpräsident
Morawiecki eine Belohnung von 210.000 Euro aus, um die Verantwortlichen zu
finden. Die Rede ist von der Einleitung eines Chemie-Cocktails. Dass das
die Hauptursache des Fischsterben sein könnte, bestreitet auch in
Deutschland keiner.
Das Schweigen hat Gründe. Polens Umweltministerin Anna Moskwa zum Beispiel,
die lange im Urlaub weilte, bevor sie am Wochenende eine bessere
Zusammenarbeit mit ihrer deutschen Kollegin Steffi Lemke versprochen hat,
ist mit Paweł Rusiecki verheiratet. Rusiecki ist der Vizepräsident der
Polnischen Wasserbehörde. Das Internetportal [3][Interia spricht von einer
„Pikanterie“]. Die polnische Opposition hat angedeutet, im Sejm, dem
polnischen Parlament, einen [4][Misstrauensantrag gegen Moskwa] stellen zu
wollen.
Auch zwischen Politik und chemischer Industrie sind die Verbindungen eng.
Vizeinfrastrukturminister ist Marek Gróbarczyk. Der war früher für den
Chemiekonzern Grupa Azoty tätig. Auch Gróbarczyks Verantwortung an der
Katastrophe will die Opposition klären.
Nieznańskis WWF und weitere polnische Umweltorganisationen wie die Fundacja
EkoRozwoju oder EKO-UNIA fordern inzwischen eine Untersuchung. „Das dürfen
keine staatlichen Institutionen übernehmen, das ist Sache unabhängiger
Wissenschaftler“, schrieb [5][Nieznański auf Twitter]. Zur Begründung
erklärte er, dass sich die staatlichen Institutionen in diesem Fall „total
blamiert“ hätten.
Auch auf deutscher Seite werden solche Forderungen nach umfassender
Aufklärung laut. „Aus meiner Sicht brauchen wir jetzt eine internationale
Untersuchungskommission“, sagte Christiane Schröder vom Nabu der Berliner
Zeitung.
Sahra Damus fordert darüber hinaus den Stopp der Bauarbeiten an der Oder.
Dabei bringt sie auch Brüssel ins Spiel. „Die EU-Gelder, die Polen für die
Bauarbeiten bekommt, dienen dem Hochwasserschutz“, erklärt sie. „Doch das
ist nur ein Vorwand, tatsächlich baut Polen die Oder für die
Binnenschifffahrt aus.“ Dafür gebe es aber keine Fördermittel, sagt Damus.
## EU-Kommission beobachtet
Schon zuvor hatte EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius angekündigt,
die Bauarbeiten „sehr aufmerksam zu verfolgen“. Er verwies darauf, dass die
Kommission in Bezug auf die Habitat-Richtlinie von den polnischen Behörden
weder eine Mitteilung noch ein Ersuchen um eine Stellungnahme erhalten
habe. Dies sei jedoch vorgeschrieben.
14 Aug 2022
## LINKS
[1] https://twitter.com/MorawieckiM/status/1558124898110869507
[2] https://www.sahra-damus.de/wordpress/pressemitteilung-einordnung-zum-gestri…
[3] https://wydarzenia.interia.pl/kraj/news-kryzys-w-odrze-wakacje-w-resorcie-a…
[4] https://wydarzenia.interia.pl/kraj/news-opozycja-uderza-w-rzad-w-sprawie-od…
[5] https://twitter.com/OdraRiver/status/1558359790631493633
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
Oder (Fluss)
PiS
Fischsterben
Naturschutz
Oder (Fluss)
Polen
PiS
Oder (Fluss)
Fischsterben
Flüsse
Schwerpunkt Klimawandel
Biodiversität
## ARTIKEL ZUM THEMA
Erneute Alarmzeichen in der Oder: Wieder zu viel Salz im Wasser
Nach dem Fischsterben in dem Grenzfluss im August blieb unklar, woher genau
die tödliche Substanz stammte. Fängt jetzt alles wieder von vorn an?
Fischsterben in der Oder: 282 illegale Einleitungen
Tonnenweise toter Fisch trieb im August in der Oder. Am Donnerstag wird der
Expertenbericht zu den Ursachen veröffentlicht.
Fischsterben in der Oder: Intransparenz und Verharmlosung
Zu spät und zu spärlich klärte die Regierung in Warschau über die
Verseuchung der Oder auf. Für das deutsch-polnische Verhältnis ist das
verheerend.
Fischsterben in der Oder: Das Komplettversagen der PiS
Das System der polnischen Regierungspartei PiS stinkt zum Himmel. Durch die
Oder-Katastrophe zeigt sich, wie unwichtig da die eigene Bevölkerung ist.
Umweltkatastrophe in der Oder: Rätseln über den Fischkiller
Weiter Unklarheit über das Oder-Fischsterben: Eine deutsch-polnische
Taskforce wird eingesetzt und nach 300 möglichen Auslösersubstanzen
gesucht.​
Fischsterben in der Oder: Kopfschütteln am verseuchten Fluss
Unmengen verendeter Fische und Schnecken: Die Oder ist auf Hunderten
Kilometern vergiftet. In Schwedt ärgern sich die Menschen: Alle hätten
gepennt.
Gerichtsurteil in Warschau: An der Oder wird weitergebaggert
Seit Langem gibt es Streit über den Ausbau des Grenzflusses zwischen
Deutschland und Polen. Nun geht er in die nächste Runde.
Flussausbau für den Klimaschutz: Baggern, Normen, Stauen
Binnenschifffahrt gilt als klimafreundlich. Um mehr Verkehr auf deutsche
Flüsse zu bekommen, werden sie umgebaut. Das hat oft einen hohen Preis.
Geplante Odervertiefung im Nationalpark: Baggerpläne bedrohen Artenreichtum
Der deutsch-polnische Grenzfluss soll vertieft werden, um Hochwassser
bekämpfen zu können. Die Maßnahmen könnten zum Gegenteil führen, sagen
Kritiker.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.