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# taz.de -- Geplante Odervertiefung im Nationalpark: Baggerpläne bedrohen Arte…
> Der deutsch-polnische Grenzfluss soll vertieft werden, um Hochwassser
> bekämpfen zu können. Die Maßnahmen könnten zum Gegenteil führen, sagen
> Kritiker.
Bild: Das Untere Odertal ist der einzige Auennationalpark Deutschlands
Criewen taz | Es geht um Aland, Flussneunauge, Rapfen oder Bitterlinge –
äußerst seltene Fischarten. „Bei uns finden sie beste Lebensbedingungen“,
sagt Michael Tautenhahn, der stellvertretende Leiter des Nationalparks
Unteres Odertal.
Es geht um 2 Millionen Jungtiere des Baltischen Störs, die seit dem Jahr
2007 in den Gewässern im nordöstlichen Brandenburg ausgesetzt wurden.
„Unser Wiederansiedlungsprogramm könnte im kommenden Jahr Früchte tragen:
Wir erwarten die ersten Tiere nach ihrer Reise in die Ostsee hier zum
Laichen zurück“, so Tautenhahn. Störe können bis zu 60 Jahre alt werden, in
der Ostsee waren sie ausgestorben.
Und es geht auch um Vogelarten wie den Flussregenpfeifer, Wachtelkönig oder
Seggenrohrsänger. „Von dem gibt es in Deutschland nur noch hier bei uns
Brutkolonien.“ Noch, sagt Tautenhahn: „Wenn Polen seine Pläne zum Ausbau
der Oder umsetzt, dann wird das den Nationalpark Unteres Odertal dauerhaft
schwer beschädigen.“
[1][Die Sorge gibt es schon eine ganze Weile], aber nun könnte es ernst
werden. Angefangen hatte alles nach dem Oderhochwasser 1997 mit der
Weltbank: Polen bekam umfangreiche Mittel für den Hochwasserschutz
bewilligt. Ein Plan war, das verfallene Poldersystem mit den alten
Oderdeichen südlich von Szczecin wieder aufzubauen. Im Zweiten Weltkrieg
waren die Schutzwälle zerstört worden, zwischen West- und Ostoder hatte
sich ein großartiges Feuchtbiotop entwickelt, das nun wieder eingedeicht
werden sollte. „Allerdings konnten die Polen nicht nachweisen, dass neue
Deiche Szczecin tatsächlich besser gegen Hochwasser schützen würden“, sagt
Tautenhahn. Damit waren die Pläne vom Tisch.
## Ökologie kein Ziel
Dachten die Naturschützer. Tatsächlich aber erarbeitete die Bundesanstalt
für Wasserbau in Koblenz 2014 im Auftrag der polnischen und deutschen
Schifffahrtsverwaltungen ein sogenanntes Stromregulierungskonzept für die
Oder. „Eine Verbesserung des ökologischen Potenzials der Grenzoder“, steht
in dem Papier, das der taz vorliegt, sei bei der Erarbeitung „kein
definiertes Ziel“. Die Bundesanstalt solle vielmehr sicherstellen, dass der
in Tschechien entspringende Fluss für die Schifffahrt tiefer wird: Im
unteren Bereich soll er 10 bis 11 Monate im Jahr 1,80 Meter Wassertiefe
haben. Helfen sollen neue Buhnen mit einer „Neigung von 1: 10, beidseitig“,
wie es im Stromregulierungskonzept heißt. Durch dieses Korsett wird der
Fluss schneller fließen und sich so tiefer eingraben.
Naturschützer reagierten entsetzt: Im unteren Odertal gibt es den einzigen
Flussauen-Nationalpark in Deutschland. „Sein Charakter wird durch das
periodische Überschwemmen der Flächen bestimmt“, sagt Carsten Preuß, Chef
des BUND Brandenburg. [2][Der Aufbau des Nationalparks war seit 1994 stets
in Gefahr], immer wieder gab es Konflikte mit den Bauern, die früher die
Flächen nutzten. „Und jetzt, wo der Park endlich etabliert ist, soll ihm
durch die Stromregulierung der Garaus gemacht werden“, so Preuß.
## Kanal statt Fluss
In seinem Büro kramt Vize-Nationalparksleiter Tautenhahn Luftbildaufnahmen
eines Uferstücks auf der polnischen Seite hervor: „Hier wurde schon mal
probehalber gebaut.“ Die Buhnen sind mit einer Art Mauer verbunden, die
Zwischenräume mit Sand verfüllt. „So machst du aus einem lebendigen Fluss
einen genormten Kanal.“
Schon heute gibt es Buhnen an der Oder. „Das derzeitige Buhnensystem ist
aber genau das, was hier zu so einer reichen Artenvielfalt geführt hat“,
sagt der stellvertretende Nationalparkleiter. Wichtig sind
Strömungsdiversität, Tiefenvarianz: „An manchen Stellen sorgen die Buhnen
für eine starke Strömung, tiefe Kolke entstehen“, Strudellöcher, die im
Winter nicht zufrieren. Ohne diese hätten die Fische keinen Raum zum
Überwintern, sagt Tautenhahn. „Die starke Strömung sorgt für
Kiesablagerungen. Kies ist notwendig, damit Fischarten wie der Stör
überhaupt laichen können.“ Andererseits gibt es Schlammbänke mit geringer
Strömung – wichtig für die Kinderstube anderer Arten.
Und das soll jetzt alles verschwinden? Im April bestätigte die polnische
Behörde die Umweltverträglichkeit des Ausbaus, allein auf Höhe des
Nationalparks sollen 65 Buhnen neu gebaut werden. „Wir haben Widerspruch
eingelegt“, erklärt ein Sprecher des Brandenburger Umweltministeriums. Denn
die Prüfung der Umweltverträglichkeit habe nur die kurzfristigen Schäden
untersucht, nicht aber die Langzeitfolgen.
## Dem Auenwald droht die Zerstörung
Gerade die kurzfristigen Folgen hält Tautenhahn für weniger relevant,
obwohl natürlich auch er keine Bagger, Rammen oder Lkw in seinem
Nationalpark sehen möchte. Aber die langfristigen Folgen zerstörten den
Auenwald. „Ziel der Buhnenarbeiten ist, dass sich der Fluss tiefer in sein
Bett gräbt“, sagt der Fischereiingenieur. „Wegen des Klimawandels hatten
wir in den vergangenen Sommern extremes Niedrigwasser.“ Liege der Spiegel
dann wegen des eingegrabenen Flussbetts tiefer, ziehe die Oder das Wasser
aus den Auen ab. Dadurch sinke der Grundwasserpegel „und die Auenlandschaft
fällt trocken“.
Noch gibt es keine Reaktion aus Warschau auf den brandenburgischen
Widerspruch. Experten haben aber bereits eingeräumt, dass man schlechte
Karten habe. Theoretisch könnte Brandenburg bei der EU gegen die polnischen
Pläne klagen. Ob der Bund dies unterstützen würde, ist fraglich:
Verschlechtert die Bundesregierung die deutsch-polnischen Beziehungen wegen
eines Naturschutzgebiets?
19 Nov 2020
## LINKS
[1] /Grenzfluss-Oder/!5610486
[2] /Nationalparkprogramm-der-DDR-Regierung/!5709526
## AUTOREN
Nick Reimer
## TAGS
Biodiversität
Nationalparks
Hochwasserschutz
Oder (Fluss)
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