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# taz.de -- Deutsche Politik attackiert Telegram: Fehlender Zugriff
> Die Politik fordert mehr Härte gegen den Hass im Messengerdienst
> Telegram. Doch die Betreiber reagieren nicht. Nun wird der Druck erhöht.
Bild: Was lässt sich konkret tun, wenn Telegram weiterhin nicht reagiert?
BERLIN taz | Das Schreiben des Bundesamts für Justiz im Frühjahr ging an
die [1][Telegramzentrale in Dubai] – und es war deutlich. Als Anbieterin
eines sozialen Netzwerks in Deutschland sei das Unternehmen nach dem
hiesigen Netzwerkdurchsetzungsgesetz verpflichtet, strafbare Inhalte zu
melden und zu sperren. Dem aber komme Telegram nicht nach. Auch habe das
Unternehmen bis heute keine Zustellungsbevollmächtigten und keinen Meldeweg
benannt – deshalb drohe nun ein Bußgeld in Millionenhöhe.
Eine klare Ansage. Das Problem nur: Telegram soll bis heute nicht darauf
geantwortet haben. Genauso wenig wie auf andere offizielle Anfragen aus
Deutschland.
Das schürt nun zunehmend den Unmut der deutschen Politik. Denn in dem
Messengerdienst tobt derzeit der Hass von Coronaleugnern und
Rechtsextremen. Am Montag schaltete sich nun auch die [2][neue
Bundesinnenministerin Nancy Faeser] (SPD) in die Debatte ein. „Gegen Hetze,
Gewalt und Hass im Netz müssen wir entschlossener vorgehen“, sagte Faeser
der Funke Mediengruppe. Dass Telegram nicht auf das Bundesamt für Justiz
reagiere, „wird diese Bundesregierung so nicht hinnehmen“.
## Innenministerin Faeser fordert Löschungen
Bei dem Dienst gebe es inzwischen öffentliche Gruppen mit bis zu 200.000
Mitgliedern, die dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz unterlägen wie Facebook
oder Twitter, so Faeser. „Das bedeutet, dass offensichtlich strafbare
Inhalte innerhalb von 24 Stunden gelöscht werden müssen, rechtswidrige
Inhalte innerhalb von sieben Tagen.“ Zudem gelte für die öffentlichen
Kanäle die Meldepflicht an das Bundeskriminalamt.
Zuvor hatte auch Neu-Justizminister Marco Buschmann (FDP) betont, dass das
Bundesamt für Justiz „aus gutem Grund“ gegen Telegram vorgehe. Dortige
Morddrohungen und Beschimpfungen wie jüngst wieder aus der
Coronaprotestszene seien „inakzeptabel“.
Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), in dessen
Bundesland [3][die Coronaproteste besonders wieder hochkochen], hat ein
härteres Vorgehen gegen Telegram gefordert. „Es kann nicht länger angehen,
dass die Betreiber von Dubai aus tatenlos zuschauen, wie in ihrem Netzwerk
Morddrohungen verbreitet werden.“
Sein Innenminister Roland Wöller (CDU) übt in der taz ebenso Kritik, dass
Extremisten in den Kanälen „ungestört Hass und Misstrauen säen“ könnten,
während die Strafverfolgungsbehörden diese anhang preisgegebener Daten
„zeit- und ressourcenintensiv identifizieren“ müssten. „Diese Anonymität
und Rechtsfreiheit befeuert unentdeckte Radikalisierungen im Netz.“
Und auch Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sagte am Montag der
taz: „Telegram ist ein Brandbeschleuniger für Radikalisierungen, gerade der
Coronaproteste. Die Gefahr ist sehr groß, dass aus dem Hass dort auch
Gewalt wird. Wir müssen hier dringend handeln.“
## Extreme Kanäle mit gut 100.000 AbonnentInnen
Tatsächlich ist Telegram inzwischen [4][ein zentrales Medium für Hass von
Rechtsextremen und Coronaleugnern] derzeit. Von Beginn an mobilisierten
„Querdenken“-Gruppen oder aktuell die „Freien Sachsen“ dort zu
Demonstrationen. Auch Einpeitscher wie Attila Hildmann oder Oliver Janich
haben oder hatten dort mehr als 100.000 AbonnentInnen. Und nicht nur die
beiden fielen immer wieder mit Gewaltaufrufen auf. Wiederholt kommt es in
den Kanälen zu Bedrohungen bis hin zu Mordaufrufen, werden Feindeslisten
herumgereicht oder gefälschte Impfpässe angeboten. Zuletzt hatte das ZDF
eine Telegramgruppe aufgedeckt, [5][die Mordpläne gegen Kretschmer]
besprach.
Telegram selbst war 2013 in Russland von den Brüdern Pawel und Nikolai
Durow gegründet worden. Ersterer hatte zuvor schon das in Russland populäre
Netzwerk Vkontakte gegründet, er gilt heute als Multimilliardär. Der
37-Jährige trat bewusst mit dem Ziel an, nicht mit staatlichen Behörden zu
kooperieren und Inhalte weitgehend nicht zu moderieren oder zu löschen.
Putins Regierung wollte den Dienst deshalb mehrmals einschränken. Nach
mehreren Umzügen des Entwicklerteams – nach eigener Auskunft auch nach
Berlin – liegt der Firmensitz nun in Dubai. Den würde man aber auch wieder
verlassen, „wenn sich die dortigen Vorschriften ändern sollten“, verkündet
das Unternehmen.
Befragt nach illegalen Inhalten, bietet Telegram seinen Nutzer:innen an,
diese per Mail zu melden. Zugleich wird aber betont, dass die Chats
„Privatsache“ der Schreibenden seien. Man entferne nur Kanäle oder Bots,
die Pornos, Verletzungen von geistigem Eigentum oder terroristische Inhalte
enthielten. Sonst gelte die „Freiheit der Meinungsäußerung“. Tatsächlich
finden Löschungen bei Telegram aber nur höchst selten statt – weshalb sich
der Dienst auch unter deutschen Rechtsextremen weiter Beliebtheit erfreut.
## Politik will Druck auf Telegram erhöhen
Die Frage für die deutsche Politik ist nun: Was lässt sich konkret tun,
wenn Telegram weiterhin nicht reagiert?
In Buschmanns Justizministerium wurde am Montag auf das noch laufende
Bußgeldverfahren gegen Telegram verwiesen. Innenministerin Faeser wiederum
ließ offen, welche konkreten Gegenmaßnahmen ihr vorschweben. Sie werde sich
dazu mit Experten und am Dienstag mit den Chefs der Sicherheitsbehörden
beraten, sagte ein Sprecher.
Mit der Frage beschäftigte sich zuletzt aber bereits die
[6][Innenministerkonferenz]. Diese forderte am Ende eine Prüfung, „wie Hass
und Hetze auf Messengerdiensten konsequent unterbunden und geahndet werden
kann“. Zudem brauche es „gesetzliche Regelungen, die eine eindeutige
Identifizierbarkeit von Straftäterinnen und Straftätern im Internet
ermöglichen“. Thomas Strobl, IMK-Gastgeber und Innenminister von
Baden-Württemberg, nannte das Internet das inzwischen „wichtigste Medium
bei der Verbreitung von Hass und Hetze“. Explizit verwies er auch auf
Telegram, wo es ein „massives Problem“ gebe. „Hier müssen wir dringend
dafür sorgen, dass Hass und Hetze auch dort konsequent und effektiv
unterbunden werden und sich nicht rechtsfreie Räume entwickeln.“
Zuletzt waren sich die Politik aber nicht mal einig, ob es sich bei
Telegram überhaupt um ein soziales Netzwerk handelt – oder nicht doch nur
um einen Messengerdienst, der nicht unter das
[7][Netzwerkdurchsetzungsgesetz] fiele. Eine Sprecherin von Justizminister
Buschmann stellte am Montag aber klar, dass man Telegram auch als soziales
Netzwerk sehe.
Das sieht auch Thüringens Innenminister Maier so. „Es muss jetzt
klargezogen werden, dass Telegram kein reiner Messengerdienst ist, sondern
längst ein Social-Media-Dienst.“ Zudem müsse der Druck auf das Unternehmen
erhöht werden. „Wir müssen die politischen Daumenschrauben gegen Telegram
anziehen, auch über diplomatische Kanäle“, so Maier zur taz. „Es muss klar
werden, dass wir dieses sehr ernste Problem nicht einfach so laufen lassen
werden.“
Auch Sachsens Ministerpräsident Kretschmer baut Druck auf. „Wenn sie ihre
Dienste weiter auf dem deutschen Markt anbieten wollen, müssen sie gegen
diese Hetze vorgehen“, drohte er Anbietern wie Telegram. „Andernfalls muss
die EU, muss die Bundesregierung, müssen Apple und Android die Nutzung
einschränken.“
Sein Innenminister Wöller fordert „dringend bundesrechtliche Lösungen, die
die Freiheit der Meinungsbildung schützen und eine Vergiftung mit Fake News
und Verschwörungsideologien wirksam verhindern“. Anbieter müssten für ihre
Inhalte haften und die Polizei brauche Klarnamen für die Strafverfolgung,
so Wöller zur taz.
Justizminister Buschmann fordert zudem „einheitliche europäische Vorgaben
für soziale Netzwerke“, wie man sie mit dem Digital Services Act plane. Er
wolle sich dazu „konstruktiv“ einbringen.
## Letzte Möglichkeit Geoblocking?
Experten sehen die Politik durchaus in der Pflicht. „Das Beispiel Russland
zeigt, dass Staaten durchaus Handlungsmöglichkeiten haben“, so Miro
Dittrich von Cemas, einer Monitoringstelle für Verschwörungsmythen. Dort
löschte Telegram im September wegen einer drohenden Sperre in den Appstores
mehrere regierungskritische Kanäle. „Die Sperrung ist ein brachialer
Schritt, der mit Blick auf regierungskritische Stimmen in anderen Ländern
durchaus bedenklich ist“, so Dittrich zur taz. „Aber wenn sich ein
Unternehmen partout nicht an geltendes Recht halten will, könnten ihm als
letzter Schritt auch so die Grenzen aufgezeigt werden.“
Im Fall von Attila Hildmann wiederum waren die App-Anbieter von sich aus so
verfahren. Nach öffentlichem Druck hatten Android und Apple Hildmanns
Kanal [8][in der jeweiligen App gesperrt]. Über die Telegram-Webseite war
dieser indes weiter abrufbar.
Dittrich fordert aber auch mehr Engagement der Ermittlungsbehörden.
„Telegram ist mitnichten rein anonym. Die Nutzer hinterlassen dort etliche
Daten oder geben sich auf anderen Portalen zu erkennen. Hier sind
Ermittlungen durchaus möglich und auch viel stärker nötig, wenn es zu
Straftaten kommt. Nur darauf zu verweisen, dass Telegram keine Nutzerdaten
rausrückt, ist eine Ausrede. So arbeitet die Polizei auch in anderen
Bereichen nicht.“
Für Georg Maier könnte ganz am Ende auch eine andere drastische Maßnahme
stehen. „Wenn gar nichts mehr hilft, könnte man Telgram auch geoblocken.“
Mit der Technik werden in bestimmten Regionen Internetinhalte gesperrt.
„Das wäre aber wirklich der allerletzte Schritt, und so weit sind wir noch
nicht.“
13 Dec 2021
## LINKS
[1] /Alternative-Messenger-Dienste/!5743214
[2] /Die-Ampel-Politik-wird-weiblicher/!5818635
[3] /Coronapandemie-in-Sachsen/!5818975
[4] /Corona-Leugnung-auf-Telegram/!5781112
[5] /Coronapandemie-in-Sachsen/!5818975
[6] /Innenminister-gegen-Coronaprotest/!5819264
[7] /Bundestagsanhoerung-zum-NetzDG/!5681206
[8] /Attila-Hildmanns-Telegram-Account/!5775338
## AUTOREN
Konrad Litschko
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