# taz.de -- Verschwörungstheorien unterm Tannenbaum: „Im Zweifel ein Gesprä… | |
> Sonja Marzock von der Beratungsstelle „entschwört“ berät Menschen, deren | |
> Umgebung Verschwörungstheorien rund um Corona anhängt. Tipps zum Fest. | |
Bild: Besinnliche Festtage! | |
taz: Frau Marzock, seit Sommer 2021 beraten Sie im Rahmen [1][des | |
Projekts „entschwört“] Angehörige Verschwörungsgläubiger. Ist bei Ihnen | |
schon die Hölle los oder rechnen Sie mit dem Schlimmsten erst nach | |
Weihnachten? | |
Sonja Marzock: Der Bedarf, den wir wahrnehmen, ist jetzt schon sehr groß. | |
Viele haben Sorgen davor, dass die Familienfeierlichkeiten eskalieren, und | |
fragen sich, wie sie sich auf Weihnachten vorbereiten sollen. Es melden | |
sich etwa erwachsene Kinder, deren Eltern in Rente sind, viel Zeit haben | |
und sich in Verschwörungserzählungen geflüchtet und diese als | |
Bewältigungsstrategie während der Pandemie gewählt haben. Wenn die Familien | |
jetzt zusammenkommen werden die Konflikte noch mal offenbarer werden. Dann | |
können Positionen zum Vorschein kommen, von denen man nicht wusste, dass | |
sie vertreten werden. | |
Welche Rolle spielt die Frage der Impfung? | |
Die Impfthematik verschärft die Konflikte. Es ist schwierig, mit Leuten | |
umzugehen, die glauben, dass alle Geimpften sterben werden. Am Ende muss | |
jeder schauen, wie man für sich und seine Familie ein sicheres Weihnachten | |
gestalten und dafür gemeinsame Regeln aufstellen kann. Etwa, dass sich alle | |
testen oder man sich notfalls auch nur draußen trifft. | |
Wie sollen Angehörige reagieren, wenn unterm Weihnachtsbaum Corona | |
geleugnet oder von der großen Weltverschwörung geschwurbelt wird? | |
Die Frage muss sehr individuell beantwortet werden. Gut ist es, wenn man | |
sich positioniert und Verschwörungserzählungen nicht unwidersprochen lässt, | |
also klar sagt: Ich sehe das anders. Das ist auch wichtig als Signal für | |
andere Familienmitglieder, die selbst nicht so lautstark Position beziehen | |
und dadurch mitbekommen, dass es auch andere Meinungen gibt. Im Zweifel | |
muss ein Gespräch über diese Themen auch einfach beendet werden. Beim | |
Wechsel zu einem anderen Thema kann es hilfreich sein, den Tisch der | |
Diskussionen zu verlassen und einen Spaziergang zu machen. Es können auch | |
Regeln vereinbart werden, wie das Thema ausgespart werden kann. Wichtig | |
ist, vor allem die eigenen Grenzen zu beachten. | |
Sollte man sich vorbereiten und Argumente gegen gängige Verschwörungen | |
parat haben? | |
Ob Argumente noch etwas bringen, hängt davon ab, wie festgefahren der | |
Konflikt ist. Es ist möglich, sich mit Faktenfindern vorzubereiten. Viele | |
tun das auch. Aber wenn Personen schon stark abgedriftet sind, dann wird | |
das nicht mehr gehört. Dann enden Diskussionen schnell in einer | |
Pattsituation. Man sollte davon abkommen, dass man erwachsene Personen von | |
ihrem Standpunkt abbringen kann. Ändern kann man nur sein eigenes Verhalten | |
den Personen gegenüber, wenn man den Kontakt aufrechterhalten möchte. | |
Wie sehr können Verschwörungserzählungen persönliche Beziehungen belasten? | |
Nach anderthalb Jahren Pandemie sehe ich, wie sehr sich Beziehungen und | |
Familien voneinander entfremdet haben. Diskussionen, die sich immer im | |
Kreis drehen, und Angehörige, an die man nicht mehr herankommt, führen zu | |
Frustration, Verzweiflung und Trauer. Viele haben sich aufgerieben, haben | |
selbst in den Telegram-Gruppen mitgelesen und können irgendwann nicht mehr. | |
Zu uns kommen Menschen, die Kontakte schon abgebrochen haben, um noch mal | |
einen anderen Umgang zu suchen, einen Weg, die Beziehung | |
aufrechtzuerhalten, um die eigenen Angehörigen nicht völlig dem | |
verschwörungsideologischen Umfeld zu überlassen. | |
Wieso sind Verschwörungserzählungen mit Corona so sehr im Aufwind? | |
Corona hat für viele einen Kontrollverlust bedeutet: Auf einmal konnte der | |
Alltag nicht mehr so geführt werden wie gewohnt. Damit einher geht ein | |
Ohnmachtsgefühl, nicht mehr steuern zu können, was gerade passiert. Dazu | |
kommen andere persönliche Krisen. Das kann der Verlust des Jobs sein oder | |
allgemeiner das vor allem in Ostdeutschland verbreitete Gefühl, seit Langem | |
ignoriert zu werden. Die Zuwendung zu Verschwörungserzählungen ist eine | |
Bewältigungsstrategie, um Kontrolle zurückzuerlangen. Einfache | |
Welterklärungen werden dankbar angenommen, wenn man sich vieles nicht mehr | |
erklären kann. Die Annahme, dass man die Wahrheit erkannt hat, während alle | |
anderen Schlafschafe sind, hat auch eine identitätsstiftende Funktion. | |
Nun zur Lieblingsfrage aller Verschwörer:innen: Wer profitiert von der | |
Verbreitung dieser Theorien? | |
Zum einen sind das die Verschwörungsgläubigen selber, weil sie sich die | |
Welt damit so gestalten, wie es für sie erträglich ist. In ihrer | |
Vorstellung begeben sie sich damit aus der Opferrolle heraus und kämpfen | |
aktiv um Freiheiten, die ihnen von vermeintlichen mächtigen Eliten genommen | |
wurden. Genau solche Positionen sind aber anschlussfähig an die extreme | |
Rechte, die ihrerseits den Hass auf das Establishment vorantreibt. Die AfD | |
ist ein Profiteur dieser Erzählungen, sie nutzt eine Feindlichkeit gegen | |
Wissenschaft, Medien und Eliten gezielt für ihre Politik. Ökonomisch | |
betrachtet haben einige, die Querdenken vorangetrieben haben, mit der | |
Ausbreitung dieser Erzählungen viel Geld verdient. | |
Als individuellen Spleen sollte man Verschwörungstheorien des Onkels nicht | |
abtun? | |
Nein. Vor allem, wenn sich immer mehr Menschen solchen Erzählungen | |
zuwenden, hat das Auswirkungen auf die Gesellschaft. Im schlimmsten Fall | |
erwachsen daraus Taten. Die meisten Verschwörungserzählungen haben zudem | |
einen antisemitischen Charakter. Die Annahme, dass Juden das Weltgeschehen | |
lenken würden und die wahren Profiteure etwa von Impfungen sind, ist sehr | |
weit verbreitet. Daher ist es aus menschenrechtlicher Perspektive geboten, | |
solche Aussagen zurückzuweisen. | |
23 Dec 2021 | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
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