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# taz.de -- Studie zu politischen Einstellungen: Mehr Schwurbler in Berlin
> Der Berlin-Monitor 2021 zeigt, wie sich Ideologie während der Pandemie
> abgebildet hat: Ein Viertel der Befragten glaubt Verschwörungsnarrativen.
Bild: Ende August stürmten hunderte Querdenker*innen die Stufen vorm Bundestag
Berlin taz | Der Sozialpsychologe Oliver Decker ist sich sicher, dass uns
Verschwörungsideologien noch zu schaffen machen werden: „Infolge von
Radikalisierungen wird es zu mehr Bedrohungslagen kommen. Es gibt eine
starke Mobilisierung in Teilen der Bevölkerung.“ Mit Verweis auf den
offenbar verschwörungsideologisch motivierten [1][tödlichen Anschlag von
Idar-Oberstein] zeigte sich der Professor der Uni Leipzig besorgt. Decker
ist einer der Leiter der Leipziger Mitte-Studien, die seit 2002 jene
demokratiefeindlichen Einstellungen abbilden, die mit den Wahlerfolgen der
AfD so richtig sichtbar wurden.
Am Donnerstag hat er mit dem Soziologen Gert Pickel im Beisein von
Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) und der Leiterin der Landesstelle für
Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung, Eren Ünsal, den zweiten
Berlin-Monitor vorgestellt, der [2][seit 2019 im 2-Jahres-Takt politische
Einstellungen] in Berlin abfragt. Die repräsentative Befragung von 2.051
Berliner*innen zeigt, dass die Hauptstadt mit Blick auf
Rechtsextremismus, Verschwörungsmythen und antischwarzen Rassismus zwar
etwas weltoffener ist als der Rest der Republik – aber auch hier
[3][antidemokratische Einstellungen in besorgniserregendem Ausmaß vorhanden
sind].
So halten zwar 93 Prozent der Befragten die Demokratie für das richtige
politische System und wiederum 73 Prozent sind sogar damit zufrieden; im
Bundesschnitt sind es nur 54 Prozent. Gleichzeitig aber belegt die
Befragung rechtsextreme, rassistische und antisemitische Einstellungen.
Senator Behrendt sah in der Analyse entsprechend „Licht und Schatten“ und
will an den Ergebnissen auch die Antidiskriminierungspolitik ausrichten.
Ein „manifestes Problem“ erkennt er auch im Bereich von
Verschwörungsnarrativen.
Auf diesem Bereich lag neben extrem rechten Einstellungen und antischwarzem
Rassismus diesmal ein besonderer Fokus. Mit erschreckenden Ergebnissen:
Demnach stimmen 21 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass „Politiker
und andere Führungspersönlichkeiten nur Marionetten dahinterstehender
Mächte“ seien – was wiederum Rückschlüsse auf Antisemitismus und weitere
rechtsextreme Einstellungsmuster zulässt. Dass im Bundesdurchschnitt sogar
33 Prozent dieser Aussage zustimmen, beruhigt nicht wirklich.
## „Scharnier des Rechtsextremismus in die Mitte“
19 Prozent der Befragten glaubt zudem, dass die Pandemie großgeredet worden
sei, damit wenige davon profitieren konnten. Ein Drittel meint, dass die
Hintergründe der Pandemie nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen würden;
im Bund sind es hier sogar 47 Prozent. Laut Decker war diese
Verschwörungsmentalität dabei schon vor der Pandemie latent vorhanden,
tritt aber nun bei rund 25 Prozent der Berliner*innen offen zutage und
gefährdet als „Scharnier des Rechtsextremismus in die Mitte der
Gesellschaft“ nachhaltig die Demokratie.
Wie man gegen gegen das verschwörungsideologisch geschlossene Weltbild
vorgehen soll? Schwierig, sagt Decker: „Es gibt Menschen, die glauben
zugleich, dass Lady Di lebt, aber das Königshaus sie umgebracht hat – da
kommen Sie mit einer Argumentation nicht weit.“ Sozialpsychologisch seien
Verschwörungsnarrative eine „autoritäre Reaktion“ auf komplexe
Verhältnisse, die Sicherheit böte, so Decker. Wenn man wisse, wo der Gegner
steht, schaffe das Kontrolle und Orientierung. Wichtig seien deswegen
ständige Aufklärung und konstante Überzeugungsarbeit.
Ünsal, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, sagte, dass man verstärkt
auf Prävention setze: „Wir wollen junge Menschen erreichen, bevor sie das
erste Mal der Gefahr ausgesetzt sind.“ Sie bezeichnete den Berlin-Monitor
als wichtigen Einblick in die Stadtgesellschaft. Die Ergebnisse wolle man
nun mit zivilgesellschaftlichen Initiativen in einer Veranstaltungsreihe
auswerten; schließlich sollen sie in der Anti-Diskriminierungsarbeit
umgesetzt werden.
## Verdeckter antischwarzer Rassismus
Ein weiterer Fokus der Studie lag auf antischwarzem Rassismus. Hier zeigte
sich, dass das Weltbild der Berliner*innen im bundesweiten Vergleich
zwar weniger dieser Art von Rassismus aufweist, er aber dennoch verdeckt
vorhanden ist. So stimmten gleich 47 Prozent der Befragten der scheinbar
positiven Zuschreibung zu, dass „Schwarze Menschen besonders gute Sportler“
seien. Gleichzeitig befürwortete nur der mutmaßlich gefestigte
rechtsextreme Kern von 4 Prozent offenen antischwarzen Rassismus –
bundesweit sind es erschreckende 19 Prozent.
Dass Diskriminierungen in Folge dieser und anderer extrem rechter
Einstellungen ein massives und zugleich übergreifendes Problem sind, legt
auch die gleichzeitig erfolgte Erhebung zu Diskriminerungserfahrungen nahe.
Danach haben 42 Prozent der Berliner*innen bereits solche Erfahrungen
gemacht, die meisten davon auf der Arbeit oder im Umgang mit Behörden.
Zugleich wünschten sich in der Befragung 23 Prozent eine „einzige starke
Partei, die die Volksgemeinschaft verkörpert“.
Für Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus ergibt
sich aus dem Berlin-Monitor 2021 ein gemischtes Bild: Es sei positiv, dass
Berliner zu über 90 Prozent Demokratie als das politische System sähen, das
am besten zu unserer Gesellschaft passe. Aber auch, wenn die meisten
Zustimmungswerte zu rechtsextremen Einstellungen unter dem
Bundesdurchschnitt lägen, „lässt sich nicht mehr gänzlich von einem
Minderheitenphänomen sprechen, wie es der Berlin-Monitor 2019 noch tat“, so
Klose. Darauf deute auch die hohe Frequenz von Anfragen bei der Mobilen
Beratung hin.
Ähnlich schätzt Klose die Lage bezüglich zu Verschwörungsideologien ein:
„Wir können mit Blick auf den erhöhten Beratungsbedarf bestätigen, dass
Verschwörungserzählungen die unterschiedlichsten Menschen anziehen – über
das gesamte politische Spektrum hinweg.“ Die Strahlkraft von
Verschwörungserzählungen und deren Eindämmung müsse als
gesamtgesellschaftliche Aufgabe begriffen werden.
25 Nov 2021
## LINKS
[1] /Toedlicher-Schuss-in-Idar-Oberstein/!5797982
[2] /Erster-Berlin-Monitor/!5617388
[3] https://www.berlin.de/sen/justva/presse/pressemitteilungen/2021/pressemitte…
## AUTOREN
Gareth Joswig
## TAGS
Verschwörungsmythen und Corona
Rechtsextremismus
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