# taz.de -- Corona-Leugnung auf Telegram: Der digitale Strippenzieher | |
> Frank Schreibmüller hat den Online-Kaninchenbau einer | |
> verschwörungsideologischen Bewegung gegraben, die immer mehr nach rechts | |
> driftet. Ein analoger Ortsbesuch. | |
Frank der Reisende sieht eher nach Couch-Potato als nach Abenteurer aus. In | |
Trainingsjacke, Jeans und Crocs steht der hagere 37-Jährige in der Tür | |
eines Einfamilienhauses in einem Dorf nahe Wien und bittet herein. Ein | |
kurzer Flur, eine Tür: Hier befindet sich das „Backoffice“ der | |
Coronaprotestbewegung. So nennt Frank – der mit Nachnamen Schreibmüller | |
heißt, sich aber stets als „der Reisende“ vorstellt – den Schreibtisch m… | |
den vier Monitoren darauf. | |
Was aussieht wie der Spielplatz eines Gamers, ist in Wirklichkeit der Ort, | |
an dem der Mann mit dem Messengerdienst Telegram einen virtuellen | |
Kaninchenbau angelegt hat. Ein Labyrinth aus Chatgruppen und Kanälen, die | |
durch Links miteinander verbunden sind. Schreibmüller gilt als der | |
Strippenzieher von Tausenden Gruppen. Die taz hat ihn am Pfingstwochenende | |
getroffen, als er digital die Stellung hielt, während seine | |
Mitstreiter*innen nach Berlin reisten, um dort gegen die vermeintliche | |
„Coronadiktatur“ zu protestieren. | |
Schreibmüller setzt sich in einen abgenutzten Sessel. Er ist in dem Haus | |
nur zu Besuch, schon seit Oktober 2020. Sein „Gastgeber“ ist der | |
Unternehmer Alexander Ehrlich, ein Promi der österreichischen | |
Coronaprotestszene, der im Sommer 2020 Hygienedemos anmeldete und Busreisen | |
organisierte. Durch die Jalousien des Wohnzimmers fällt fahles Sonnenlicht, | |
das sich in Schreibmüllers Haarspange spiegelt. An seinem Handgelenk trägt | |
er ein gelbes Latexarmband mit den Buchstaben WWG1WGA. Sie stehen für | |
„Where we go one, we go all“. Es ist der Slogan der rechtsextremen | |
QAnon-Verschwörungsbewegung, deren Mitglieder die Überzeugung teilen, eine | |
satanistische Elite entführe Kinder und trinke deren Blut. | |
## Der Kaninchenbau wächst und wächst | |
Auf drei Bildschirmen vor ihm sind Telegram-Fenster geöffnet, auf dem | |
vierten laufen Livestreams der Demonstration in Berlin. Die Bilder zeigen | |
Menschengruppen ohne Maske, die mit kleinen Rucksäcken und Protestplakaten | |
durch den Berliner Tiergarten laufen. Der Streamingdienst, den die | |
Demo-Streamer vorsichtshalber nutzen, heißt D-Live. „Weil sie auf Youtube | |
schon so oft zensiert wurden“, erklärt Schreibmüller. „Zensur“ ist eine | |
wichtige Vokabel in seiner Welt. Auf Telegram gebe es die nicht, ist er | |
überzeugt. | |
Dass die Coronaprotestbewegung zuweilen Tausende Menschen mobilisiert, ist | |
zu einem großen Teil auf Schreibmüllers Aktivitäten auf Telegram | |
zurückzuführen, sagen Beobachter*innen der Bewegung. Zu Beginn der | |
Pandemie spricht sich schnell herum, was Schreibmüller auf Telegram alles | |
kann. [1][Michael Ballweg], der Stuttgarter „Querdenken“-Initiator, lädt | |
ihn nach Baden-Württemberg ein, um sich schulen zu lassen. Unentgeltlich, | |
sagt Schreibmüller, er finanziere sich über Spenden, arbeite gegen Kost und | |
Logis. | |
In den folgenden Monaten wird der Kaninchenbau stetig wachsen. | |
Schreibmüller legt Kanal um Kanal und Gruppe um Gruppe an, schafft die | |
Infrastruktur für Initiativen wie „Honk for Hope“, deren Kanäle bald | |
Tausende Abonnent*innen haben. Andere Gruppen, mit denen Schreibmüller | |
laut dem Recherchekollektiv Anonleaks.net verbunden ist, tragen Namen wie | |
„Die BRD ist kein Staat!“, „Maskeradefrei“, „PatriotischeSingles“ o… | |
„[2][Freiheit für Haverbeck!]“, eine 92-jährige Aktivistin der | |
Neonazi-Szene, die immer wieder die Shoah leugnet. | |
Das Bundeskriminalamt stellte 2021 fest, dass Telegram „erfahrungsgemäß | |
nicht kooperativ“ sei, extremistische Inhalte würden nicht gelöscht. Die | |
App zählt hierzulande nach jüngsten Zahlen vom Juli 2019 rund 7,8 Millionen | |
Nutzer*innen, wobei diese Zahl seither deutlich gestiegen sein dürfte. Laut | |
dem Extremismusforscher Josef Holnburger vom Berliner ThinkTank Center für | |
Monitoring, Analyse und Strategie ([3][CeMAS]) sind die fünf größten | |
deutschen Telegram-Kanäle der verschwörungsideologischen Szene zuzuordnen. | |
Das erst im April gegründete CeMAS dokumentiert verschwörungsideologische | |
Gruppen und Kanäle aus der Corona-Protestszene auf Telegram, die bis zu | |
170.000 Abonnent*innen haben. Davon können die meisten Tageszeitungen | |
heute nur noch träumen. Die erfolgreichsten Telegram-Nachrichten der Szene | |
erreichen bis zu 400.000 Views, schätzt das CeMAS. Allerdings seien Views | |
kein sicherer Indikator für individuelle User*innen. Insgesamt dürfte die | |
Zahl der Anhänger*innen in verschwörungsideologischen deutschen | |
Telegram-Kanälen bei rund 200.000 liegen. | |
„Bewegungen starten in der Regel auf den allgemeinen | |
Social-Media-Plattformen wie Youtube, Facebook, Twitter oder Instagram, wo | |
sie die breite Öffentlichkeit populistisch ansprechen können“, sagt | |
Holnburgers Kollege Jan Rathje. Dort werde für die Telegram-Kanäle Werbung | |
gemacht. „Diese dienen als Radikalisierungsort.“ | |
Dort sei viel weniger mit Widerspruch zu rechnen. „Hier festigen Gruppen | |
sich selbst“, sagt Rathje. „Man postet sich unwidersprochen nur noch | |
Untergangsnachrichten und ruft sich gegenseitig auf, endlich etwas zu tun. | |
So machen etwa Akteure, die in den Bereich des offenen Antisemitismus | |
abgedriftet sind, Aufrufe für den vermeintlichen letzten Kampf.“ Auf | |
Telegram könne man „ohne Probleme auf hardcore antisemitische Inhalte | |
zugreifen“. | |
„Es werden nur Infos rausgehauen, die sich wechselseitig aufeinander | |
beziehen“, sagt Rathje. „Es gibt viele Nachrichten, die so nur auf Telegram | |
zirkulieren, es ist eine Plattform, auf der sich das | |
verschwörungsideologische Milieu untereinander vernetzen und Propaganda | |
völlig ohne Hindernisse verbreiten kann.“ Nutzer wie Attila Hildmann – ein | |
Exkochbuchautor, der unter anderem wegen Volksverhetzung per Haftbefehl | |
gesucht wird – könnten offen den Nationalsozialismus verherrlichen. „Auf | |
Telegram überhaupt kein Problem“, sagt Rathje. „Telegram dient so als | |
Radikalisierungsnetzwerk, vor allen Dingen zur Kommunikation untereinander. | |
Mit dem Blick auf die eigene Community, mit Botschaften, die sich an diese | |
richten und zu gemeinsamen Aktionen aufrufen.“ | |
Schreibmüllers Arbeit beweist, dass Telegram nicht nur Messenger, sondern | |
auch ein soziales Netzwerk ist. Auch beim Aufbau der Initiative „D-Day 2.0“ | |
hat er geholfen, einer dezentral organisierten Gruppe, die Anfang Januar | |
2021 zu bundesweiten Corona-Aktionen aufrief. Auch ein [4][Anschlag auf | |
eine ICE-Strecke] wurde mutmaßlich von einem D-Day-2.0-Anhänger verübt, wie | |
eine taz-Recherche vom März zeigt. | |
Schreibmüller sagt dazu nur, so etwas sei nicht in seinem Sinne, aber er | |
könne ja nicht alles überblicken und schließlich sei jeder für sich selbst | |
verantwortlich. Wenn die Regierung „alles verbietet“, bleibe den Menschen | |
ja nichts anderes übrig. | |
In Berlin regnet es nun, wie der Livestream zeigt: Funktionsjacken, bunte | |
Regenschirme, lange Gesichter. Warum ist Schreibmüller hier und nicht dort? | |
Seitdem die Proteste in Straßenschlachten endeten, bleibe er ihnen fern, | |
sagt er. Zu viel „schlechte Energie“, da habe er selbst als „Lichtarbeite… | |
keine Chance, gegen anzukommen. Aber das „Österreichteam“ und all die | |
anderen in Deutschland ließen sich davon nicht abschrecken. Ein bisschen | |
wie auswendig gelernt schiebt er nach: „Wenn nicht wir, wer dann?!“ und | |
„Wer schweigt, stimmt zu.“ | |
## Weltbild mit großen Fragezeichen | |
Schreibmüller, in Leipzig geboren, lebte einige Jahre in Thüringen, wo er | |
mit seiner Mutter eine Gaststätte an einer Mühle betrieb, bis ihnen | |
„klargemacht“ worden sei, dass sie dort „nicht erwünscht“ seien und die | |
Mühle zwangsversteigert wurde. Seit etwa zwei Jahren sieht er sich als | |
„Reisender und Aussteiger“. Er sei immer dort, wo Hilfe benötigt werde, das | |
sei seine Berufung. Als ausgebildeter EDV-Techniker mache er sich vor allem | |
mit der Telegram-Infrastruktur nützlich. 2018 hat er ein Netzwerk für den | |
deutschen Ableger der französischen Gelbwesten erschaffen. Seit der | |
Pandemie habe er kaum mehr Zeit für etwas anderes, manchmal sitze er bis | |
drei oder vier Uhr nachts noch vor dem Computer und manage mit neun | |
verschiedenen Accounts all die Kanäle der Szene. | |
Schreibmüller wirkt wie ein verträumter Enddreißiger, der ein | |
zurückgezogenes, spirituelles Leben führt und aktuell Corona-Aktivist*innen | |
unterstützt, weil man sich in ihrer Gemeinschaft so aufgehoben fühlt, wie | |
er sagt. Doch er steckt selbst tief drin im verschwörungsideologischen | |
Kaninchenbau der Anti-Corona-Bewegung, den er maßgeblich mit erschaffen | |
hat. So behauptet er, die Grundrechte seien „ausgeschaltet“ worden. Warum? | |
„Um die Mehrheit besser handeln zu können.“ Von wem? Plötzlich weicht er | |
aus, rutscht im Sessel hin und her, schweigt fast eine halbe Minute. Da | |
gebe es „viel Spielraum für Spekulation“, antwortet er schließlich. Er | |
wolle sein Weltbild niemandem aufdrängen, die Reporterin solle „die | |
Puzzleteile“ lieber selbst zusammensuchen, „um die Wahrheit zu erkennen“. | |
Sein Weltbild lässt Fragen offen. Vor einigen Jahren stellte er eine | |
Webseite für „Deutsche Patrioten“ online, wo er auch „Patriotische Grupp… | |
bei Telegram“, darunter einen „WiderstandChat“ bewirbt. Was bedeutet | |
Patriotismus für ihn? „Aufbruch, etwas Neues erschaffen“, sagt | |
Schreibmüller. Wieder wird er nervös, schaut zu Boden. Beschämt fügt er | |
hinzu, er habe erst kürzlich gelernt, dass das Wort eigentlich etwas ganz | |
anderes bedeute. Auf die Frage, warum er 2019 bei einem Fackelmarsch der | |
rechtsextremen Partei III. Weg mitgelaufen sei, wie Bilder belegen, | |
behauptet er, er habe sich nur wegen der Fackeln dem Zug angeschlossen, | |
„wegen des Lichts“. | |
Schreibmüller sagt, er stelle nur das Werkzeug zur Verfügung. Sein Ziel sei | |
es, Gemeinschaft zu ermöglichen, mehr nicht. Er lehnt sich in seinem Sessel | |
zurück. Der Stream zeigt, wie Protestierende in Berlin eine Polonaise über | |
eine Wiese tanzen. | |
## Meinungsfreiheit oder Gefahr für die Demokratie? | |
Warum spielt sich all das vor allem auf Telegram ab? Auf diese Frage gibt | |
es mehrere Antworten. So bietet die 2013 von den russischen Brüdern Nikolai | |
und Pawel Durow gegründete App Funktionen, die der bisher verbreitetste | |
Messengerdienst Whatsapp nicht hat, zum Beispiel Gruppen mit bis zu 200.000 | |
Mitgliedern und Kanäle mit unbegrenzten Abonnent*innen, also einer größeren | |
Reichweite. Eine Moderation findet allenfalls durch Administratoren, statt, | |
die ihre eigenen Regeln aufstellen. Das Melden von Fehlinformationen oder | |
extremistischen Inhalten hat nur selten Folgen. | |
Was für die einen das Grundrecht auf private Kommunikation und Garant für | |
die Meinungsfreiheit ist, gilt anderen als Bedrohung für die Demokratie. Es | |
ist der Streit um die Frage, wie viel Freiheit im Netz eine Gesellschaft | |
verträgt. Pawel Durow, der bekanntere der beiden Telegram-Gründer, sagte | |
2015, wer Messengerdienste einschränke, um demokratiegefährdende Kräfte | |
einzudämmen, könne genau so gut „die Sprache abschaffen“. Telegram geriet | |
in dem Jahr in die Kritik, als bekannt wurde, dass sich die islamistischen | |
Attentäter des Anschlags in Paris über diese App organisiert hatten. | |
Auch das Bundesministerium für Gesundheit betreibt auf Telegram einen | |
Corona-Infokanal, der allen Nutzer*innen nach Installation der App | |
automatisch vorgeschlagen wird. Für Schreibmüller ist das blanker Hohn: | |
„Die verteufeln da ständig Telegram und betreiben selbst den größten | |
Kanal!“ Angesichts Abertausender Kanäle, auf denen im Sekundentakt | |
Falschinformationen geteilt und teilweise von sogenannten Bots, also | |
programmierten Robotern, automatisch weiterverbreitet werden, wirkt der | |
Ministeriums-Infokanal wie ein Akt der Verzweiflung. Eine schwache | |
Kampfansage gegenüber Pawel Durow, der seinen Dienst von Dubai aus betreibt | |
und dabei – das ist entscheidend – nicht unter das | |
Netzwerkdurchsetzungsgesetz fällt. | |
Laut diesem müssen Anbieter sozialer Netzwerke, nicht aber Messengerdienste | |
wie Telegram, „offensichtlich rechtswidrige Inhalte innerhalb von 24 | |
Stunden“ nach Eingang sperren oder löschen. Deshalb gehen Youtube, Facebook | |
und Twitter heute tatsächlich rigoroser gegen Falschinformationen vor. Die | |
Folge aber ist eine Abwanderung zu anderen Diensten, die nicht unter das | |
Gesetz fallen. Die Filterblasen können ihre Vernetzungskraft so im | |
Verborgenen entfalten. Obendrein fühlt sich die Szene in dem Glauben | |
bestätigt, sie würde von einer „mächtigen, zensurwütigen Elite“ verfolg… | |
die andere Meinungen und abweichende Haltungen unterdrücken wolle. | |
Damit die Gemeinschaft gemeinschaftlich bleibt, muss Schreibmüller den | |
Kaninchenbau gelegentlich aufräumen. Oder er lässt aufräumen. | |
„Beleidigungen, Belästigung, pornografische Inhalte, Spam – das hat dort | |
alles nichts zu suchen“, sagt er. Schreibmüller hat sich einen Gehilfen an | |
seine Seite geholt – einen Bot, kurz für Robot, für den er monatlich 100 | |
Euro zahlt. Der Bot mit dem Namen „Telegram Föderation“ erkennt, wenn | |
unliebsame User*innen einen Kanal oder eine Gruppe betreten und schmeißt | |
sie raus. „Wie ein Türsteher“, sagt Schreibmüller. | |
Es gibt aber auch Bots, die mehr können. Sie erkennen Gegenrede, die am | |
jeweiligen Weltbild der Gruppe kratzt, und löschen kritische Beiträge. Sie | |
sind die Putzerfische im Desinformationsmeer, die die Filterblase frei von | |
Fakten oder ungewollten Meinungen halten. Auch Schreibmüller soll den | |
Recherchen von T-Online zufolge solch einen Bot durch seinen Bau gejagt | |
haben. Der taz gegenüber sagt er, den „Alexis“ habe er wieder abgegeben. | |
## Community ohne Widerspruch | |
Der Forscher Jan Rathje vom CeMAS glaubt, dass es der Bots gar nicht mehr | |
bedürfe. „Die Gruppen zielen immer auf eine Community ohne Widerspruch ab“, | |
sagt er. „Widerspruch wird immer gleich als Hochverrat oder als vom | |
Geheimdienst gesteuerte Operation gesehen. Es heißt sofort ‚False Flag‘, | |
‚Agent Provocateur‘ oder ähnliches.“ Verschwörungsideolog*innen | |
würden jeden Widerspruch sofort „niederreden, als Verschwörung werten oder | |
die Leute werden rausgeschmissen.“ | |
Und so wächst der Hass in den Kanälen. Das zeigt auch eine Analyse der | |
[5][Süddeutschen Zeitung] vom Mai 2021. Fast ein Fünftel der | |
Telegram-Nachrichten aus knapp tausend Kanälen der Coronaprotestbewegung | |
beinhalteten demnach verschwörungsideologische, rassistische oder | |
extremistische Inhalte oder Drohungen. Fast eine Million Nachrichten hatten | |
einen verschwörungsideologischen oder demagogischen Kern. | |
„Bei den großen Social-Media-Plattformen hat sich ein Bewusstsein gebildet, | |
dass verschwörungsideologische Inhalte problematisch sind“, sagt Rathje. | |
Dies zeigte sich etwa im Umgang mit QAnon, gegen dessen Anhänger*innen | |
etwa Facebook zuletzt rigoros vorging. So geschah es auch etwa mit dem | |
Youtube-Kanal der Stuttgarter „Querdenken“-Gründer. Deren Kanäle mit | |
zuletzt immerhin rund 75.000 Abonnent*innen sperrte Youtube im Mai. | |
„Bei Telegram wird nicht gehandelt“, sagt Rathje. Deshalb habe Telegram | |
immer dann eine sehr wichtige Funktion, wenn | |
Verschwörungsideolog*innen auf den großen Plattformen gesperrt | |
werden. „Dann weichen sie auf Telegram aus. Das ist ein Rückzugsort für | |
Personen und Gruppen, die deplatformt werden.“ | |
## Mit einem Klick im Kaninchenbau | |
Menschen, die einmal einen Fuß im Kaninchenbau haben, finden selten einfach | |
so wieder raus, sagen Expert*innen für Verschwörungsglauben. Zu sehr | |
erschüttere es ihr Selbstbild, gestünden sie sich ein, dass sie einem | |
Irrglauben erlegen sind. Problematisch ist deshalb, dass Telegram sich kaum | |
mehr von Angeboten im Darknet unterscheidet – aber keine ähnliche | |
Hemmschwelle für „normale“ Internetnutzer*innen hat. | |
So verirren sich auch Menschen im virtuellen Kaninchenbau, die sich | |
eigentlich nur zur nächsten Demo verabreden wollten, die in eine Gruppe mit | |
dem Namen „Eltern für Aufklärung und Freiheit“ eintraten und sich nach ein | |
paar Klicks in der Gruppe „Gerechtigkeit für das Vaterland“ wiederfanden. | |
Wo nicht mehr nur über eine vermeintliche Schädlichkeit von PCR-Tests | |
diskutiert, sondern gefälschte Impfausweise und Maskenatteste verkauft oder | |
Hitler-Reden geteilt und mit Kuss- und Herz-Emojis versehen werden. | |
Der Medienwissenschaftler Tilman Baumgärtl sieht die Bewegung zwar bereits | |
ihrem Ende nah. Aber die mediale Infrastruktur – das Vermächtnis von Frank | |
Schreibmüller also – bleibe, [6][schreibt er in der taz]. So könne sie etwa | |
bei umstrittenen Debatten wieder reaktiviert werden. | |
Schreibmüller sieht müde aus. In Berlin scheint die Stimmung gekippt zu | |
sein. Das Bild eines Livestreams ist eingefroren, der zweite zeigt, wie ein | |
Polizist einen Mann mit Hut abführt. Der dritte Streamer filmt andere | |
Streamer beim Streamen. Die Straßenschlachten werden am Ende ausbleiben. | |
Für „Frank den Reisenden“ spielt das keine Rolle. Er hat ja seinen | |
Kaninchenbau. Und der nächste große Auftritt folgt gewiss. Wenn am 1. | |
August Coronaleugner zur großen Demo nach Berlin rufen, wird Schreibmüller | |
wohl wieder vor seinen vier Bildschirmen die Stellung halten. | |
Hinweis der Redaktion: Das Interview mit Jan Rathje wurde geführt, bevor | |
Google und Apple Attila Hildmanns Kanal auf der Telegram-App in ihren | |
Stores gesperrt haben. | |
Die Recherche entstand im [7][Rechercheverbund Europe’s Far Right] und | |
wurde mit Mitteln des „Investigative Journalism for Europe“-Programms | |
gefördert. | |
13 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Koepfe-der-Corona-Relativierer/!5681132 | |
[2] https://anonleaks.net/2021/optinfoil/frank-der-reisende-das-leben-eines-tel… | |
[3] https://cemas.io/ | |
[4] /Radikalisierung-einer-Bewegung/!5763377 | |
[5] https://www.sueddeutsche.de/digital/steckbriefe-akteure-telegram-1.5278290 | |
[6] /Ende-der-Querdenker-Bewegung/!5777010 | |
[7] /Schwerpunkt-Europes-Far-Right/!t5544159 | |
## AUTOREN | |
Nora Belghaus | |
Christian Jakob | |
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Lesestück Recherche und Reportage | |
Verschwörungsmythen und Corona | |
Rechtsextremismus | |
Schwerpunkt Europe's Far Right | |
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