# taz.de -- Propaganda in sozialen Netzwerken: Die Scharia beginnt auf Instagram | |
> Islamistische Propaganda in sozialen Netzwerken ist nicht leicht zu | |
> erkennen. Der Verfassungsschutz warnt vor neuen Gruppen. | |
Bild: Protestierender vor dem Brandenburger Tor in Berlin | |
Es sind oft die [1][unterschwelligen Dinge], die am gefährlichsten sein | |
können. Der kürzlich veröffentlichte Bundesverfassungsschutzbericht zählt | |
13.425 Propagandadelikte im vergangenen Jahr – ein stagnierender Wert. Aber | |
wie kann das sein? Gerade beim Islamismus könnte man zu anderen | |
Schlussfolgerungen kommen. Enthauptungen und Kämpfe sind mittlerweile | |
seltener im Internet zu finden. Kurz nachdem der sogenannte Islamische | |
Staat 2014 seine Feldzüge begann, wurde das Internet überschwemmt mit | |
solchen Videos. Wer wollte, konnte live miterleben, wie Geiseln erschossen | |
wurden. | |
Das alles sollte dafür sorgen, dass noch mehr Fanatisierte für den IS in | |
den Kampf ziehen. Youtube, Facebook und Co haben daraufhin einiges | |
unternommen, um das zu verhindern. Beschwerdestrukturen wurden vereinfacht | |
und – auch auf politischen Druck – mehr Kontrollen eingeführt. | |
Islamistische Propaganda ist in vielen westlichen Staaten verboten. | |
Aber eine andere Art der Propaganda dominiert im Moment die sozialen | |
Netzwerke. Eine Form, die, wie manche Wissenschaftler:innen das | |
nennen, mit der „Wolf im Schafspelz“-Methode vorgeht. Es geht um | |
nichtgewaltverherrlichende Propaganda. | |
Seiten wie Muslim Interaktiv, Realität Islam oder Generation Islam stehen | |
beim Verfassungsschutz im Verdacht, auf diese Art islamistische | |
Propaganda zu verbreiten. Diese neuartigen Gruppen haben Zehntausende | |
Follower:innen auf verschiedenen Social-Media-Seiten, wo sie sich nach | |
Selbstauskunft „gegen Islamfeindlichkeit“ einsetzen. | |
## Nährboden für Radikalisierung | |
Der Hamburger Verfassungsschutz allerdings warnt: Diese Gruppen besäßen | |
eine Nähe zur islamistischen Hizb ut-Tahrir (HuT), gegen die es seit 2003 | |
ein Betätigungsverbot in Deutschland gibt. Die HuT wolle durch diese | |
Ablegergruppen um Mitglieder werben und ihre Ideologien verbreiten. Das | |
sagt auch der Bundesverfassungsschutz: „Im Rekrutierungsprozess nehmen sie | |
eine wesentliche Rolle ein und bereiten damit einen Nährboden für die | |
Radikalisierung junger Muslime.“ | |
Die HuT hat sich zum Ziel gesetzt, die Scharia einzuführen, also einen | |
Staat, der unter „Gottes Regeln“ steht. Ein Kalif soll die Auslegung dieser | |
Regeln interpretieren und so regieren. Der Bundesverfassungsschutz sieht | |
eine „klare Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ durch | |
die HuT. | |
„Bei der Propaganda geht es in erster Linie darum, die eigene Ideologie zu | |
verbreiten. Propagandist:innen wollen das Meinungsklima beeinflussen | |
und grundlegend die Gesellschaft ändern“, erklärt Bernd Zywietz, Leiter des | |
Fachbereichs Politischer Extremismus bei der Organisation jugendschutz.net. | |
Und weiter: „Islamisten und Islamistinnen inszenieren sich als Autorität | |
oder geben sich bewusst jugendlich. Man will ein Gemeinschaftserleben | |
schaffen.“ | |
Zywietz selbst forscht schon seit vielen Jahren dazu. „Propaganda muss eher | |
als eine rhetorische Form gesehen werden, die in einzelnen Postings mal | |
mehr und mal weniger stark ausgeprägt ist. Wichtig ist, die Seiten in den | |
Netzwerken immer in Gänze zu betrachten“, erklärt er. Doch verboten sind | |
Muslim Interaktiv, Realität Islam und Generation Islam nicht. Die | |
Abgrenzung zwischen verbotener Propaganda und noch ertragbarem Aktivismus | |
sei nicht immer ganz einfach. Genau das nutzen solche Gruppen. | |
„Wir sprechen von einem legalistischen Islamismus. Die Beteiligten | |
operieren noch gerade so im gesetzlichen Rahmen, dass die staatlichen | |
Behörden nicht eingreifen können. Die Mitglieder haben gelernt, dass es | |
nichts bringt, wenn ihre Inhalte überall gelöscht werden“, sagt | |
Extremismusforscher Moussa Al-Hassan Diaw. | |
Beispiel Muslim Interaktiv (MI). Die Gruppe hat ihre Social-Media-Seiten | |
überwiegend im März 2020 gegründet. Sie postet regelmäßig Fotos und Videos, | |
die hochwertig produziert sind, reißerische Musik haben oder emotionale | |
Bilder zeigen. Gruppenmitglieder stechen mit Messern symbolisch auf Plakate | |
ein, auf denen die Namen muslimischer Opfer rechtsradikaler Anschläge | |
stehen. | |
In den Postings erklären sie, dass Staaten wie Frankreich und Deutschland | |
den Islamhass verstärken und nicht dagegen vorgehen. Der amerikanische | |
Präsident Joe Biden wird kurz nach seiner Amtseinführung mit den Worten | |
„Same Terror, Different Face“ begrüßt. Auf einer Demo gegen die Politik d… | |
österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz wird dieser mehrfach mit | |
Hitler verglichen. Angriffe auf Muslim:innen würden nicht verhindert | |
werden und seien ohnehin eine Folge des „Assimilationszwangs“, der in den | |
Staaten herrsche. Gleichzeitig müssten sich alle Muslim:innen | |
zusammentun, um für ein gutes Leben in diesen Ländern zu kämpfen. | |
## Feindbild-Erstellung zeugt von Propaganda | |
Auch den Medien wird immer wieder vorgeworfen, sie würden den Hass der | |
Gesellschaft auf den Islam vorantreiben, indem sie falsch berichteten. „Sie | |
instrumentalisieren bestimmte Themen zur Darstellung einer vermeintlich | |
[2][fortwährenden Ablehnungshaltung] der Politik und Gesellschaft in | |
Deutschland gegenüber der gesamten muslimischen Community“, heißt es vom | |
Verfassungsschutz aus Hamburg, wo auch die meisten Gründer der Gruppe | |
leben. | |
Laut Expert:innen der Extremismusforschung sind die Erstellung eines | |
Feindbilds und das Opfernarrativ deutliche Anzeichen dafür, dass es sich um | |
Propaganda handeln könnte. MI will ein klares Weltbild zeichnen: Die | |
Muslim:innen auf der einen Seite, die Ungläubigen auf der anderen. Sie | |
wollen sich abgrenzen gegen den bösen Gegner. | |
Und noch weitere Punkte kommen dazu. Bei Twitter schreibt Muslim | |
Interaktiv: „One State. #ReturnTheKhilafah.“ Es geht also nicht nur um eine | |
Solidarisierung unter Muslim:innen, sondern um eine konkrete Forderung: die | |
Errichtung eines Kalifats. | |
Dazu wird in einem Video der „Wunsch, unter einer gemeinsamen Flagge zu | |
leben“, ergänzt oder bei Telegram der Hashtag „#EineUmmahEinStaat“ | |
verwendet. Die Ummah fasst die Gemeinschaft der muslimischen Gläubigen | |
zusammen. | |
Fraglich ist, inwiefern das mit dem Ziel zusammenpasst, ein gemeinsames | |
Zusammenleben mit nichtmuslimischen Mitbürger:innen in westlichen | |
Staaten zu ermöglichen. „Mit ihrer Propaganda schüren diese und ähnliche | |
Gruppierungen Ängste und Misstrauen gegenüber der Rechtsstaatlichkeit und | |
erzeugen eine ablehnende Haltung zur freiheitlichen demokratischen | |
Grundordnung“, schreibt der Bundesverfassungsschutz auf Anfrage der taz. | |
## Coronapandemie wird umgedeutet | |
Das ist der entscheidende Punkt, sagt Diaw: „Islamistische Gruppen haben | |
dieselbe Ideologie und das gleiche Ziel. Der einzige Unterschied zu | |
verbotenen Gruppen ist hier die Methode, wie das erreicht werden soll.“ Nur | |
weil die Ideologie nicht so offensichtlich sei, ist sie nicht automatisch | |
harmloser. | |
Auch das Coronavirus ist in der islamistischen Propaganda in sozialen | |
Netzwerken ein wichtiges Thema. Forschende des Projekts RISE vom Institut | |
für Medienpädagogik in München haben mehrere Youtube-Videos von | |
islamistischen Gruppen ausgewertet, zu denen Muslim Interaktiv allerdings | |
nicht gehörte. Islamist:innen sagen laut der Studie voraus, dass die | |
Pandemie erst enden wird, wenn sich alle richtig verhalten, wobei sich | |
„richtig“ auf ihre Ideologie bezieht. Außerdem wird das Virus in manchen | |
Videos als Beweis für die Macht von Allah gesehen. Deshalb solle man sich | |
vor Gott mit seinem Glauben bewähren. MI nutzt eine ähnliche Rhetorik in | |
ihren Videos, bei Nachrichten auf Telegram und Instagram. Sie urteilt, dass | |
das System der Demokratie in solchen Krisen „scheitere“. | |
Fakt ist, dass MI immer mehr Aufmerksamkeit generiert – und das nicht nur | |
in den sozialen Medien. Bei mehreren Demonstrationen in Hamburg und Berlin | |
zeigte sich die Gruppe vermummt und in einheitlicher Kleidung. Rund 100 | |
Männer in schwarzen Pullovern, mit Mundschutz und dunklen Hosen in Reih und | |
Glied vor dem Brandenburger Tor. Zuletzt riefen Teilnehmende laut | |
Medienberichten antisemitische Parolen auf einer angemeldeten | |
Pro-Palästina-Demonstration in Hamburg. Dort trugen einige vier Särge durch | |
Straßen, um zu demonstrieren, dass der muslimische Glaube von der | |
Mehrheitsgesellschaft unterdrückt wird. | |
Zu einem Statement waren die drei angesprochenen Gruppen nicht bereit. | |
Realität Islam und MI knüpften ein mögliches Interview an die Bedingung, | |
dass sie den fertigen Text als erstes lesen dürften und erst dann | |
entscheiden, ob sie ihn mitsamt ihren Zitaten freigeben wollten. Unter | |
diesen Bedingungen haben wir wie in solchen Fällen üblich auf ein Gespräch | |
verzichtet. Generation Islam meldete sich auf die Anfragen der taz nicht. | |
Und doch: Ist diese Art der Propaganda schon zu viel, oder fällt das alles | |
noch unter die Meinungsfreiheit? Auch wenn vieles dafür spricht und die | |
Verfassungsschutzbehörden die Gruppen im Auge behalten, kann noch kein | |
eindeutiges, abschließendes Resultat beschieden werden. | |
Das sei auch bei Muslim Interaktiv, Generation Islam und Realität Islam | |
eine Diskussion, die die Politik immer wieder abwägen müsse, sagt | |
Propagandaforscher Zywietz. Unabhängig davon plädiert er dafür, stärker | |
präventiv zu arbeiten. „Ich lasse mich nicht so leicht von extremistischen | |
Ideologien überrumpeln, wenn ich sie überhaupt erkenne und einordnen kann. | |
Dafür muss es aber viel mehr Medienkompetenz geben. Gerade Kinder und | |
Jugendliche müssen erst noch lernen, Inhalte kritisch zu hinterfragen und | |
sind deshalb leichte Opfer für Extremistinnen und Extremisten“, warnt | |
Zywietz. | |
Eine Idee könnte sein, dass in der Schule mehr über Medien und deren | |
Inhalte gesprochen wird: Medienkompetenz. | |
14 Jul 2021 | |
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