| # taz.de -- Radikalisierung einer Bewegung: Der Staat als Endgegner | |
| > Teile der sogenannten Corona-Protestbewegung sind längst gewaltbereit. | |
| > Hat ein Mann aus Franken einen Anschlag auf eine ICE-Strecke verübt? | |
| Bild: Gefahr auf der Schiene: Ein Plakat mitten auf einer Trasse, die auch von … | |
| Für Ronny Sauer beginnt der 6. Januar 2021 ganz normal. Es ist ein | |
| Mittwoch, der Dreikönigstag ist hier im bayerischen Unterfranken ein | |
| Feiertag. Sauer plant eine Radtour mit seiner Frau. Er weiß nicht, dass für | |
| über 10.000 Menschen in Deutschland dieser Tag der sogenannte „D-Day 2.0“ | |
| ist: ein Aktionstag, dessen Name auf die Landung der Alliierten in der | |
| Normandie am 6. Juni 1944 anspielt, den Tag also, an dem aus militärischer | |
| Sicht der Anfang vom Ende des Zweiten Weltkriegs begann. Die „D-Day | |
| 2.0“-Aktivist*innen glauben, sich 2021 ebenfalls befreien zu müssen – von | |
| einer vermeintlichen „Coronadiktatur“, einer angeblich von „der Elite“ | |
| gesteuerten „Plandemie“. Ihre Protestmittel: Autokorsos, Plakate, mit | |
| „Wacht auf!“-Botschaften versehene Geldscheine. | |
| Ronny Sauer und seine Frau werden an diesem Tag Zeug*innen der vermutlich | |
| folgenreichsten Aktion des „D-Day 2.0“. Einer Aktion, die Menschenleben | |
| gefährdet. Auf dem letzten Kilometer ihrer Radtour, zwischen den Dörfern | |
| Waigolshausen und Gemünden, stoppen sie in der Dämmerung die Räder. Neben | |
| dem Radweg, mitten auf den Gleisen, einer zu der Zeit auch von ICEs | |
| genutzten Trasse, steht ein wackelig gezimmerter Rahmen aus Holzlatten, | |
| etwa ein Meter fünfzig hoch. Darauf ist ein weißes Tuch gespannt, in | |
| signalroter Farbe steht darauf geschrieben: „Diesesmal FAKE“. Eine | |
| Botschaft? Eine Drohung? Ein Verweis auf ein nächstes Mal? | |
| Ronny Sauer steigt in das Gleisbett und macht ein Foto. Er baut das | |
| Hindernis ab, fährt nach Hause und ruft bei der örtlichen Polizeiwache an. | |
| Zehn Minuten später bekommt er einen Anruf von der Bundespolizei, ob er | |
| noch mal zum Fundort kommen könne, erzählt er im März der taz. Die Polizei | |
| ist im Großeinsatz. Das Plakat, das Sauer gefunden hat, war nicht das | |
| einzige. Ein paar Kilometer weiter fährt ein ICE in ein ähnliches | |
| Hindernis. Der Zugführer leitet eine Notbremsung ein, der Triebwagen wird | |
| beschädigt, Bahnpersonal und Reisende bleiben unverletzt. Wegen der | |
| Botschaften auf den Plakaten, die zusammengenommen womöglich einen Satz | |
| ergeben, halten die Ermittler*innen die Tat für politisch motiviert. | |
| Eine Sonderkommission wird einberufen, der Tatbestand: „Gefährlicher | |
| Eingriff in den Schienenverkehr“. | |
| ## Länderübergreifend radikal | |
| Seit Wochen haben sich Angehörige der Corona-Protestbewegung auf Telegram | |
| auf ihren „D-Day 2.0“ vorbereitet, in lokalen Gruppen vernetzt, Aktionen | |
| geplant und Stimmung mit NS-Vergleichen und Verschwörungserzählungen | |
| gemacht. „Waltraud xxx“ schreibt: „Bedenkt immer wieder: Wir müssen | |
| aufpassen, dass wir, ja wie soll ich uns nennen, die ‚Erwachten‘ nicht in | |
| Krieg mit den ‚Noch-Nicht-Erwachten‘ treten, das ist ja genau, was die da | |
| oben wollen.“ | |
| Diese Radikalisierung der Proteste gegen die Coronapolitik findet auch | |
| außerhalb Deutschlands statt: In Österreich nannte Gesundheitsminister | |
| Rudolf Anschober von den Grünen bei seinem Rücktritt am Dienstag vor einer | |
| Woche neben gesundheitlichen Problemen auch die Bedrohung durch | |
| Coronaleugner als einen Grund, weshalb er sich aus der Politik zurückziehe. | |
| Seit vergangenem November stand er wegen Morddrohungen unter Polizeischutz. | |
| Für ihn war seit dem Herbst „spürbar, dass die Aggressivität zugenommen hat | |
| von einem kleinen Bereich der Coronaleugner“, sagte Anschober bei seinem | |
| Rücktritt. | |
| Die zunehmende Aggressivität der Coronaleugner zeigt sich in der | |
| österreichischen Bundeshauptstadt Wien auch im öffentlichen Raum. Das | |
| Wien-Museum zeigte auf Bauzäunen am Karlsplatz im Zentrum der Stadt eine | |
| Ausstellung mit Porträts von 18 Personen mit Maske, die in kurzen Texten zu | |
| den Bildern beschreiben, wie sie die Zeit des ersten Lockdowns im Frühjahr | |
| 2020 erlebt hatten. „Wir haben schon damit gerechnet, dass es hie und da | |
| Beschmierungen geben wird, aber das ist völlig eskaliert“, sagt | |
| Ausstellungskurator Peter Stuiber. „Die Anti-Corona-Demonstranten, die sich | |
| regelmäßig am Karlsplatz trafen, fühlten sich davon total provoziert.“ Nach | |
| jeder Demo war die Ausstellung völlig zerstört. „Plandemic“ war auf die | |
| Bilder geschmiert, „und dazu Hakenkreuze, George-Soros-Beschimpfung und was | |
| es sonst noch alles an Antisemitismus und Weltverschwörung gibt“. | |
| In der Schweiz kündigten Angehörige der Protestbewegung im Dezember an, | |
| nach einer Demonstration in die Notfallstation des Universitätsspitals | |
| Zürich (USP) einzudringen. Sie wollten dort „nachsehen“, wie viele | |
| Covid-19-Patient*innen dort „tatsächlich“ liegen. Zuvor hatten | |
| Chefärzt*innen des USP vor einer Überlastung der Krankenhäuser durch | |
| Covid-Patient*innen gewarnt. Das Krankenhaus musste seine | |
| Sicherheitsmaßnahmen verstärken, die Aktion fand letztlich nicht statt. | |
| ## Die Spur führt in die Protestbewegung | |
| In Unterfranken bestärkt schließlich ein Hinweis aus der Bevölkerung die | |
| Soko „Werntal“ in ihrem Verdacht: Die Spur führt in die | |
| Corona-Protestbewegung und zu einem 36-Jährigen, der sich im Mai 2020 auf | |
| einer Demonstration dem Publikum noch als besorgter Familienvater | |
| vorstellte, als jemand, der „nur aufklären“ wolle, wie ein Youtube-Video | |
| von der Demo zeigt. Der Mann, den die Soko „Werntal“ ins Visier nimmt, | |
| heißt in diesem Text Johann Fischer. Seine Identität soll wegen der | |
| laufenden Ermittlungen hier geheim bleiben. | |
| An einem Mittwoch Ende März unterhält sich Fischer mit einem Kumpel an | |
| einer Straßenecke, wenige Meter von seinem Wohnhaus in Unterfranken | |
| entfernt. In dem Ort, in dem Fischer mit seiner Frau und den drei Kindern | |
| lebt, hängen an den gelb blühenden Forsythien zwei Wochen vor Ostern bunte | |
| Plastikeier in aufgeräumten Vorgärten. Im Dorf hat sich herumgesprochen, | |
| dass eine Reporterin ihn sucht. Als Fischer sie sieht, richtet er sich | |
| abrupt auf, Brust raus, Beine breit, stemmt die Arme in die Hüften und | |
| poltert: „Was wollen Sie von mir?“ Fischer ist ein unauffälliger Mann, der | |
| gern Minigolf und Fußball spielt, wie das Internet verrät. Er bestreitet | |
| gegenüber der taz, etwas mit dem Plakat auf den Gleisen zu tun zu haben. | |
| Sein Alibi aber möchte er nicht offenlegen, auf Anraten seiner Anwältin. | |
| Die sei eine „Anwältin für Aufklärung“. Dabei handelt es sich um einen | |
| Zusammenschluss von Jurist*innen, die vermeintlich vom „System“ verfolgten | |
| Aktivist*innen der Coronaleugner-Bewegung mit Rat oder Rechtsbeistand | |
| zur Seite zu stehen. Fischer sagt: „Es ist immer gut, gut vernetzt zu sein. | |
| Wir haben für jedes Problem jemanden, der sich auskennt, und alle helfen | |
| einander.“ Mit „wir“ meint Fischer die Bewegung. Jedem „wir“ verleiht… | |
| Nachdruck. Auch als er sagt: „Wir lehnen Gewalt grundsätzlich ab.“ Und | |
| tatsächlich wirkt er zunächst wie ein harmloser Familienvater, vielleicht | |
| einer, der glaubt, Teil eines politischen Frühlings zu sein. Fischer hat | |
| einen Mittelschulabschluss gemacht, dann folgte ein Job in der | |
| Beschwerdeabteilung der Telekom, danach ein Job als Kundenbetreuer im | |
| Sanitätshaus. 2012 nimmt er eine Anstellung an, die seinem Leben eine neue | |
| Wendung zu geben scheint. | |
| ## Ein stolzer Reichsbürger? | |
| Fischer wird Teil des Vertriebsteams eines international operierenden | |
| Coaching-Unternehmens, das nun in Deutschland den Markt erobern will. In | |
| Motivationsseminaren mit Namen wie „National Achievers Congress“ oder | |
| „Millionaire Mind Intensive“ predigen Geschäftsmänner aus den USA ihre | |
| Lehren vom Erfolgreichsein und Reichwerden. Fischer erzählt, er habe diese | |
| Männer bewundert. Und auch im Team habe man sich viel über „die großen | |
| Fragen des Lebens“ ausgetauscht. | |
| Dort lernt Fischer auch die Weltanschauung jener kennen, die glauben, | |
| Deutschland sei kein souveräner Staat, erinnert er sich. Personen also, die | |
| der Verfassungsschutz der [1][rechtsextremistischen Gruppe sogenannter | |
| Reichsbürger] und Selbstverwalter zuordnet. Stolz zeigt Fischer auf sein | |
| „Sankt-Georgs-Band“, das er an seine Jacke geheftet hat. Eine | |
| schwarz-orange gestreifte Stoffschleife, mit der in Russland an den Sieg im | |
| Zweiten Weltkrieg erinnert wird. In Deutschland wiederum bringen | |
| Reichsbürger mit dem Symbol ihre Verehrung Russlands als einziger Retter | |
| des vermeintlich nicht legitimen deutschen Staats zum Ausdruck. | |
| Der Politologe Jan Rathje schreibt in einem Buch über das | |
| Reichsbürger-Milieu im Jahr 2017, dass „sich über die Jahre auch außerhalb | |
| des organisierten extrem rechten Teils des Milieus die Bereitschaft | |
| entwickelt hat, [2][auf terroristische Gewalt zurückzugreifen]“. Lange sei | |
| die Szene wegen ihrer skurrilen Aktionen wie zum Beispiel der Abschottung | |
| in eigene „Königreiche“ in der öffentlichen Wahrnehmung als eine Art | |
| Realsatire verkannt worden. Dabei wohne dem „Wahn des bedrohten Deutschen“, | |
| dem die Anhänger*innen der Reichsbürger-Verschwörungsideologie | |
| verfielen, ein antisemitischer Mythos der „jüdischen Weltverschwörung“ | |
| inne. Auf die Frage, ob sich Fischer als Reichsbürger sehe, sagt er: „Wenn | |
| die Definition eines Reichsbürgers ist, dass er die Souveränität des | |
| deutschen Staats nicht anerkennt, dann ja.“ | |
| ## Längst keine Einzelfälle mehr | |
| Als die Pandemie kommt, wird Fischer zunächst in die Kurzarbeit gezwungen. | |
| Er war von der Coaching-Branche in die Telekommunikation gewechselt, hatte | |
| ein paar Jahre eine kleine Filiale eines Franchise-Mobilfunkfachgeschäfts | |
| betrieben. Ende 2020 wird Fischer dann – aus betrieblichen Gründen, wie er | |
| sagt – gekündigt. Der Protestbewegung schließt er sich bereits im April | |
| 2020 an, organisiert fortan kleine Demos in seinem Wohnort oder in der | |
| nächstgrößeren Kreisstadt, spricht auf Kundgebungen, mal vor fünf, mal vor | |
| 50 Leuten. Dort sagt Fischer: „Ich bin ein normaler Bürger, so wie ihr | |
| auch.“ | |
| Dass die aus der Pandemie geborene Protestbewegung immer radikaler wird, | |
| macht nicht nur der Vorfall mit dem ICE deutlich. [3][Eine taz-Recherche | |
| vom März] zeigt, dass bei der wachsenden Zahl der Delikte, die die | |
| Sicherheitsbehörden zählen, nicht mehr von Einzelfällen gesprochen werden | |
| kann. Kaum hatte die Bewegung nach dem Winter die Demo-Saison | |
| wiedereröffnet, kam es im März in Dresden und Kassel zu gewaltsamen | |
| Zusammenstößen mit der Polizei, die allein in Dresden 915 Platzverweise | |
| verhängt und 47 Straftaten sowie zwölf verletzte Polizist*innen zählt. | |
| Seit Kurzem werden in Hamburg und Berlin einzelne Gruppen der Bewegung vom | |
| jeweiligen Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft. | |
| Seit März führt das bayerische Landesamt die Beobachtung unter der | |
| Kategorie „Sicherheitsgefährdende demokratiefeindliche Bestrebungen“. | |
| Baden-Württemberg stufte „Querdenken -711“ bereits im Dezember als | |
| Beobachtungsobjekt ein. Der Initiative „D-Day 2.0“ sagt die Behörde auf | |
| seiner Webseite mit seinen „neuen Protestformen“ eine „extremistische | |
| Einflussnahme auf das Corona-Protestgeschehen“ nach. Am 15. April sagte | |
| Bundesinnenminister Horst Seehofer in Berlin, er rechne damit, dass die | |
| Bewegung zukünftig bundesweit [4][zum Beobachtungsobjekt erklärt werde]. Es | |
| ergebe keinen Sinn, „wenn wir nach jeder Entgleisung feststellen, es darf | |
| sich nicht wiederholen, und es wiederholt sich dann doch“, sagte Seehofer | |
| über die jüngsten Protestkundgebungen. | |
| ## In Chatgruppen wird der Holocaust geleugnet | |
| In Fischers Wohnort erzähle man sich derweil auf dem Fußballplatz und im | |
| Gemeinderat Dinge, die ein anderes Bild zeichneten als das des friedlichen | |
| Familienvaters Johann Fischer, sagt Peter Hoffmann. Auch er heißt | |
| eigentlich anders. Weil Hoffmann Sorge hat, aufgehetzte Anhänger*innen | |
| der Coronabewegung könnten ihn bedrohen, möchte er anonym bleiben. | |
| Hoffmann, 51 Jahre alt, ist Pfleger und beobachtet die Szene in seiner | |
| Stadt seit der Kundgebung, auf der Fischer sprach. Er erinnere sich an den | |
| heute 36-Jährigen aus ihrer gemeinsamen Zeit im Fußballverein. Da sei | |
| Fischer vor ein paar Jahren aufgefallen, weil er auf Facebook immer wieder | |
| Spieler aus einem anderen Verein verunglimpft habe, erzählt Hoffmann der | |
| taz. Sie seien von „der Antifa verseucht“, habe Fischer behauptet. Für | |
| Hoffmann ist Fischer jemand, der „beim kleinsten Funken Feuer fängt“. | |
| Hoffmann und zwei Lokaljournalist*innen, die die Corona-Protestszene in | |
| Unterfranken beobachten, gehen davon aus, dass Fischer 2020 eine | |
| Telegramgruppe mit dem Namen „Corona Rebellen“ eröffnet hat. Dafür sprich… | |
| dass die Posts des Gruppeninhabers teils identisch mit den Posts von | |
| Fischer auf seinem Facebook-Profil sind, das er mit Klarnamen führt. Auch | |
| dass der Gruppeninhaber in Sprachnachrichten von seinem Job in einem | |
| Handyladen spricht, macht Fischer verdächtig. Es ist eine Filiale des | |
| Unternehmens, bei dem auch er angestellt war, bis er seinen Job verlor. | |
| 200 Mitglieder zählt die Telegramgruppe Anfang Januar 2021, als eine Userin | |
| darin offen den Holocaust leugnet und von „erstunkenen und erlogenen | |
| Geschichtsbüchern“ schreibt, wie Screenshots belegen. Der Inhaber der | |
| Gruppe reagiert weder mit Widerspruch noch mit einem Rauswurf der Userin. | |
| Bis zum 12. Februar bleibt die Gruppe bestehen, kurz vor der Löschung hat | |
| sie noch 180 Mitglieder. | |
| ## „Widerstand“ und „Endgame“ | |
| Schon vor der Pandemie wähnte sich Fischer „im Widerstand“ gegen „das | |
| System“, wie sein Post von 2016 auf einer Facebook-Seite der Bundeswehr | |
| zeigt. Dort schreibt er, es werde Zeit, dass auch deutsche Soldaten | |
| Widerstand leisteten – „und zwar öffentlich! Wir brauchen EUCH! Steht auf | |
| der richtigen Seite!!!“. | |
| Kurz vor Weihnachten 2020 postet Fischer auf seinem Profil einen | |
| dramaturgisch durchdachten Abschiedsbrief: Erst bleibt er vage, schreibt | |
| von „nicht widerlegbaren Zeichen“. Dann holt er aus: „Es ist so weit, dav… | |
| bin ich 100% überzeugt“, „Der DS {‚Deep State‘} wird fallen, oder aber… | |
| werden fallen! It is the ENDGAME!“. Was im „Untergrund“ geplant werde, | |
| stehe unmittelbar bevor, es werde „Verluste“ geben, „ABER: Wir werden | |
| Siegen!“, „Ich sage nur: Tick, Tack … Tick, Tack“, „Frohe Weihnachten… | |
| Johann“. | |
| Es ist die Zeit, in der User*innen mit Namen wie „Widerstand | |
| #MörderMerkel“ in der bayerischen „D-Day 2.0“-Gruppe die Corona-Impfung … | |
| Josef Mengeles NS-Euthanasieverbrechen vergleichen. Auch Fischer ist Teil | |
| der „D-Day 2.0“-Initiative, wie er der taz erzählt. Täglich telefoniere er | |
| mit deren Kopf Markus Lowien. Ein Mann, der fast täglich in selbst | |
| gedrehten Handyvideos Verschwörungserzählungen in die unzähligen | |
| Telegramgruppen der Bewegung spült und dabei vom „Fall dieses kranken | |
| Systems“ träumt. Stets mit dem Hinweis: Wer seinen Aktivismus unterstützen | |
| will, [5][möge via Paypal spenden]. Auch Lowien trägt wie stets die | |
| schwarz-orange Reichsbürger-Schleife. | |
| Knapp zwei Wochen nach Fischers Facebook-Statement ist der große Tag | |
| gekommen, der „D-Day 2.0“ am Dreikönigstag. Die größte geplante Aktion in | |
| Fischers Nähe ist ein Autokorso in Würzburg. Der Aufruf wird in der „Corona | |
| Rebellen“-Gruppe geteilt. Aber der Inhaber, mutmaßlich Fischer selbst, sagt | |
| seine Teilnahme an der Aktion ab. Auf Facebook postet Fischer wiederum auf | |
| seinem Profil: „Heute ab 16 Uhr – Wir werden zeigen, was ziviler Ungehorsam | |
| ist“ mit einem Link zum Musikvideo von „The final Countdown“, wie ein | |
| Screenshot zeigt, der der taz vorliegt. Heute ist dieser Facebook-Post vom | |
| 6. Januar nicht mehr auffindbar. Nur noch ein Tweet von Trump und zwei | |
| Videos vom Sturm auf das US-Kapitol, die Fischer mit Party-Emojis postet, | |
| sind geblieben. | |
| Erst am Morgen des 10. Februar wird es ernst für Fischer. Die Soko | |
| „Werntal“ hat einen Hinweis aus der Bevölkerung bekommen. Fischers Auto sei | |
| am 6. Januar in der Nähe des Tatorts gesichtet worden, sagt Fischer selbst | |
| der taz und behauptet, er wisse nicht mal, wo die Zugstrecke verlaufe. Den | |
| Ermittler*innen aber reichen die Indizien. In den frühen Morgenstunden | |
| durchsuchen mehrere Einheiten das Haus der Familie und beschlagnahmen | |
| Handys, Laptops, Tablets. Fischer muss eine DNA- und eine Schriftprobe | |
| abgeben. Der Polizei gegenüber macht er keine Aussage. Der taz sagt er: | |
| „Sollen die mal ihren Job machen.“ | |
| ## Wenn Zusammenhalt wichtiger wird als Fakten | |
| Die Psychologin Michaela Pfundmair forscht zu Radikalisierungsprozessen. | |
| Sie sagt, die Entstehung kleinerer Zellen könnte die Corona-Protestszene | |
| zunehmend radikalisieren. Es bestehe die Gefahr, dass solche Zellen | |
| Prozessen von Gruppendenken unterliegen. Da würden die Aufrechterhaltung | |
| der Solidarität und der Zusammenhalt wichtiger als eine kritische | |
| Betrachtung von Fakten. Dass Menschen das Bedürfnis haben, sich mit anderen | |
| zusammenzutun, hänge mit der sozialen Identität zusammen, die alle Menschen | |
| in Gruppen entwickelten – an sich ganz normales menschliches Verhalten. | |
| Doch dort, wo radikale Ideen ausgetauscht würden, steige so das Risiko | |
| einer Verfestigung dieser Ideen durch gruppendynamische Prozesse. | |
| Gegenreden würden nicht mehr geduldet und ihre Urheber ausgeschlossen, zum | |
| Schutz der Gruppe. „Der Zwang zu Konformismus kann wie ein Treiber der | |
| Radikalisierung wirken“, sagt Pfundmair. | |
| Nicht selten würden in diesen Gruppen immer extremere Äußerungen | |
| hochgeschaukelt, was sich zum einen aus der Präsentation neuer Argumente, | |
| zum anderen aus dem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung speise. In dieser | |
| Dynamik würden „Feinde“ oft dehumanisiert, was die Hemmschwelle für | |
| Übergriffe sinken lasse. | |
| Auch in Johann Fischers Reden und Tun findet sich ein starkes Bedürfnis | |
| nach sozialer Anerkennung oder „Signifikanz“, wie es in der Psychologie | |
| heißt. So sagt er der taz, Demonstrationen reichten ihm nicht mehr aus. | |
| Leipzig sei ja noch „geil“ gewesen, denn da habe die eigentliche Demo „er… | |
| nach der Demo angefangen“. Am 7. November 2020 war es in Leipzig zu | |
| heftigen Zusammenstößen mit der Polizei gekommen, etwa 200 Hooligans, | |
| darunter viele Rechtsradikale, führten den eigentlich bereits aufgelösten | |
| Demozug Tausender Corona-Protestierender an, während die sichtlich | |
| überforderten Sicherheitskräfte mehr zusahen als eingriffen. Fischer | |
| findet, auf den meisten Demos werde „nur viel geredet“. Und wenn schon eine | |
| Demo, dann müsse sie groß sein. So plante er im Februar eine | |
| Großdemonstration in einem unterfränkischen 4.000-Einwohner-Ort, zu der er | |
| 15.000 Teilnehmende erwartete, wie er auf Facebook schrieb. Die Demo fand | |
| nie statt. | |
| Laut Pfundmair sind es normale psychologische Prozesse, die Menschen in | |
| radikale Gedanken treiben können. Die Annahme einer „terrorist | |
| personality“, wie sie in der Forschung lange vorherrschte, sei überholt. | |
| Heute gehe man davon aus, dass es eher „ein explosiver Cocktail“ | |
| gleichzeitig auftretender Umstände sei, der zu Radikalisierung führe. Dazu | |
| können auch gewisse Persönlichkeitsmerkmale gehören, wie die sogenannte | |
| „dunkle Triade“: Narzissmus, also die Neigung, sich anderen überlegen zu | |
| fühlen; Machiavellismus, die Neigung. andere zu manipulieren und | |
| auszunutzen, und Psychopathie im Sinne von Empathielosigkeit. | |
| ## Keine roten Linien | |
| In der Telegramgruppe „Corona Rebellen“ postet jemand einen Tag nach der | |
| Hausdurchsuchung bei Fischer und zwei mutmaßlichen Kompliz*innen einen | |
| Artikel aus der Lokalpresse über den vereitelten Anschlag und Ermittlungen | |
| im Umfeld der Coronabewegung. Der Inhaber der Gruppe, mutmaßlich Fischer, | |
| bezichtigt wieder die Antifa. | |
| Wiederum einen Tag später, am 12. Februar, kündigt der Inhaber die Löschung | |
| der Gruppe an. Der Grund sei eine vermeintliche „Durchseuchung“ mit | |
| „Antifa, Polizei (Söldner), Verfassungsschutz und Spitzeln“. Danach wird es | |
| auch in den anderen lokalen Telegramgruppen der Bewegung ruhiger. Ist der | |
| Bewegung in Unterfranken ein Anführer abhandengekommen? | |
| Fischer sagt, dieser Eindruck sei trügerisch, denn in Wahrheit vernetzten | |
| sie sich seit dem „D-Day 2.0“ nun auch „offline“ oder in geschlossenen | |
| Gruppen, um weitere Aktionen für den „Systemwechsel“ vorzubereiten. | |
| Tatsächlich schreibt der Corona-Rebellen-Inhaber in seine Lösch-Ankündigung | |
| den Zusatz: „Wer Näheres wissen möchte, weiß wie/wo/wann man mich erreicht | |
| OFFLINE“. Etwa 14 Tage nach der Löschung der Gruppe verkündet ein User mit | |
| einem ähnlichen Profilnamen in einer anderen Lokalgruppe die Neueröffnung | |
| einer nun geschlossenen „Corona Rebellen“-Gruppe. Wer Infos dazu wolle, | |
| möge sich per Direktnachricht an ihn wenden. | |
| Fragt man Fischer, wo für ihn bei Protest und Radikalität die rote Linie | |
| verlaufe, sagt er wieder, jegliche Form der Gewalt lehnten seine | |
| Mitstreiter und er ab. Er sagt aber auch: „Die ICE-Aktion ist für mich | |
| keine Gewalt.“ Gegen Fischer wird wegen gefährlichen Eingriffs in den | |
| Schienenverkehr ermittelt, die Soko „Werntal“ sucht laut Angaben des | |
| Polizeisprechers neben Beweisen auch nach mutmaßlichen Verbündeten. Fischer | |
| scheint das nicht zu verunsichern. Die Aktivist*innen, die er „D-Days“ | |
| nennt, planten schon weitere Aktionen, auch langfristiger, auch für die | |
| Bundestagswahlen. Aber eigentlich, sagt Fischer, setze er darauf, dass | |
| „vorher schon alles beendet“ ist. | |
| Mitarbeit: Robert Andreasch , Sebastian Erb | |
| Die Recherche entstand im [6][Rechercheverbund Europe’s Far Right] und | |
| wurde mit Mitteln des [7][„Investigative Journalism for Europe“]-Programms | |
| gefördert. | |
| 25 Apr 2021 | |
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