| # taz.de -- Prozess gegen „Gruppe S.“: Ein unwissender Mittelalterfan? | |
| > Im Prozess gegen die mutmaßlich rechtsterroristische „Gruppe S.“ gibt | |
| > sich ein Angeklagter naiv. Er will vom Ziel der Bande nichts gewusst | |
| > haben. | |
| Bild: Prozess in Stuttgart: Die „Gruppe S.“ soll Überfalle auf Moscheen un… | |
| Stuttgart taz | Thorsten W., Angestellter in der Polizeiverwaltung Hamm, | |
| ist ein Mittelalterfan. Nur wegen seines Hobbys sei er in die Fänge von | |
| Neonazis gekommen, behauptet er vor Gericht. Im Frühjahr 2020 habe Thomas | |
| N., mit dem W. sein historisches Hobby und jetzt die Anklagebank teilt, ihn | |
| zu einem Treffen Gleichgesinnter zu sich nach Minden eingeladen. „Ich bin | |
| davon ausgegangen, dass es um Mittelalter geht“, sagt W. Dort habe er bis | |
| auf N. all die anderen heute Angeklagten erstmals getroffen. In ihrer | |
| gemeinsamen Chatgruppe „Heimat“ sei es lediglich um Mittelalter und | |
| allgemeine Politik gegangen. | |
| Thorsten W., grüner Parka, blaues T-Shirt, die blonden Haare | |
| Siegfried-mäßig schulterlang, macht seine Aussage am Dienstag, [1][dem | |
| dritten Verhandlungstag.] Auf der Anklagebank sitzt er mit elf Männern im | |
| Alter zwischen 33 und 62 Jahren, mutmaßliche Mitglieder der | |
| rechtsterroristischen „Gruppe S“. | |
| Laut Anklage der Bundesanwaltschaft sollen sie [2][Überfälle auf Moscheen | |
| und Politiker geplant haben], um bürgerkriegsähnliche Zustände | |
| herbeizuführen. Bei Durchsuchungen der Privatwohnungen der Mitglieder fand | |
| die Polizei scharfe Waffen und Munition. Um weitere Schusswaffen für ihren | |
| Plan beschaffen zu können, soll bei dem Treffen in Minden vereinbart worden | |
| sein insgesamt 50.000 Euro aufzubringen. | |
| Doch von alldem will Thorsten W. weder im Chat, in dem laut Anklageschrift | |
| unmissverständliche Botschaften ausgetauscht wurden, noch auf dem Treffen | |
| in Minden etwas mitbekommen haben. Er sei sich dort als Außenstehender | |
| vorgekommen. Mit seinem Job im öffentlichen Dienst habe er in dem Kreis | |
| Misstrauen ausgelöst. Nur die Intervention seines Bekannten N. hätte | |
| verhindert, dass über seine Anwesenheit abgestimmt wurde. | |
| ## Nachrichten von Martin Sellner und „PI News“ | |
| Worum es bei dem Treffen gegangen sei, will W. lange nicht verstanden | |
| haben. Zwar sei es am Rande zwischen dem Anführer der Gruppe Werner S. und | |
| einem anderen darum gegangen, wie man eine Waffe beschaffen könne. Offenbar | |
| kein Grund zum Misstrauen für W. Ja, von Geld sei die Rede gewesen, aber so | |
| wie er es verstanden habe, sollte davon ein „Vereinsheim“ finanziert | |
| werden. Was das für ein Verein sein könnte, bleibt unklar. Geld zu geben | |
| habe er entschieden abgelehnt: „Ich war pikiert, weil die Leute, die mich | |
| erst nicht dabeihaben wollen, mich jetzt nach Geld fragen.“ | |
| Erst als Paul U., ausgerechnet der Mann, der im Prozess als Kronzeuge | |
| auftritt, Anschläge auf Moscheen in die Diskussion gebracht habe, will W. | |
| erschüttert gewesen sein. Er habe widersprochen: „Doch nicht so was wie | |
| Christchurch? Lasst das!“ Bald darauf habe er das Treffen vorzeitig | |
| verlassen. | |
| Thorsten W. ist einer von nur zwei Angeklagten, die eine Aussage | |
| angekündigt haben. Die anderen schweigen bisher. Er ist sichtbar bemüht, | |
| seine Rolle kleinzureden und keine Mitangeklagten zu belasten. Er bekenne | |
| sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, beteuert W., gibt dann | |
| aber als Quellen, aus denen er sich politisch informierte, ganz normale | |
| alternative Medien“ wie den Gründer der rechtsextremen „Identitären | |
| Bewegung“, Martin Sellner, und „PI News“ an. | |
| Auch bei der Polizeiverwaltung Hamm ist man nach Medienberichten inzwischen | |
| sicher, lange Jahre einen Rechtsextremen und Reichsbürger beschäftigt zu | |
| haben. Seine frühere Verwaltungstätigkeit bei der Vergabe von | |
| Waffenscheinen wurde auf Unregelmäßigkeiten überprüft. | |
| Es ist offen, ob der Hauptbelastungszeuge Paul U., der trotz | |
| Zeugenschutzprogramm weiter angeklagt ist, aussagen wird. Ein Gutachter | |
| soll die Schuldfähigkeit von ihm und S. beurteilen. Wegen der vielen Zeugen | |
| könnte sich das Verfahren bis ins nächste Jahr ziehen. | |
| 27 Apr 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Benno Stieber | |
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