| # taz.de -- Neonazis und organisierte Kriminalität: Drogen, Nazis, ein Bordell | |
| > Sie nennen sich Turonen. Jahrelang blieben sie ungestört. Jetzt sitzen | |
| > acht in Haft. Die Vorwürfe gegen die Truppe: Drogenhandel und Geldwäsche. | |
| Bild: Razzia bei Thomas W. im Februar. Innenminister Georg Maier lässt sich de… | |
| Einen Monat noch, dann wird Kerstin Schmitz Thomas W. wieder gegenüber | |
| sitzen. Zusammen mit 14 Mitbeschuldigten wird der tätowierte und kräftige | |
| Mittvierziger auf der Anklagebank des Erfurter Landgerichts Platz nehmen. | |
| Und Kerstin Schmitz wird es auf der Zeugenbank tun. So, wie sie es schon | |
| einmal tat, beim ersten Prozess gegen die Truppe um diesen Thomas W. | |
| Nur gibt es dieses Mal einen gewichtigen Unterschied: Der notorische | |
| Neonazi kann nicht auf freiem Fuß in den Gerichtssaal schlendern. Er wird | |
| in Handschellen vorgeführt werden und kommt direkt aus einer | |
| Gefängniszelle. Für Kerstin Schmitz wird das eine kleine Genugtuung sein, | |
| endlich. | |
| Und dann wird es wieder um den Angriff vor gut sieben Jahren gehen. Am 9. | |
| Februar 2014 überfällt Thomas W. mit seinen Kameraden die Mitglieder einer | |
| Kirmesgesellschaft, darunter Kerstin Schmitz. Der Verein organisiert ein | |
| traditionelles Volksfest in [1][Ballstädt], einem Ort mit gut 650 | |
| Einwohner:innen in der Nähe von Gotha im Thüringischen. Eine alte | |
| Kirche gibt es dort, die Reste eines Ritterguts, einen Konsum, den | |
| Lindengrill und ein Pflegeheim. Und dann noch das sogenannte Gelbe Haus. | |
| In der früheren Bäckerei lebt schon seit 2013 Thomas W. zusammen mit drei | |
| Gesinnungsgenossen in einer Wohngemeinschaft. | |
| ## Schlagen und Treten bis zur Bewusstlosigkeit | |
| An dem Februartag im Jahr 2014 feiern Kerstin Schmitz und ihre Freunde | |
| gleich gegenüber im Kulturzentrum spät abends ein Dankesfest nach der | |
| alljährlichen Kirmes – bis Thomas W. plötzlich, vermummt mit einem | |
| Totenkopftuch, in den Saal stürmt. Wer die Fensterscheibe im Gelben Haus | |
| eingeworfen habe, brüllt er. Dann schlägt W., ausgestattet mit | |
| Schlaghandschuhen, auf die Anwesenden ein. Er ruft ein gutes Dutzend | |
| weiterer Rechtsextremer in den Saal. Die schlagen und treten ebenso zu, | |
| auch noch als Opfer bereits bewusstlos am Boden liegen. | |
| Kerstin Schmitz kann sich in einen Nebenraum retten und die Polizei | |
| alarmieren, sie bleibt unverletzt. Nur zwei Minuten dauert der Angriff, | |
| dann stürmen die Neonazis wieder nach draußen, ins Gelbe Haus. Im | |
| Kulturzentrum bleiben Scherben zurück, zerschlagenes Mobiliar, Blutlachen. | |
| Und zehn teils schwer verletzte Menschen mit Platzwunden, Knochenbrüchen | |
| und einem eingerissenen Ohr. | |
| „So eine Gewalt kannten wir nicht“, sagt Kerstin Schmitz. „Die haben Tote | |
| in Kauf genommen. Die wussten, was sie taten.“ Thomas W. aber bleibt | |
| damals, nach einer kurzen Untersuchungshaft, auf freiem Fuß, wohnt weiter | |
| im Gelben Haus, schlendert mit seinen Hunden durchs Dorf. Und baut, | |
| zusammen mit mehreren der jetzt Beschuldigten, eine rechtsextreme | |
| Rockertruppe auf. Sie nennen sich erst Bruderschaft Thüringen, dann, | |
| angelehnt an einen germanischen Stamm, die Turonen. Dazu gibt es einen | |
| Ableger, die „Garde 20“, abgeleitet vom 20. Buchstaben des Alphabets, dem | |
| „T“. Kerstin Schmitz verfolgt die Entwicklung fassungslos. „Vom Staat | |
| fühlte sich keiner von denen beeindruckt. Die Nazis machen, was sie | |
| wollen.“ | |
| Bis der Staat doch noch vor der Tür der Turonen steht. Das geschieht vor | |
| fünf Wochen, am 26. Februar dieses Jahres. [2][Spezialkräfte der Polizei] | |
| steigen im Morgengrauen über ein Fenster im ersten Stock ins Gelbe Haus | |
| ein. Sie verhaften Thomas W., der laut Beobachtern einen Zusammenbruch | |
| erleidet. Parallel nimmt die Polizei sechs weitere Beschuldigte fest, 24 | |
| bis 55 Jahre alt, darunter die Lebensgefährtin und Cousine von Thomas W. | |
| und zwei weitere für den Ballstädt-Überfall Beschuldigte, Rocco B. und | |
| André K. Und auch ein prominenter Szeneanwalt findet sich unter den | |
| Inhaftierten: Dirk Waldschmidt, kurzzeitig Verteidiger des Lübcke-Mörders | |
| Stephan Ernst. | |
| Ermittelt wird zudem gegen 13 weitere Beschuldigte. Beschlagnahmt werden | |
| ein Kilo Crystal Meth und Kokain, 130.000 Euro in bar, mehrere Langwaffen | |
| sowie Immobilien und Sachwerte wie Schankanlagen im Wert von 350.000 Euro. | |
| Als Beifang nimmt die Polizei zwei Personen fest, bei einer wurden größere | |
| Mengen Crystal Meth gefunden, bei der anderen lag ein offener Haftbefehl in | |
| anderer Sache vor. | |
| Mehr als 500 Beamte rücken an diesem Tag auf Geheiß der Staatsanwaltschaft | |
| Gera aus, der Polizeieinsatz ist seit Monaten vorbereitet. Der Vorwurf | |
| lautet dieses Mal nicht auf Begehung von Gewaltverbrechen, sondern | |
| Organisierte Kriminalität: Thomas W. und die anderen Beschuldigten sollen | |
| im großen Stil Drogen verkauft und ein Bordell betrieben haben. Gut 50 | |
| Fälle von bandenmäßigem Rauschgifthandel und 40 Fälle von Geldwäsche wollen | |
| ihnen die Ermittler nachweisen. | |
| ## Ein schwerer Schlag für die Turonen | |
| „Die Festnahmen waren für uns natürlich ein Stück Erleichterung“, sagt | |
| Kerstin Schmitz. Die junge Frau sitzt Anfang April in ihrem Büro in Gotha, | |
| nippt an einem Tee, redet ruhig und gefasst. Schmitz trägt eigentlich einen | |
| anderen Namen, will diesen aber nicht in der Zeitung lesen oder anderweitig | |
| erkannt werden. Sie hat Angst, bis heute, auch wenn sie inzwischen | |
| weggezogen ist aus Ballstädt. Wöchentlich fährt sie aber weiter in das | |
| Dorf. | |
| Es habe dort zuletzt keine direkten Konfrontationen mit Thomas W. und den | |
| anderen Nazis mehr gegeben, sagt Schmitz. „Aber sie waren weiter da, gingen | |
| mit ihren Hunden spazieren, gaben sich sehr selbstbewusst. Die | |
| Bushaltestelle liegt genau vor ihrer Tür. Da war immer eine Anspannung, | |
| wenn man ihnen über den Weg lief.“ Und die Neonazis hätten auch in den | |
| Jahren nach dem Angriff weiter bei der Kirmes provoziert. Heute Abend käme | |
| man wieder, hätten sie gedroht. Sie seien nicht gekommen – aber die Angst | |
| sei geblieben. | |
| Nun aber sitzen Thomas W. und seine Kumpanen in Haft. Es ist der erste | |
| schwere Schlag gegen seine Turonen. Rund 30 Mitglieder rechnet ihnen der | |
| Verfassungsschutz zu. Etliche fielen mit Straftaten auf, saßen schon im | |
| Gefängnis, spielen in Szenebands, gelten als Sympathisanten der radikalen | |
| Combat-18- und Blood&Honour-Netzwerke. Immer wieder organisiert die Gruppe | |
| Konzerte, darunter das bislang größte Rechtsrockfestival in Deutschland, | |
| 2017 in Themar mit rund 6.000 Neonazis. Die Gruppe ist vernetzt bis ins | |
| Ausland, stellte 2016 auch in der Schweiz ein Großkonzert auf die Beine und | |
| soll allein dort 150.000 Euro verdient haben. Und ihre Mitglieder halten | |
| Kontakt zu den beiden engsten Helfern der NSU-Mörder: Ralf Wohlleben und | |
| André Eminger. | |
| Und nun organisierten sie offenbar auch noch ein Drogennetzwerk. | |
| Es ist ein Vorwurf, der schwer wiegt – umso mehr für Anhänger der | |
| rechtsextremen Szene, in der Drogen als verpönt gelten. „Geld beschaffen | |
| ist ja schön und gut, aber nicht mit dem, was die gemacht haben“, heißt es | |
| nach den Festnahmen prompt in einem Neonazi-Forum. Andere appellieren: | |
| „Erst mal abwarten, was da wirklich dran ist.“ | |
| Der Schlag der Polizei kommt für Lokalpolitiker in der Region überraschend. | |
| Ein Sprecher von Gothas Bürgermeister Knut Kreuch (SPD) beteuert: „Der | |
| Einsatz hat uns völlig überrascht. Von dem Drogenhandel war uns nichts | |
| bekannt. Das war hier kein Gesprächsthema.“ Ballstädts Bürgermeister Horst | |
| Dünkel, ein freundlicher CDU-Mann, bekam ebenfalls nichts davon mit. „Das | |
| hat hier keiner gewusst“, sagt er bei einem Gespräch an seinem Gartenzaun. | |
| „Mit den Rechtsextremen hat im Dorf keiner was zu tun.“ | |
| Auch Kerstin Schmitz wusste von den Drogengeschäften nichts. Aber sie hatte | |
| eine Ahnung. Denn immer wieder hätten Autos mit fremden Kennzeichen vor dem | |
| Gelben Haus gestanden, auch aus dem Ausland. „Und die Nazis sind so | |
| skrupellos, da hatten wir so was schon mal vermutet.“ | |
| Andere hatten das kriminelle Treiben der Turonen durchaus genauer im Blick. | |
| Antifa-Aktivisten aus dem benachbarten Gotha etwa, die früh auf neue | |
| Trefforte der Turonen aufmerksam wurden und warnten: „Die spielen hier | |
| Mafia.“ Oder die Linken-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss, die | |
| schon seit Jahren Parlamentsanfragen zu der Gruppe stellt und bereits vor | |
| den Festnahmen warnte, dass die Turonen „längst mit der Organisierten | |
| Kriminalität verschmelzen“. Und auch die Sicherheitsbehörden ermittelten | |
| seit einem Jahr wegen der Drogenvorwürfe gegen die Turonen – nachdem der | |
| Verfassungsschutz durch abgehörte Telefonate auf die Geschäfte gestoßen war | |
| und sie dem LKA meldete. | |
| ## Thomas W., der Hauptbeschuldigte | |
| Thomas W. gilt nun als Hauptbeschuldigter. Der Mittvierziger kommt aus | |
| Gotha, einen Beruf erlernte er nie. Schon als Jugendlicher wird er Teil der | |
| rechtsextremen Szene – und landet immer wieder vor Gericht. Mal lautet der | |
| Vorwurf Diebstahl, mal Nötigung, Androhen von Straftaten oder das Zeigen | |
| von verfassungswidrigen Kennzeichen. Mehr als 25 Verurteilungen sammelt W. | |
| über die Jahre und Tausende Euro an Geldstrafen. Ende der Neunziger wandert | |
| er erstmals ins Gefängnis und holt dort seinen Realschulabschluss nach. | |
| Als Thomas W. freikommt, wird er sofort wieder in der Szene aktiv. Er baut | |
| ein Tonstudio auf, in dem Musik für die Szene produziert wird, gründet ein | |
| Musiklabel. Er selbst spielt als Schlagzeuger in Bands, die „Treueorden“ | |
| oder „Sonderkommando Dirlewanger“ heißen und Lieder namens „Führer Adol… | |
| oder „Final Race War“ veröffentlichen. Im Jahr 2013 zieht Thomas W. | |
| schließlich nach Ballstädt – und überfällt dort wenige Monate später die | |
| Kirmesgesellschaft. | |
| Vom Erfurter Landgericht wird er dafür im Mai 2017 zu dreieinhalb Jahren | |
| Haft verurteilt, die höchste der erteilten Strafen. Mitgeschnittene | |
| Telefonate des Verfassungsschutzes tragen zu seiner Überführung bei. Zudem | |
| hatten Zeugen die Angreifer ins Gelbe Haus rennen sehen. Kerstin Schmitz | |
| schildert vor Gericht die brutale Gewalt. Thomas W. gesteht schließlich | |
| seine Beteiligung, ein Mitangeklagter packt noch weiter aus. Die anderen | |
| Beschuldigten üben sich in Provokationen: Sie marschieren mit Szenekleidung | |
| in den Saal, präsentieren Tattoos wie „Ran an den Feind“ oder tun so, als | |
| ob sie schlafen. Zehn von ihnen werden am Ende verurteilt, vier erhalten | |
| mangels Beweisen Freisprüche. | |
| Die Verurteilten aber gehen gegen das Urteil in Revision und bleiben | |
| dadurch vorerst in Freiheit. Der Bundesgerichtshof hebt das Urteil im Mai | |
| 2020 tatsächlich wegen Formfehlern auf und ordnet eine Neuverhandlung an. | |
| „Das war ein Schock“, sagt Kerstin Schmitz. „Und hat die Nazis nur noch | |
| mehr bestärkt.“ | |
| ## Das Geschäftsmodell der Turoren | |
| Tatsächlich baut Thomas W. schon während des Prozesses unbeeindruckt seine | |
| Turonen auf. Fotos zeigen ihn zusammen mit anderen Gesinnungsgenossen in | |
| schwarzen Lederkutten mit dem Gruppenlogo, einer Rockertruppe gleich. Auf | |
| den Konzerten stellen sie die Security. Die Einnahmen für das Schweizer | |
| Großkonzert in Unterwasser laufen über ein Thüringer Konto, der Name eines | |
| der Mitorganisatoren steht heute am Briefkasten des Gelben Hauses. Beim | |
| Konzert in Themar taucht auch ein Bekannter auf: [3][André Eminger], der | |
| dem untergetauchten NSU-Trio bis zum Schluss zur Seite stand. Auch bei | |
| einem weiteren Turonen-Konzert im Jahr 2018 reist Eminger an. | |
| Zufall ist das nicht. Die Turonen suchen die Nähe zum Rechtsterrorismus. | |
| Schon vor elf Jahren, ein Jahr nach Auffliegen des NSU, veröffentlicht die | |
| Band von Thomas W. ein Lied, in dem sie sich mit einem zweiten inhaftierten | |
| NSU-Helfer solidarisiert: dem Thüringer Ralf Wohlleben, einst | |
| NPD-Funktionär, nun als Waffenbeschaffer beschuldigt. „Freiheit für Wolle�… | |
| singt W.s Band. Kurz darauf posiert Thomas W. mit späteren Turonen und | |
| Dekowaffen auf einem Foto, samt Kommentar: „NSU reloaded“. | |
| Ende Februar wird nun auch eine Wohnung im Burgenlandkreis in | |
| Sachsen-Anhalt durchsucht: die von [4][Ralf Wohlleben]. Der 46-Jährige, der | |
| 2018 nach sechs Jahren Haft wieder auf freien Fuß gekommen ist, soll Gelder | |
| der Turonen erhalten haben, im jetzigen Verfahren gilt er als Zeuge. | |
| Wohlleben hat einen Vertrauten, den der Verfassungsschutz neben Thomas W. | |
| als zweiten Anführer der Turonen sieht: den Saalfelder Steffen R., ein | |
| Enddreißiger, seit Jahren in der Rechtsrockszene aktiv, einst auch für die | |
| NPD. Der wird zwar nicht festgenommen, zählt nach taz-Informationen aber zu | |
| den 13 weiteren Beschuldigten. | |
| Und die Turonen kultivieren ihren Hang zur Gewalt. Auf einem ihrer Konzerte | |
| brüllte ein Sänger: „Blut muss fließen, knüppelhageldick. Lasst die Messer | |
| flutschen in den Judenleib.“ Als Thomas W. einen Brief mit einem | |
| Anti-Nazi-Aufdruck erhält, lobt er 2.000 Euro für Hinweise auf den Absender | |
| auf und nennt dies „zum TOT SCHIESSEN lustig“. Die Behörden zählen allein | |
| seit 2019 insgesamt 32 Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Turonen, | |
| unter anderem wegen Körperverletzung, Betrugs oder Beleidigung. | |
| Im Herbst 2018 aber missglückt ein Festival im thüringischen Magdala. Die | |
| Behörden setzen ein Verbot durch, die Turonen bleiben auf Verlusten sitzen. | |
| Die Serie der Großkonzerte reißt damit ab. Kurz darauf, so glauben die | |
| Ermittler, steigen die Neonazis in die Drogengeschäfte ein. Für Thomas W. | |
| ist das kein Neuland: Schon 2008 wird er nach taz-Informationen wegen | |
| unerlaubten Handels mit Arzneimitteln zu einer Geldstrafe verurteilt. | |
| ## Ein Backsteinbau in Gotha | |
| Neben dem Gelben Haus in Ballstädt wird ein alter Backsteinbau mit großem | |
| Anbau, an einer kleinen Seitenstraße im Norden Gothas gelegen, nun zum | |
| Hauptquartier der Turonen. „Betriebsgelände, Betreten verboten“, steht auf | |
| einem Schild vor dem sandigen Parkplatz. Von außen weist nichts auf die | |
| Neonazi-Truppe hin, das Gebäude ist gepachtet. | |
| Nach Angaben von Anwohnern soll Thomas W. vor seiner Festnahme regelmäßig | |
| vor Ort gewesen sein. Immer wieder sei Baumaterial angeliefert worden, im | |
| Inneren sollen auch Konzerte und Kraftsport stattgefunden haben. Gänzlich | |
| klandestin läuft das nicht ab. Vor der Halle parken immer wieder teure | |
| Autos, einige mit Kennzeichen wie „T20“, die auf die Turonen anspielen. | |
| Auch eine weiße Stretchlimousine gehört dazu. | |
| Bei ihren Drogengeschäften verdrängen die Turonen nach taz-Informationen | |
| ältere Dealer-Strukturen in der Region und arbeiteten mit Kontaktleuten aus | |
| Osteuropa sowie der Rocker-Szene zusammen. Nur zwei Straßenecken weiter | |
| betreibt die Gruppe ihr Bordell, in einem blau gestrichenen Haus, mit | |
| Kameras überwacht. Für das Etablissement soll die Lebensgefährtin von | |
| Thomas W. mitverantwortlich gewesen sein. | |
| Auf einem Schild steht nur der Name einer britischen Briefkastenfirma, die | |
| zu einem Gothaer mit Kontakten nach Tschechien führt. Der gleiche | |
| Firmenname prangt bei einer im Aufbau befindlichen Kneipe auf der anderen | |
| Straßenseite. Nur wenige hundert Meter entfernt besitzen die Turonen auch | |
| noch einen Lagerraum. Am Stadtrand war ein zweites Bordell in Planung. | |
| All diese Orte durchsucht die Polizei im Februar, insgesamt sind es 27 | |
| Wohnungen und Geschäftsräume. Beschlagnahmt wird auch die Stretchlimousine. | |
| Die Stadt will sich wegen der laufenden Ermittlungen zu den Örtlichkeiten | |
| nicht äußern. Einzig zum Bordell teilt sie mit, dass dafür wegen der | |
| Coronaverordnung keine Genehmigung vorgelegen habe. | |
| Für die Turonen und ihre Aktivitäten gibt es ein Vorbild in Österreich: das | |
| rechtsextremes Netzwerk „Objekt 21“, das vor Jahren ebenfalls Szenekonzerte | |
| veranstaltete und in Waffen- und Drogengeschäfte verwickelt war – und | |
| Kontakt nach Thüringen hielt. Als die Gruppe aufflog, wurden 2013 auch zwei | |
| Thüringer festgenommen. Einer von ihnen hatte das Gelbe Haus in Ballstädt | |
| mit erworben. | |
| ## Bekannt in der Drogenszene | |
| Eine, die sich mit der Drogenszene in Gotha auskennt, ist Angela Gräser. | |
| Seit 25 Jahren arbeitet sie als Streetworkerin in der Stadt. Die Szene der | |
| Crystal-Konsumenten sei groß, sagt Gräser. Zuletzt sei auch Kokain immer | |
| beliebter geworden, das inzwischen billiger sei. Dass die Turonen in die | |
| Geschäfte involviert waren, dass sie junge Verkäufer rausschickten, habe | |
| sie in den letzten Monaten immer wieder von Klienten gehört, sagt sie. „Ich | |
| kenne den Tommy noch von ganz früher. Das war eigentlich einer, mit dem man | |
| lange noch reden konnte. Keiner, der sofort raufgehauen hat. Es ist | |
| traurig, wie sein Leben verlaufen ist.“ Die Drogenvorwürfe habe sie aber | |
| nie beweisen können, sagt Gräser. „Die sind clever.“ | |
| Die Ermittler aber tragen so viele Beweise zusammen, dass die Haftbefehle | |
| bis heute Bestand haben – selbst gegen einen Anwalt: Dirk Waldschmidt. Der | |
| Mittfünfziger bewegt sich seit Jahren in der rechtsextremen Szene, in | |
| Hessen war er mal Vize-Chef der NPD, zuletzt hielt er Rechtsschulungen bei | |
| der rechtsextremen Splitterpartei „III. Weg“ ab. Immer wieder vertritt | |
| Waldschmidt Neonazis vor Gericht, den prominentesten vor knapp zwei Jahren, | |
| wenn auch nur kurzzeitig: Stephan Ernst, den Lübcke-Mörder. | |
| Waldschmidt kennt auch die Turonen gut. Im Ballstädt-Prozess trat er als | |
| Verteidiger eines Angeklagten auf, im vergangenen Jahr auch als der eines | |
| rechtsextremen Thüringer Hooligans. Dort tauchte der Anwalt zusammen mit | |
| Thomas W. und anderen Neonazis auf, einige in Turonenkluft gekleidet. Nun | |
| ist Waldschmidt selbst Beschuldigter. Die Ermittler werfen ihm nach | |
| taz-Informationen Geldwäsche vor, er soll in die Immobiliengeschäfte der | |
| Turonen verwickelt gewesen sein. Seine Anwältin will sich zu den Vorwürfen | |
| nicht äußern. | |
| Für Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer ist Waldschmidts | |
| Festnahme eine Zäsur. „Offenbar gibt es einige Juristen, die es nicht bei | |
| der Verteidigung von Rechtsextremen belassen, sondern selber Prozesse als | |
| Bühne nutzen und Teil krimineller Netzwerke werden.“ Den Schlag gegen die | |
| Turonen nennt Kramer einen „großen Erfolg“, der zeige, wie wichtig eine | |
| enge Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Landeskriminalamt bei der | |
| Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sei. | |
| Auch die Linken-Abgeordnete König-Preuss lobt die Festnahmen: „Der Schlag | |
| ist enorm wichtig, weil er die Neonaziszene weit über Thüringen hinaus | |
| trifft.“ Sie fordert nun weitgehende Ermittlungen, die nicht nur das | |
| kriminelle, sondern auch politische Netzwerk der Turonen aufdecken müssten. | |
| Zudem brauche es einen neuen Untersuchungsausschuss zum Rechtsterrorismus | |
| in Thüringen. „Nicht nur die Turonen, auch andere Thüringer Akteure tauchen | |
| immer wieder in rechtsterroristischen Kontexten bis hin zum NSU auf. Das | |
| muss dringend aufgehellt werden.“ | |
| Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) hat sich den Kampf gegen die | |
| Rechtsextremen auf die Fahnen geschrieben. Als die Turonen festgenommen | |
| wurden, reiste der SPD-Mann eigens nach Ballstädt. „Der Schlag hat | |
| gesessen“, freut sich Maier. „Die Turonen sind zuletzt immer dreister | |
| aufgetreten. Sie waren sich wohl sehr sicher, dass man ihnen nichts anhaben | |
| kann. Die Festnahmen sind auch wichtig, damit die Menschen in Ballstädt | |
| wieder Vertrauen in den Rechtsstaat fassen.“ | |
| Aber im Gelben Haus wohnen auch Anfang April immer noch Neonazis. Das von | |
| der Polizei zerschlagene Fenster ist notdürftig mit Pappe zugeklebt, vor | |
| der Tür steht ein VW mit „T20“-Kennzeichen. Sonst ist es ruhig, fast alle | |
| Fenster sind verhangen, an der Hauswand hängt eine Kamera, über den | |
| abgeschirmten Hof streunt eine Katze. Auch vor dem Gothaer Hauptquartier | |
| stehen weiter Autos, betreten Personen das Gebäude. | |
| Schon vor der Verurteilung für den Ballstädt-Angriff stellten sich die | |
| Neonazis für ein Gruppenfoto unter ein Banner, welches das Dorf nach dem | |
| Überfall aufgehängt hatte: „[5][Ballstädt steht auf für Demokratie] und | |
| Vielfalt und gegen rechte Gewalt“. Grinsend posierten die Neonazis in | |
| Turonen-Kluft, Thomas W. in der Mitte. | |
| „Die lachen uns aus“, sagt Ballstädts Bürgermeister Horst Dünkel. Die | |
| jetzigen Festnahmen sieht auch er daher erleichtert. Aber war’s das mit den | |
| Neonazis? Dünkel hebt die Schultern. „Tja.“ Kurzes Schweigen. „Man weiß… | |
| nicht. Und selbst wenn sie aus Ballstädt verschwinden, dann tauchen sie in | |
| einem anderen Dorf wieder auf.“ | |
| Auch Kerstin Schmitz traut der Sache noch nicht. „Von dem guten Dutzend | |
| Angreifer damals sitzen ja jetzt nur drei in Haft“, sagt die junge Frau. | |
| Und dann ist da ja noch der zweite, neue Prozess zum Ballstädt-Angriff, der | |
| am 17. Mai beginnen soll. Angeblich verhandelt das Gericht mit Thomas W. | |
| und den weiteren Angeklagten über einen „Deal“: Geständnisse gegen | |
| Bewährungsstrafen. „Das darf nicht passieren“, sagt Schmitz. Bürgermeister | |
| Dünkel meint dazu: „Die Justiz muss auch die Konsequenzen ihrer | |
| Entscheidungen bedenken. Es geht auch um Gerechtigkeit.“ | |
| 15 Apr 2021 | |
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| Konrad Litschko | |
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