# taz.de -- Weltweite Festnahmen von Verbrechern: Kriminelle in Chatfalle geloc… | |
> Ermittler entwickelten Kryptohandys und verfolgten die Kommunikation von | |
> Kriminellen. Nun gab es weltweit 800 Festnahmen – auch in Deutschland. | |
Bild: Auch in NRW gingen Einsatzkräfte gegen Rauschgiftkriminalität vor | |
BERLIN taz | Es war ein weltweiter Schlag gegen die [1][Organisierte | |
Kriminalität], den es so wohl noch nicht gab. In den vergagnenen Tagen | |
wurden bisher rund 800 Personen in 16 Ländern verhaftet, darunter auch 70 | |
in Deutschland – die über eine von Ermittlern fingierte App gefasst wurden. | |
Am Dienstag zogen die Behörden Bilanz und jubilierten über einen | |
„außergewöhnlichen Erfolg“. | |
Den Festgenommenen werden Drogenhandel, Geldwäsche oder Waffengeschäfte im | |
großen Stil vorgeworfen. Laut Europol wurden bei den weltweiten Razzien | |
acht Tonnen Kokain, 22 Tonnen Cannabis, 250 Schusswaffen, 55 Luxusautos und | |
Geld im Wert von 48 Millionen Dollar beschlagnahmt. Es habe sich um eine | |
der bisher größten internationalen Operationen gegen die Organisierte | |
Kriminalität gehandelt. | |
Federführend war das US-amerikanische FBI, das mit der Polizei in Schweden, | |
den Niederlanden, Australien und später Europol zusammenarbeitete. Bereits | |
2019 riefen sie die Operation „OTF Greenlight/Trojan Shield“ ins Leben und | |
entwickelten eine verschlüsselte Handy-App namens Anom. Mit deren | |
Installation konnten auf den Telefonen keine weiteren Funktionen mehr | |
ausgeführt und nur noch Nachrichten mit anderen Besitzern der App | |
ausgetauscht werden. Die Behörden streuten die App gezielt unter | |
Kriminellen: Diese mussten einen Nutzer kennen, um die Anwendung selbst | |
nutzen zu können. | |
## „Gegenseitig in Handschellen gelegt“ | |
Am Ende sollen mehr als 300 kriminelle Gruppen und 12.000 Handys Anom | |
genutzt haben, darunter [2][Teile der italienischen Mafia], Motorradrocker | |
und internationale Drogenbanden. Über 18 Monate lasen die Ermittler in | |
Echtzeit mit und fingen nach eigenen Angaben 27 Millionen Nachrichten ab. | |
Dabei soll es auch um Mordpläne gegangen sein, die nun verhindert worden | |
seien. | |
Die australische Polizei, die allein 224 Personen festnahm, sprach von | |
„hochrangigen Figuren“ der Organisierten Kriminalität, welche die App | |
nutzten und so für deren guten Ruf unter Mitstreitern sorgten. „Die | |
Kriminellen haben sich gegenseitig in Handschellen gelegt, in dem sie Anom | |
offen nutzten, ohne zu wissen, dass wir sie die ganze Zeit beobachteten“, | |
frohlockte Reece Kershaw von der Australischen Polizei. | |
## 70 Festnahmen in Deutschland | |
In Deutschland beteiligten sich das Bundeskriminalamt und die | |
[3][Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität] (ZIT) in | |
Frankfurt am Main an den Ermittlungen. Sie allerdings wurden erst im Mai | |
eingeweiht. Der Schwerpunkt lag hier in Hessen, wo es allein 60 der gut 70 | |
deutschen Festnahmen gab. Insgesamt wurden bundesweit über 150 Objekte | |
durchsucht. Die deutschen Beschuldigten sollen mit Drogen und Waffen | |
gehandelt haben, dafür auch eigene Labore hochgezogen und für den Transport | |
Fahrzeuge speziell umgebaut haben. | |
Verbindungen bestanden offenbar nach Spanien, wo in Alicante und Malaga | |
zwei Beschuldigte festgenommen wurden, die mit den hessischen Beschuldigten | |
in Kontakt standen. Allein in Hessen wurden laut BKA mehr als 120 Kilogramm | |
Marihuana, 25 Kilogramm Haschisch, 3 Kilogramm Heroin, 30 Kilogramm | |
Amphetamine, 6.000 Cannabis-Pflanzen und über 20 Waffen sichergestellt. | |
Dazu seien 70 IT-Geräte, 30 Luxusautos und Bargeld in Höhe von 250.000 Euro | |
beschlagnahmt worden. | |
Der Europol-Vizedirektor Jean-Philippe Lecouffe nannte die internationalen | |
Festnahmen einen „außergewöhnlichen Erfolg“. Man werde die Organisierte | |
Kriminalität bekämpfen, „wo immer sie auftritt und wie immer sie | |
kommuniziert“. Calvin Shivers vom FBI kündigte an, weiter „innovative Wege… | |
zu gehen, um verschlüsselte kriminelle Kommunikation zu beenden und | |
Straftäter zur Verantwortung zu ziehen. „Hier werden wir alles ausreizen.“ | |
## Zuvor schon EncroChat und Sky ECC lahmgelegt | |
Schon im Juli 2020 hatte ein internationales Ermittlerteam die | |
verschlüsselte Handyapp [4][EncroChat] lahmgelegt, die ebenfalls von | |
Kriminellen genutzt wurde. Im März 2021 folgte dann die App Sky ECC. Laut | |
Europol wechselten danach etliche Kriminelle zur Anom-App – und damit | |
direkt in die Hände der jetzigen ErmittlerInnen. | |
Die Sicherheitsbehörden haben nun Millionen weiterer Nachrichten | |
auszuwerten. Europol kündigte am Dienstag bereits „unzählige“ weitere | |
Maßnahmen in den nächsten Wochen an. | |
8 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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