# taz.de -- BGH erlaubt Nutzung von EncroChat-Daten: „Keine Massenüberwachun… | |
> Frankreichs Polizei hat die Handys von Drogendealern geknackt. Dies | |
> führte auch in Deutschland zu Tausenden Verfahren. Zu Recht, sagte jetzt | |
> der BGH. | |
Bild: Encrochat-Daten dürfen bei schweren Straftaten verwendet werden | |
KARLSRUHE taz | Deutsche Gerichte dürfen die Daten von Krypto-Handys | |
verwerten, die mit der Verschlüsselungs-Software EncroChat arbeiteten. Das | |
hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem jetzt bekannt gewordenen | |
Grundsatzbeschluss entschieden. Dies könnte über zweitausend Verurteilungen | |
von Drogendealern ermöglichen. | |
Im konkreten Fall ging es um einen Hamburger, der in großem Stil mit Drogen | |
handelte. Unter anderem hatte er fünf Kilo Kokain angeboten. Das | |
Landgericht Hamburg verurteilte den Mann im Juli 2021 zu einer fünfjährigen | |
Freiheitsstrafe. In der Revision beim BGH machte die Verteidigung vor allem | |
geltend, dass verräterische Nachrichten auf seinem EncroChat-Handy aus | |
rechtsstaatlichen Gründen nicht verwertbar seien. | |
Der 5. Strafsenat des BGH nahm den Fall zum Anlass, in einem sehr | |
gründlichen 47-seitigen Beschluss darzulegen, warum die Encro-Chat-Daten in | |
Deutschland durchaus als Beweismittel genutzt werden können. | |
Ausgangspunkt war 2019 ein Verfahren in Frankreich. Die französische | |
Polizei stellte bei Dealern spezielle Handys fest, mit denen die Nutzer nur | |
Chats, SMS und Notizen schreiben konnten. Die Polizei konnte diese | |
Kommunikation nicht analysieren, weil sie effizient verschlüsselt war. | |
Derartige EncroChat-Handys kosteten über 1.600 Euro und waren in normalen | |
Läden nicht zu kaufen. | |
## Wie das „Abfangtool“ funktioniert, ist Militärgeheimnis | |
Die auf Internet-Ermittlungen spezialisierte Staatsanwaltschaft in Lille | |
fand heraus, dass die Betriebsdaten des Netzwerks auf einem Server in | |
Rubaix lagen. Sie erwirkte dann einen richterlichen Beschluss, über diesen | |
Server alle Krypto-Handys mit einer „technischen Einrichtung“ zu versehen, | |
die sie für die Polizei überwachbar macht. Der BGH spricht von einem | |
„Abfangtool“, das „per Ferninjektion“ eingebracht wurde. Die Details | |
unterliegen dem französischen Militärgeheimnis. | |
Es zeigte sich, dass 32.477 Telefone in 121 Ländern an das | |
EncroChat-Netzwerk angeschlossen waren. Über Europol wurde auch die | |
[1][deutsche Justiz von dem Fang] informiert. Die Generalstaatsanwaltschaft | |
Frankfurt beantragte im Juni 2020 per Europäischer Ermittlungsanordnung die | |
Übergabe aller Encrochat-Daten, die Straftaten in Deutschland betrafen. | |
Seitdem sind Polizei und Justiz in ganz Deutschland mit Encrochat-Verfahren | |
überlastet. | |
Die Auswertung der Daten ist allerdings äußerst erfolgreich. Denn die | |
Nutzer der Encrochat-Handys, überwiegend Drogendealer, kommunizierten ganz | |
offen über ihre Straftaten. Schließlich glaubten sie, ein absolut | |
überwachungssicheres Gerät zu nutzen. | |
Fast überall machten die Verteidiger jedoch geltend, die Daten seien nicht | |
verwertbar. In Frankreich habe eine unzulässige Massenüberwachung | |
stattgefunden. Pauschal seien alle Käufer eines Krypto-Handys als | |
Kriminelle verdächtigt worden, obwohl es doch viele gute Gründe gebe, | |
verschlüsselt zu kommunizieren. In Deutschland sei die französische Aktion | |
nicht möglich gewesen. So argumentierte auch das Landgericht Berlin im Juli | |
2021, das deutschlandweit als einziges Gericht den Anträgen der | |
Verteidigung stattgab. | |
Der BGH wies diese Argumentation nun aber zurück. Es komme gar nicht darauf | |
an, ob die französische Ermittlungsmaßnahme in Deutschland genehmigt worden | |
wäre (was viele deutsche Gerichte allerdings durchaus bejaht hatten). Bei | |
der europäischen Rechtshilfe werde vielmehr vermutet, dass sich die Polizei | |
in den Partnerstaaten an die dortigen Gesetze hält und die europäischen | |
Grundrechte beachtet. | |
## Encro-Chat-Handys werden von Kriminellen verwendet | |
Diese Vermutung sei zwar widerlegbar, so der BGH, hier habe es aber keinen | |
Grund zu Zweifeln gegeben. Der Verkauf der EncroChat-Handys sei schließlich | |
kein normales Geschäftsmodell gewesen, das leider auch von einigen | |
Kriminellen genutzt wurde. Vielmehr seien die Geräte fast ausschließlich im | |
kriminellen Milieu verwendet worden. Werbung und Vertriebswege zielten auch | |
auf diese Klientel ab. Die EncroChat-Verkäufer handelten ausschließlich im | |
Verborgenen. | |
Deshalb durfte auch die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft in Frankreich | |
pauschal alle EncroChat-Daten mit Deutschland-Bezug anfordern, betonte der | |
BGH. Jeder, der ein derartiges Krypto-Handy benutzte, war schon deshalb | |
verdächtig. | |
Auch die Tatsache, dass die konkreten Methoden der „Ferninjektion“ nicht | |
offengelegt wurden, spreche nicht gegen eine Verwertung der EncroChat-Daten | |
in Deutschland, so der BGH. Die französische Justiz habe die Auswirkungen | |
der Aktion präzise genug beschrieben, so dass es auf die Methoden nicht | |
ankomme. | |
Der Beschluss hat große praktische Relevanz. Denn aufgrund der | |
EncroChat-Daten wurden in Deutschland über 2.250 Ermittlungsverfahren | |
eingeleitet. In über 900 Fällen wurden Haftbefehle ausgestellt. | |
Der BGH-Beschluss dürfte auch für [2][hunderte Parallel-Verfahren] relevant | |
sein, bei denen Daten mit Hilfe einer Handy-App namens „Anom“ gewonnen | |
wurden. Anom war vom US-amerikanischen FBI manipuliert und vertrieben | |
worden. | |
25 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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