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# taz.de -- Kriminelle Krypto-Handys: Müssen hunderte Fälle neu aufgerollt we…
> Das FBI verkaufte Krypto-Handys an Kriminelle, das Verfassungsgericht
> erlaubte die Nutzung der Daten. Doch eine Recherche weckt Zweifel an der
> Entscheidung.
Bild: Schild am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe
Freiburg taz | Die Daten von Anom-Krypto-Handys, die das FBI vertrieben
hat, sind vor deutschen Strafgerichten verwertbar. Das entschied eine
Kammer des [1][Bundesverfassungsgerichts] mit einem am Mittwoch
veröffentlichten Beschluss. Neue brisante Erkenntnisse zu diesem FBI-Coup
waren den Richter:innen dabei aber noch nicht bekannt.
Es geht um eine wirklich spektakuläre Polizei-Aktion. Die US-Polizeibehörde
FBI brachte mit Hilfe von Gangstern 2019 ein Krypto-Handy namens Anom auf
den Markt. Werbespruch: „Von Kriminellen für Kriminelle“. Weltweit wurden
bis Juni 2021 rund 12.000 Anom-Krypto-Handys gezielt an Gangs verkauft.
Was die Käufer nicht wussten: In die Verschlüsselungs-Software war eine
Backdoor eingebaut. Alle Nachrichten wurden daher unverschlüsselt auf einen
Polizeiserver geleitet. Insgesamt wurden auf diese Weise rund 27 Millionen
Nachrichten aus mehr als hundert Ländern registriert. Das FBI verteilte
diese Nachrichten, in denen offen über Drogen- oder Geldwäsche-Deals
gechattet wurde, an die jeweiligen nationalen Polizeibehörden.
Auch die deutsche Polizei profitierte von der Anom-Operation. Es gab rund
860 Ermittlungsverfahren mit bereits über 300 Verurteilungen, überwiegend
wegen Drogenhandels.
## Wurde rechtsstaatliche Standards eingehalten?
Dabei war bisher aber unbekannt, in welchem Staat der Polizeiserver stand,
bei dem die kriminellen Krypto-Nachrichten aus aller Welt eingingen.
Bekannt war nur, dass es sich um einen EU-Staat handelte.
Ein Drogenhändler, der vom Landgericht Mannheim Anfang 2024 zu einer
Freiheitstrafe von sechseinhalb Jahren verurteilt worden war, machte
geltend, dass die Operation Anom überhaupt nicht richtig kontrolliert
werden konnte. Wenn man nicht wisse, welche Polizei auf welcher
Rechtsgrundlage den Server betrieb, sei auch unklar, ob rechtsstaatliche
Standards eingehalten wurden.
Die deutschen Strafgerichte bis hin zum Bundesgerichtshof teilten diese
Bedenken jedoch nicht. Da der Polizeiserver in einem EU-Staat stehe, könne
nach dem „Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens“ so lange von der
„Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit“ ausgegangen werden, wie
dies nicht durch entgegenstehende Erkenntnisse erschüttert werde.
Auch eine dreiköpfige Kammer des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) schloss
sich am 23. September dieser Sichtweise an. Es erschließe sich nicht, warum
es auf die Kenntnis des Staates und die dortigen gerichtlichen Beschlüsse
ankommen soll, hieß es.
## Müssen hunderte Fälle neu aufgerollt werden?
Noch bevor dieser BVerfG-Beschluss veröffentlicht wurde, [2][erschien am
Montag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Recherche, die wichtige
Fragen beantwortete.] Danach ist Litauen der EU-Staat, in dem der
Polizeiserver stand. Die FAZ hat auch den Beschluss der litauischen
Richterin vorliegen, die die Weiterleitung der Informationen von diesem
Server an das FBI erlaubte.
Aus der FAZ-Recherche ergibt sich, dass das FBI nach Litauen auswich, weil
es nicht gelungen war, den Beschluss eines US-Gerichts für die
Anom-Operation zu erhalten. Die litauische Richterin wurde auch nicht
korrekt über die Operation informiert. So habe sie nicht gewusst, dass die
Krypto-Handys vom FBI verkauft wurden und dass der Server zum Sammeln der
Nachrichten vom FBI installiert wurde. Auf Anraten der litauischen Polizei
ließ das FBI in seinem Rechtshilfe-Ersuchen wesentliche Informationen
einfach weg. Möglicherweise hätte die Richterin sonst den Beschluss gar
nicht unterschrieben, weil es immer problematisch ist, wenn die Polizei die
Begehung von Straftaten unterstützt, die sie anschließend aufklären will.
Der Frankfurter Strafrechtsprofessor Matthias Jahn sagte der FAZ, dass
angesichts dieser Recherchen die Argumentation der deutschen Strafgerichte
„wie ein Kartenhaus“ in sich zusammenfalle. Möglicherweise müssten die
Verfahren aller 300 Verurteilten, die auf den Anom-Chatdaten beruhten,
wiederaufgenommen werden, so Jahn.
Trotz dieser Recherchen veröffentlichten die Verfassungsrichter an diesem
Mittwoch ihren Beschluss vom 23. September. Vermutlich war die Entscheidung
am Montag, als die FAZ-Recherche erschien, bereits an die
Verfahrensbeteiligten verschickt worden – und dann war für die Richter
nichts mehr zu machen. Die FAZ kam also wohl ein bis zwei Tage zu spät.
Sicher werden nun aber Anwält:innen Wiederaufnahmeverfahren beantragen.
Und wenn das nicht erfolgreich ist, wird wieder das
Bundesverfassungsgericht eingeschaltet.
Wohl keine direkten Auswirkungen haben die FAZ-Recherchen allerdings auf
eine ähnliche Operation der französischen Polizei, die auch zu vielen
Ermittlungsverfahren in Deutschland führte. Dabei hat die französische
Polizei die so genannten Encrochat-Kryptohandys nicht selbst auf den Markt
gebracht, sondern gehackt. [3][Auch hier wurde bisher von deutschen
Gerichten die Nutzung der Chatdaten zur Strafverfolgung erlaubt].
Transparenzhinweis: In einer früheren Version dieses Textes war
fälschlicherweise von „Anon-Handys“ die Rede. Der Name der Geräte lautet
allerdings „Anom“. Wir haben den Fehler korrigiert.
1 Oct 2025
## LINKS
[1] /Bundesverfassungsgericht/!t5009583
[2] https://www.faz.net/aktuell/politik/weltweite-fbi-operation-wie-ermittler-t…
[3] /BGH-erlaubt-Nutzung-von-EncroChat-Daten/!5844194
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Verschlüsselung
Bundesverfassungsgericht
FBI
FAZ
Justiz
Justiz
Schwerpunkt Überwachung
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