| # taz.de -- Zivilcourage gegen Rechts in Thüringen: Ein Dorf kämpft – und v… | |
| > In Ballstädt wollten viele Bewohner einen Neonazi-Treff nicht hinnehmen. | |
| > Doch die Rechten schlugen zurück. Nun herrscht vor allem Angst. | |
| Bild: Aufstehen gegen Rechts tut in Ballstädt öffentlich niemand mehr | |
| Ballstädt taz | In den wenigen Fenstern des gelb gestrichenen Hauses brennt | |
| kein Licht. Kein Geräusch dringt aus dem Inneren. Auch die Straße, in der | |
| das Haus steht, ist menschenleer. Ein Auto, an dessen Rückspiegeln vier | |
| kleine Deutschlandflaggen flattern, fährt zügig vorbei. In einer | |
| Nebenstraße lacht ein Mädchen. Die dörfliche Idylle im thüringischen | |
| Ballstädt scheint perfekt. | |
| Doch die Ruhe trügt. Seit fünf Jahren dient das gelbe Haus als Treffpunkt | |
| der rechten Szene. Hier gehen Neonazis ein und aus, Nazibands spielen auf – | |
| innerhalb kurzer Zeit avancierte das 700-Einwohner*innen-Dorf im Landkreis | |
| Gotha zu einem Dreh- und Angelpunkt der Rechtsextremen in Thüringen. | |
| Die Ballstädter*innen wollten sich das nicht gefallen lassen. Sie kämpften | |
| gegen die Rechten im Dorf – und verloren. Seit im Februar 2014 ein gutes | |
| Dutzend Neonazis die Feier des Kirmesvereins stürmte und zehn Leute | |
| verletzte, steht in dem kleinen Dorf in Thüringen niemand mehr auf gegen | |
| Rechts. „Es ist, als wäre ein Schalter umgelegt worden“, erzählt ein | |
| Bewohner des Dorfes, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. | |
| An der Wand des Feuerwehrhauses hängt noch das Banner: „Ballstädt steht auf | |
| für Demokratie und Vielfalt und gegen rechte Gewalt.“ Doch genauso wie das | |
| Transparent mit der Zeit verblasst ist, sind auch die Stimmen derjenigen, | |
| die sich gegen die Neonazis wehren, immer leiser geworden. Denn die | |
| Geschichte von Ballstädt ist auch die Geschichte einer verarmten Gemeinde, | |
| schleppender juristischer Konsequenzen und fehlender politischer | |
| Aufmerksamkeit. Sie erzählt, wie Zivilcourage schrumpft, wenn die Akteure | |
| allein gelassen werden. | |
| ## Im August 2013 zogen Neonazis in das „Gelbe Haus“ | |
| Begonnen hatte alles im August 2013, als die beiden Neonazis Steffen Mäder | |
| und André Keller beschlossen, in das alte Bäckereigebäude, das sogenannte | |
| „Gelbe Haus“, in der Ballstädter Hauptstraße zu ziehen. Mäder, der kurz | |
| zuvor in Österreich zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt wurde, | |
| musste seinen Umzug zunächst abblasen. Als Mitglied des kriminellen | |
| Netzwerks „Objekt 21“ war er an diversen Brandanschlägen und Einbrüchen | |
| beteiligt. | |
| Keller dagegen zog mit anderen in der Szene bekannten Neonazis in das Gelbe | |
| Haus ein. Er selbst kommt aus dem Umfeld der rechtsextremen | |
| „Hausgemeinschaft Jonastal“, die sich nicht ohne Grund selbst mit „HJ“ | |
| abkürzt | |
| Das Gelbe Haus diente von Anfang an nicht nur als privater Wohnraum: Auch | |
| die Rechtsrock-Band „SKD“ („Sonderkommando Dirlewanger“) hat dort ihre | |
| Zentrale. Die Band hat Lieder mit den Titeln „Führer Adolf“ oder „The Fi… | |
| Race War“ veröffentlicht und kokettiert auf ihren CD-Covern offen mit dem | |
| Hakenkreuz. Thomas Wagner, der langjährige Frontmann, ist Miteigentümer des | |
| Hauses, der in Österreich verurteilte Steffen Mäder war Gitarrist der Band. | |
| Auch die als rechtsextrem eingestufte Kameradschaft Garde 20/Turonen hat | |
| ihren Hauptsitz in dem Privathaus. Das Netzwerk wird vom Verfassungsschutz | |
| beobachtet. | |
| ## Mindestens 15 rechte Immobilien in Thüringen | |
| Dass private Immobilien im ländlichen und strukturschwachen Raum | |
| strategisch durch Neonazis genutzt werden, ist keine Seltenheit. Derzeit | |
| überwacht der Verfassungsschutz 136 solcher Immobilien in Deutschland, die | |
| mobilen Beratungsstellen gehen von noch weitaus höheren Zahlen aus – | |
| Tendenz steigend. | |
| Zählte die Mobile Beratung in Thüringen (MOBIT) 2015 noch neun rechte | |
| Immobilien, sind es mittlerweile mindestens 15. „Die Strategie wird | |
| beliebter“, erklärt Felix Steiner von MOBIT. „Die Neonazis bemerken, wie | |
| viel weniger angreifbar sie in privaten Räumen sind.“ Die Polizei könne | |
| kaum eingreifen, wenn Neonazis verfassungsfeindliche Symbole offen und ihre | |
| Ideologie weitertragen. | |
| Doch die Ballstädter*innen wollten das nicht hinnehmen. Sie gründeten ein | |
| Bündnis gegen Rechts und begannen unmittelbar nach dem Einzug der Neonazis, | |
| diverse Protestveranstaltungen zu organisieren: Demonstrationen, | |
| Infoveranstaltungen, Filmvorführungen und Lesungen. „Jetzt macht das keiner | |
| mehr“, sagt ein Bewohner des Dorfes, der genauso wenig wie die anderen | |
| Beteiligten seinen Namen in der Zeitung lesen möchte. | |
| Im Dezember tauchte dann ein „NO NAIZ“-Schriftzug (Fehler im Original) an | |
| der gelb gestrichenen Hauswand auf und eine Scheibe war eingeschlagen. Das | |
| Ballstädter Bündnis gegen Rechts distanzierte sich sofort. Doch die Gruppe | |
| im Gelben Haus sah das anders. | |
| ## Neonazis stürmen Kirmesfeier | |
| „Wer hat die Scheibe eingeworfen?“, soll einer der Männer gerufen haben, | |
| die die Kirmesfeier in der Nacht vom 9. auf den 10. Februar 2014 stürmten. | |
| Nur zwei Minuten dauerte der Angriff: Die vermummten Neonazis traten auf am | |
| Boden liegende Menschen ein und schleuderten andere über die Tresen. Viele | |
| verletzten sich an den Scherben der zu Bruch gegangenen Scheiben. Eine | |
| Gruppe von Frauen verschanzte sich im Nebenraum. „Nie im Leben habe ich | |
| eine solche Angst verspürt“, beschrieb eine Zeugin die Tat später in einem | |
| Zeitungsbericht. „Ich ärgere mich vor allem darüber, dass die Täter so | |
| feige waren“, erzählt ein anderer. „Sie haben uns keine Chance gelassen, | |
| uns zu wehren.“ | |
| „Seitdem ist das Dorf in Schockstarre“, sagt ein weiterer Bewohner, der | |
| unerkannt bleiben will. Zu groß ist die Angst, erneut zur Zielscheibe der | |
| Neonazis zu werden. | |
| Dabei sah es zunächst so aus, als könnte der Fall leicht geklärt werden: | |
| Der Polizei gelang es innerhalb weniger Tage, die Täter zu identifizieren | |
| und Thomas Wagner, einer der Haupttäter, landete in Untersuchungshaft. Nach | |
| zweieinhalb Monaten brach er sein Schweigen, gestand und wurde wieder frei | |
| gelassen. | |
| Am 2. Dezember begann schließlich der Prozess am Landgericht Erfurt. | |
| Ermittelt wurde gegen 15 Neonazis: eine Frau und 14 Männer. Am 24. Mai | |
| 2017, also über drei Jahre nach dem Überfall, verkündete der Richter das | |
| Urteil. Neun wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt, ein Angeklagter erhielt | |
| eine Bewährungsstrafe und vier wurden mangels Beweisen freigesprochen. Und | |
| dann stellten die Neonazis Antrag auf Revision – und warten bis heute auf | |
| das Ergebnis. Das bedeutet, dass der Prozess immer noch nicht endgültig | |
| abgeschlossen ist und die Täter sich nach wie vor frei in Ballstädt bewegen | |
| dürfen. | |
| ## Der Gegenbewegung ist die Luft ausgegangen | |
| Während des Prozesses und bis heute gingen die Täter weiter im Gelben Haus | |
| ein und aus. Das Gebäude liegt sehr zentral in der Hauptstraße des kleinen | |
| Orts – die Betroffenen des Überfalls wohnen alle nur wenige Minuten Fußweg | |
| von dem Haus entfernt. Ein Opfer des Überfalls, das auch in der Allianz | |
| gegen Rechts engagiert war, wohnt in der gleichen Straße, höchstens fünf | |
| Minuten entfernt vom Gelben Haus. Wegziehen kommt für ihn trotzdem nicht in | |
| Frage. „Hier sind meine Freunde und meine Familie“, erzählt er. „Und | |
| außerdem halten die Leute hier zum Teil seit dem Überfall mehr zusammen | |
| denn je.“ | |
| Dennoch: Der Gegenbewegung ist die Luft ausgegangen. Direkt nach dem | |
| Überfall hatten sich viele noch gedacht: Jetzt erst recht. Aber | |
| mittlerweile haben die Ballstädter*innen den Mut verloren. „Keiner möchte | |
| mehr im Rampenlicht stehen“, heißt es im Dorf. „Sollen wir nochmal unseren | |
| Kopf hinhalten?“, fragt ein anderer. | |
| Einige sind frustriert, weil der Prozess so lange dauert und sie auch so | |
| keinen Weg mehr sehen, wie sie die Neonazis loswerden sollen. Dazu bräuchte | |
| die Gemeinde genügend Geld, um die Immobilie abzukaufen. Unterstützung vom | |
| Land Thüringen gebe es quasi keine, heißt es. „Die Politiker sind nur am | |
| Anfang alle gekommen, um sich zu profilieren. Jetzt hilft uns keiner mehr.“ | |
| Ein anderer Grund für den Frust ist auch die ständige Diskussion um die | |
| politische Dimension der Tat. Während des Prozesses zeigten die Neonazis | |
| zum Beispiel durch T-Shirts mit Aufschriften wie „too white for you“ | |
| eindeutig ihre politische Einstellung. Dennoch konnte der Richter keine | |
| Nazi-Tat feststellen. Stattdessen hieß es immer wieder, ein Konflikt sei | |
| eskaliert – ausgelöst dadurch, dass irgendjemand einen Stein durch die | |
| Fensterscheibe im Gelben Haus geworfen habe. | |
| Auch Bürgermeister Horst Dünkel, CDU, sieht das so: „Ohne die eingeworfene | |
| Fensterscheibe wäre das alles wohl nicht passiert.“ Vor allem wünscht | |
| Dünkel sich aber, dass die negativen Schlagzeilen endlich aufhören. „Es | |
| stört, dass der Ort in der Presse andauernd negativ dargestellt wird. Das | |
| ist furchtbar für einen Bürgermeister.“ Zudem gebe es eigentlich keinen | |
| Konflikt mehr in Ballstädt: „Vor etwa einem Jahr hat ein Kurde einen | |
| Dönerladen im Ort eröffnet. Und der wird sehr gut angenommen“, so Dünkel. | |
| „Auch die Rechten haben dort schon Döner geholt.“ | |
| Kristin Pietrzyk, die zwei der Opfer des Überfalls im Prozess vertreten | |
| hat, steht der Haltung des Bürgermeisters äußerst kritisch gegenüber. „Die | |
| konservative Mitte scheut sich vor jedem politischen Konflikt und tut | |
| einfach so, als gebe es die Nazis nicht“, so die Anwältin. Für sie ist auch | |
| die politische Dimension klar: „Das war eine Botschaftstat. Mit dem | |
| Scheibeneinwurf hatte der Überfall auf die Kirmesgesellschaft nichts zu | |
| tun“.“ Vielmehr hätten die Neonazis den Vorfall als Vorwand genutzt, um zu | |
| demonstrieren: Wenn ihr uns als Rechte darstellt, dann habt ihr Ärger. | |
| Auch wenn das Leben im Dorf selbstverständlich weitergeht und momentan | |
| nicht viel von den Bewohner*innen des Gelben Hauses zu hören ist: Die erste | |
| Runde im Kampf um die Straße haben die Ballstädter*innen verloren. | |
| 20 Sep 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Miriam Schröder | |
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