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# taz.de -- Prozessauftakt gegen Turonen: Wenn Nazis mit Drogen handeln
> Einst organisierten die Turonen Rechtsrockkonzerte, dann stiegen sie ins
> Drogengeschäft ein. Nun stehen sie vor Gericht, unter ihnen ein
> Szeneanwalt.
Bild: Die rechtsextremen „Turonen“, benannt nach einem germanischen Stamm, …
Erfurt taz | Da also sitzt Thomas W. wieder. Am Mittwoch wird der Hüne mit
acht anderen Angeklagten in einen Saal der Messehalle Erfurt geführt, den
das Landgericht wegen des Großprozesses eigens organisierte. Schon vor
einem Jahr wurde der 46-Jährige hier mit acht anderen Rechtsextremen wegen
[1][eines brutalen Angriffs auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt
verurteilt], bei der es damals zehn teils Schwerverletzte gab. Nun ist er
wieder angeklagt. Diesmal als Chef der „[2][Turonen]“, einer Thüringer
Neonazibande, die sich zuletzt ein neues Spielfeld suchte: das
Drogengeschäft.
In Handschellen betreten Thomas W. und die meisten anderen Angeklagten den
Saal. Sechs Männer und drei Frauen sind es, eine davon die Lebensgefährtin
von Thomas W., eine andere die Cousine. Thomas W. hat eine kleine 20 ins
Gesicht tätowiert, für den 20. Buchstaben im Alphabet, das T. für
„Turonen“. Er wirkt gelassen.
Andere Mitangeklagte dagegen verbergen ihre Gesichter, wirken angespannt.
Zu Letzteren gehört ein besonderer Angeklagter: der Szeneanwalt Dirk
Waldschmidt, der für die Geldwäsche zuständig gewesen sein soll. Der Hesse
wurde als NPD-Funktionär bekannt und weil er [3][kurzzeitig den
Lübcke-Mörder Stephan Ernst vertra]t.
Kopf der Turonen aber war [4][Thomas W.] Seit seiner Jugend gehört er zur
rechtsextremen Szene, wurde mehrfach verurteilt. 2015 gründete er die
Turonen, mit Clubhaus im Dorf Ballstädt, wo er selbst wohnte. Wie Rocker
traten sie in schwarzen Kutten auf, mit Pflichttreffen, Schweigekodex und
der „Garde 20“ als Unterstützertrupp. Zunächst organisierten sie
Rechtsrockkonzerte, darunter das bislang größte auf deutschem Boden mit
6.000 Neonazis 2017 in [5][Themar].
## Drogen bei der Oma versteckt
Laut Anklage sollen sich die Turonen ab Herbst 2019 dann auch dem
Drogenhandel gewidmet haben, abermals organisiert von Thomas W. Die Drogen
– Kokain, Crystal, Ecstasy, Cannabis – soll er vom ebenfalls angeklagten
Aachener Peter-Timm M. erworben und in Thüringen an Kuriere verteilt haben.
Kommuniziert wurde über Kryptohandys. Thomas W.s Cousine soll die Drogen
gelagert haben, auch bei ihrer Mutter oder Großmutter. Seine
Lebensgefährtin soll die Gelder eingetrieben haben, auch mit der Androhung
von Schlägern. In 198 Fällen soll die Gruppe so Drogen verkauft und einen
Gewinn von gut 800.000 Euro gemacht haben.
Und es blieb nicht dabei. In Gotha betrieben die Turonen ein [6][zweites
Clubhaus], in dem Ermittler Hakenkreuze und eine Hitlerbüste fanden. Auch
ein Bordell, „Die blaue Lagune“, wurde eröffnet, für ein zweites war
bereits eine Immobilie erworben. Laut Anklage wurde in einem Fall eine Frau
auch zur Zwangsprostitution wegen angeblicher Schulden gezwungen – die
Cousine von Thomas W. hütete derweil deren Kleinkind.
## Geldwäschevorwürfe gegen Szeneanwalt
Eine besondere Rolle kam offenbar Szeneanwalt Waldschmidt zu. Er soll als
„Ehren-Turone“ die Drogengelder über eine eigens auf den Namen seiner Frau
gegründeten Immobilienfirma „gewaschen“ haben. Dafür ließ er laut Anklage
Drogengelder unter anderem auf das Konto seines minderjährigen Sohnes
überwiesen. In der Immobilienfirma stellte der 57-Jährige dann mehrere
Turonen als angebliche Facility-Manager oder Büromitarbeiter ein und zahlte
ihnen monatliche Gehälter – ohne dass diese dafür laut Anklage je
gearbeitet hätten. Zudem soll Waldschmidt für die Gruppe Immobilien
erworben und Festgenommene gedrängt haben, keine Aussagen gegen die Turonen
zu machen. In einem Fall soll er auch ein Schweigegeld angeboten haben.
Über eine zufällig abgefangene Drogenfahrt und abgehörte Telefonate gelang
es Ermittlern schließlich, die Gruppe im Februar 2021 hochzunehmen. Bei der
Verhaftung von Thomas W. fanden sie damals eine Schrotflinte, bei
Waldschmidt einen Taser, bei anderen Schreckschusswaffen, Messer oder
Drogen.
Im Erfurter Prozess listet die Staatsanwaltschaft am Mittwoch über Stunden
diese Vorwürfe auf. Und sie betont: Die Einnahmen hätten auch politischen
Zwicken gedient, um die Existenz der Turonen zu „verfestigen“. Zudem wurde
auch der Thüringer NSU-Waffenbeschaffer [7][Ralf Wohlleben] unterstützt.
Auch er war bei Waldschmidts Firma scheinangestellt, erhielt zehn Monate
lang je 450 Euro.
## Die Angeklagten schweigen
Der Fall Turonen zeigt, wie sehr Teile der Szene heute mit der
organisierten Kriminalität verquickt sind. Verhandelt werden soll darüber
noch bis Dezember. Die Beweisaufnahme könnte zäh werden: Alle neun
Angeklagten erklärten am Mittwoch, keine Aussage machen zu wollen – ganz im
Sinne der Schweigepflicht der Turonen.
Die nicht festgenommenen Turonen machten derweil zuletzt offenbar weiter.
Erst vor zwei Wochen rückte die Polizei erneut zu einem Großeinsatz aus,
[8][um sieben weitere Beschuldigte festzunehmen]. Die Vorwürfe auch hier:
Drogengeschäfte und Geldwäsche. Und gefunden wurden erneut scharfe Waffen.
30 Jun 2022
## LINKS
[1] /Milde-Strafen-fuer-Ueberfall-in-Ballstaedt/!5784921
[2] /Neonazis-und-organisierte-Kriminalitaet/!5761080
[3] /Neue-Aussage-im-Fall-Luebcke/!5651360
[4] /Neonazis-und-organisierte-Kriminalitaet/!5761080
[5] /Neonazikonzerte-in-Themar/!5455542
[6] /Neonazis-und-organisierte-Kriminalitaet/!5761080
[7] /NSU-erneut-vor-Gericht/!5815879
[8] /Razzien-gegen-Thueringer-Turonen/!5861679
## AUTOREN
Konrad Litschko
## TAGS
Rechtsextremismus
Thüringen
Schwerpunkt Neonazis
Justiz
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