# taz.de -- Datenlöschung bei NSU-Aufklärung: Bayerns LKA löscht 565.000 Dat… | |
> Der bayerische NSU-Untersuchungsausschuss hat den LKA-Chef einbestellt. | |
> Seine Behörde hatte Daten im großen Stil gelöscht. | |
Bild: Rechenzentrum des LKA München | |
MÜNCHEN taz | Die Sache sei schon sehr misslich, gestand Harald Pickert, | |
Präsident des bayerischen Landeskriminalamts, am Donnerstag im | |
Weiße-Rose-Saal im bayerischen Landtag ein. Der | |
[1][NSU-Untersuchungsausschuss] war zu seiner sechsten Sitzung | |
zusammengetreten, Pickert als Zeuge geladen. Er wolle sich in aller Form | |
entschuldigen, und ja, es sei ein Fehler passiert, Datensätze seien | |
gelöscht werden. Pickert machte aber auch keinen Hehl daraus, dass er die | |
Folgen der Panne für nicht besonders gravierend hält: „Ich gehe davon aus, | |
dass die für Ihre Arbeit relevanten Informationen noch vorhanden sind.“ | |
Die Vertreter der Oppositionsparteien sind da skeptisch. Das machte auch | |
Ausschussvorsitzender Toni Schuberl von den Grünen gleich zu Beginn der | |
Sitzung klar. Es seien immerhin trotz eines bestehenden Löschmoratoriums | |
565.000 Datensätze zu 29.000 Personen gelöscht worden. Mindestens eine | |
Person habe in einem Zusammenhang mit dem Untersuchungsauftrag des | |
Ausschusses gestanden. Der genaue Umfang des Schadens sei noch nicht | |
absehbar, man wisse auch nicht, wie viele Daten rekonstruierbar seien. | |
Gerade die Frage, welche Personen tatsächlich einen Bezug zum NSU-Komplex | |
hätten, sei ja „eine der großen offenen Fragen“, über deren Bewertung es | |
unterschiedliche Meinungen gebe. Schlimmstenfalls, befürchtete Schuberl, | |
seien nun Hinweise auf weitere Unterstützer der Terrorzelle verschütt | |
gegangen. Obwohl er vorsichtig optimistisch sei, dass die Arbeit des | |
Untersuchungsausschusses durch die Datenpanne nicht massiv behindert werde, | |
müsse man sehr skeptisch sein. „In dem Komplex gab es bereits zu viele | |
Zufälle. Das gebietet es, misstrauisch zu sein.“ Schubert erinnerte an | |
etliche dubiose Datenlöschungen in der Geschichte der NSU-Ermittlungen wie | |
die „Operation Konfetti“, bei der das Bundesamt für Verfassungsschutz Akten | |
zum Einsatz eines V-Manns in Thüringen gelöscht habe. | |
## Krasser Fall von Schlamperei | |
Auch Matthias Fischbach, für die FDP im Ausschuss, zeigte sich alarmiert. | |
Noch aus der laufenden Sitzung heraus versendete der Abgeordnete eine | |
Pressemitteilung, in der er ebenfalls auf die Datenlöschungen hinwies, die | |
es bereits in diversen Ermittlungsbehörden gegeben habe. „Der zweite | |
NSU-Untersuchungsausschuss sollte eigentlich gerade das Ziel verfolgen, | |
verlorenes Vertrauen wiederherzustellen“, schreibt Fischbach dort. „Dass | |
die nun dargestellte Löschung kurz nach Bekanntwerden der Planung dieses | |
Untersuchungsausschusses erfolgte, ist deshalb besonders heikel.“ Er | |
fordert eine detaillierte Aufklärung, wie es zu der Panne habe kommen | |
können. Dazu seien auch weitere Zeugenbefragungen nötig. | |
Für die Panne war nach der Erklärung des LKA-Präsidenten offenbar ein | |
fehlerhaftes Skript verantwortlich, das genau an dem Tag, als es auch im | |
Innenausschuss um die Einsetzung des Untersuchungsausschusses ging, einen | |
eigentlich deaktivierten Löschmodus wieder aktivierte. Der Fehler sei | |
damals zwar schon Systemadministratoren des LKA entdeckt und korrigiert, | |
aber nicht weitergegeben worden, weshalb man in der LKA-Leitung erst im | |
Juni darauf gestoßen sei. Ein „krasser Fall von Schlamperei und Chaos im | |
LKA“, konstatierte Ausschuss-Chef Schuberl. | |
Laut Pickert sind von der Löschung allerdings höchstwahrscheinlich keine | |
Datensätze betroffen, die nicht weiterhin auch an anderer Stelle, | |
überwiegend auf Papier existierten. Es sei vielmehr eine komfortable | |
grafische Oberfläche betroffen gewesen, in die die Originaldaten überführt | |
worden seien. Er könne zwar „nicht einhundertprozentig“ ausschließen, dass | |
vereinzelt Daten verloren gegangen seien, gehe aber nicht davon aus. Im | |
Prinzip sei sogar alles, was gelöscht worden sei, wieder rekonstruierbar. | |
Entsprechend undramatisch sieht die CSU die Angelegenheit. | |
Vize-Ausschussvorsitzender Josef Schmid meinte, das klinge ja jetzt „noch | |
weniger schlimm“ als in einem ersten nicht öffentlichen Bericht des | |
LKA-Präsidenten. Und sein Parteikollege Norbert Dünkel zeigte sich von der | |
ganzen Nachfragerei der Oppositionsparteien genervt: „Wir sind ja hier | |
nicht der Häkchen-Ausschuss.“ Man solle doch nun wieder zur inhaltlichen | |
Arbeit zurückkehren. | |
## In Bayern ermordete der NSU fünf Menschen | |
Der Untersuchungsausschuss war am 19. Mai eingesetzt worden. Alle | |
Fraktionen hatten seiner Einsetzung zugestimmt – auch wenn die | |
Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler sowie die FDP Skepsis angemeldet | |
hatten, ob der Ausschuss nach so langer Zeit tatsächlich noch neue | |
Erkenntnisse gewinnen könne. Es ist bereits das zweite Mal, dass sich ein | |
solcher Ausschuss im [2][bayerischen Landtag mit dem NSU-Komplex] | |
beschäftigt. 2013 hatte der erste seine Arbeit abgeschlossen. Auch im Bund | |
und anderen Bundesländern gab es bereits Untersuchungsausschüsse – | |
insgesamt 13 Stück. Ein 14. bearbeitet das Thema derzeit in | |
Mecklenburg-Vorpommern. | |
Das Gremium soll erneut die Hintergründe der Terrorverbrechen des | |
„Nationalsozialistischen Untergrunds“ in Bayern beleuchten. Hier fand die | |
Hälfte der NSU-Morde statt: In Nürnberg wurden Enver Simsek, Abdurrahim | |
Özüdogru und Ismail Yasar, in München Habil Kilic und Theodoros Boulgarides | |
von den Terroristen umgebracht. Das besondere Augenmerk des Ausschusses | |
wird dabei auf ein etwa in Nürnberg sehr aktives Unterstützernetzwerk in | |
der Neonazi-Szene gelegt werden. Hier interessieren sich die Abgeordneten | |
beispielsweise für das noch immer nicht aufgeklärte Taschenlampenattentat | |
auf eine Nürnberger Kneipe, bei dem der Wirt schwer verletzt worden war. | |
Auch die Rolle der Behörden steht bei den Ermittlungen im Fokus der | |
Parlamentarier: Wie war es möglich, dass die Terrorzelle über ein Jahrzehnt | |
lang unbehelligt blieb und in dieser Zeit zehn Morde und etliche weitere | |
Verbrechen begehen konnte? Warum wurden [3][lange Zeit vor allem die Opfer | |
verdächtigt]? Ermittelte die Polizei einseitig? Seine Arbeit muss der | |
Ausschuss bis zum Ende der Legislatur im Herbst 2023 zu Ende gebracht | |
haben. | |
8 Jul 2022 | |
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## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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