# taz.de -- Verfassungsschutz und „Querdenker“: Jetzt kann abgehört werden | |
> Nach der Einstufung des Coronaprotests gibt es Lob und Kritik aus der | |
> Politik. Die „Querdenker“ flüchten sich in Zynismus – und mobilisieren | |
> weiter. | |
Bild: Der Staat sagt Stopp: Polizeikräfte stoppen Corona-Protestierende in Wie… | |
BERLIN taz | Michael Ballweg flüchtet sich in Zynismus. „Der | |
Verfassungsschutz kann uns gerne beobachten, dann kann er noch was über die | |
Demokratie lernen“, sagt der Stuttgarter Querdenken-Anführer am Mittwoch | |
der taz. Es sei doch bezeichnend, dass sich der Geheimdienst eine eigene | |
Kategorie „ausdenken musste, um friedliche Bürger zu beobachten“. An dem | |
Protest seiner Bewegung werde sich durch die Einstufung aber nichts ändern, | |
sagt der [1][IT-Unternehmer Ballweg]. „Natürlich nicht.“ | |
Der Verfassungsschutz sieht das mit dem friedlich allerdings inzwischen | |
anders – und schritt nun zur Tat. Am Mittwochmorgen erklärte das Bundesamt | |
den seit gut einem Jahr währenden Coronaprotest [2][zum bundesweiten | |
Beobachtungsobjekt]. | |
„Legitime Proteste und Demonstrationen gegen die Coronapolitik werden immer | |
wieder, und in jüngerer Zeit zunehmend, instrumentalisiert und Eskalationen | |
provoziert“, verlautbarte das Amt. Demokratische Institutionen würden „in | |
sicherheitsgefährdender Art und Weise delegitimiert und verächtlich | |
gemacht“. | |
Der Verfassungsschutz benennt dabei „zuvörderst“ Ballwegs | |
„Querdenken“-Bewegung. Sie und andere suchten Verbindungen zu | |
Rechtsextremen, riefen dazu auf, behördliche Anordnungen zu ignorieren und | |
verbreiteten Verschwörungsmythen wie QAnon, was eine „erhebliche | |
katalysatorische Wirkung“ habe. All dies ziele darauf, das Vertrauen in | |
staatliche Institutionen „nachhaltig zu erschüttern“. | |
## Drohungen, Widerstandsaufrufe, Todesliste | |
Der Schritt zeichnete sich ab. Zuletzt war es bei den Protesten immer | |
wieder zu [3][Angriffen auf Polizeikräfte] und Medienvertreter:innen | |
gekommen. Aus der Szene kamen Morddrohungen an Politiker:innen, aufgerufen | |
wurde zu [4][Widerstandsaktionen]. Jüngst erst kursierte auf Telegram eine | |
Liste mit Bundestagsabgeordneten, die dem neuen Infektionsschutzgesetz | |
zustimmten, mit der Bezeichnung „Todesliste deutscher Politiker“. | |
Und schon im Dezember hatte der Verfassungsschutz in [5][Baden-Württemberg] | |
Ballwegs „Querdenken 711“, auch bundesweit einer der Hauptorganisatoren der | |
Proteste, unter Beobachtung gestellt. Es folgten die Landesämter in Bayern, | |
Hamburg und Berlin. | |
Zuletzt hatte auch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine Einstufung | |
gefordert. „Es ist völlig unbestritten, dass Menschen für ihre Meinung auf | |
die Straße gehen können, das bleibt unangetastet“, erklärte er am Mittwoch | |
in Berlin. „Aber es ist eine Selbstverständlichkeit, den Rechtsstaat und | |
die Bevölkerung vor Extremisten zu schützen.“ | |
Das Bundesamt für Verfassungsschutz schafft für den Coronaprotest nun ein | |
eigenes Sammelbeobachtungsobjekt: „Verfassungsschutzrelevante | |
Delegitimierung des Staates“. Ähnlich war es zuletzt schon mit der | |
Reichsbürgerszene verfahren. Dem neuen Phänomenbereich werden nun die | |
radikalsten Akteure und Gruppen des Coronaprotests zugeordnet. | |
## Emails können mitgelesen, Spitzel angeworben werden | |
Welche das sind, darüber schweigt das Bundesamt. Ballwegs Stuttgarter | |
Querdenker dürften aber gesetzt sein. Auch Provokateure wie Attila | |
Hildmann, Ken Jebsen oder die Organisatoren des selbsternannten „D-Days“, | |
mit dem Autobahnen blockiert werden sollten, sind Anwärter. Der | |
Verfassungsschutz kann nun Treffen observieren, Emails abfangen und Spitzel | |
anwerben – und auch die undurchsichtigen Finanzströme des Protests mit | |
Kontoprüfungen durchleuchten. | |
Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach begrüßt die Beobachtung: | |
„Querdenker versuchen, die größte medizinische Katastrophe nach dem Zweiten | |
Weltkrieg zu nutzen, um die Demokratie zu destabilisieren. Nichts könnte | |
schäbiger sein.“ Auch Josef Schuster vom Zentralrat der Juden nennt den | |
Schritt „dringend notwendig“, da Rechtsextremisten die Proteste strategisch | |
nutzten, um Anhänger zu gewinnen. | |
Die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic übt indes auch Kritik. „Anstatt | |
die offen antisemitische und rechtsextreme Ideologie vieler Personen der | |
sogenannten Querdenken-Bewegung zu erkennen und zu benennen, verwässert der | |
Verfassungsschutz mit dieser neuen Kategorie die Analyse rechtsextremer | |
Bewegungen.“ Bei allem „bürgerlichen Tarnumhang“ der Bewegung müsse | |
„Rechtsextremismus auch in neuen Formen und Facetten als das erkannt | |
werden, was es ist“. | |
## „Querdenker“ mobilisieren weiter | |
Die „Querdenker“ setzen ihren Protest derweil fort. Bereits fürs Wochenende | |
mobilisieren sie erneut zu Kundgebungen und Autokorsos in mehreren Städten. | |
Einer der Schwerpunkte ist Weimar, wo es zuletzt eine [6][Hausdurchsuchung | |
bei einem Amtsrichter] gab, der zuvor die Maskenpflicht für zwei Kinder an | |
Schulen für ungültig erklärt hatte. Gegen ihn wird wegen Rechtsbeugung | |
ermittelt. In Protestaufrufen der Querdenken ist von einer „politischen | |
Justiz“ die Rede. Der Staat habe „eine rote Linie überschritten“. | |
28 Apr 2021 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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