| # taz.de -- Migrationspakt aus ExpertInnen-Sicht: Was wirklich im Vertragstext … | |
| > Das UN-Abkommen ist umstritten. Rechte verbreiten Falschmeldungen | |
| > darüber. Der vollständige Vertragstext – kommentiert von ExpertInnen für | |
| > Migration. | |
| Bild: Rechte werten den UN-Migrationspakt als Beweis für eine Verschwörung | |
| Berlin taz | Alle Länder der Welt hatten sich geeinigt, [1][mit Ausnahme | |
| der US-Regierung von Donald Trump]. Wer sich daran erinnert, wie unendlich | |
| schwierig ein solcher globaler Konsens etwa beim Klimaschutz ist, der mag | |
| eine Ahnung davon bekommen, welche diplomatische Leistung hinter dem | |
| [2][UN-Pakt für das Epochenthema Migration] steht. Diese war „schon immer | |
| Teil der Menschheitsgeschichte“, heißt es in der Präambel des Paktes. Doch | |
| ein globales Regelwerk für sie fehlt, bis heute. Die Verhandlungen dafür | |
| liefen seit mehr als zwei Jahren, ohne dass die Medien oder die | |
| Öffentlichkeit daran größeres Interesse gezeigt hätten. Das hat sich nun | |
| geändert. Vor der Konferenz im Dezember in Marrakesch, auf der der „Globale | |
| Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ verabschiedet | |
| werden soll, nutzen populistische Kräfte in vielen Ländern den Pakt zur | |
| politischen Mobilisierung – mit teils vollkommen falschen Behauptungen und | |
| Verschwörungstheorien. Die Bundesregierung verteidigt den Pakt, weil er ein | |
| wichtiges Instrument sei, um globale Probleme zu lösen, doch [3][selbst | |
| Teile der CDU wollen den Pakt kippen] – und die AfD will mit dem Thema | |
| ihren EU-Wahlkampf betreiben. | |
| Die taz hat WissenschaftlerInnen und andere Fachleute um ihre Beurteilungen | |
| des Paktes und der kursierenden Behauptungen gebeten. Hier kurze | |
| Zusammenfassungen der Einschätzungen, durch Klicken auf die Titel kommen | |
| sie zu den ausführlichen Versionen: | |
| [4][Eine historische Chance:] Anlass für Verschwörungstheorien bietet der | |
| Pakt keine, sagt Steffen Angenendt von der Stiftung Wissenschaft und | |
| Politik. Stattdessen sei er einer einmalige Gelegenheit, Migration so zu | |
| regeln, dass alle Beteiligten von ihr profitieren. | |
| [5][Die Regelung der Rechte:] Einzelne Staaten können das | |
| grenzüberschreitende Phänomen der Migration nicht allein regeln, sagt die | |
| Wissenschaftlerin Petra Bendel – und ein globales Regelwerk zu Migration | |
| fehlte bislang. Der Pakt biete die Chance, die Interessen von Herkunfts- | |
| und Zielländern zusammen zu bringen | |
| [6][Nicht das Ende, sondern der Anfang des Prozesses:] Der Pakt ist das | |
| Ergebnis einer neuen Verknüpfung der internationalen Debatten zu Migration | |
| und Entwicklung, sagt der Wissenschaftler Stefan Rother. Er sieht den Pakt | |
| als Aufforderung, „das Beste“ aus der Migration zu machen. | |
| [7][Die Zivilgesellschaft saß mit am Tisch:] Samir Abi aus Togo hat als | |
| Vertreter der afrikanischen Zivilgesellschaft an den UN-Verhandlungen zum | |
| Migrationspakt teilgenommen. Behauptungen, diese seien im Geheimen | |
| abgelaufen, kann er nicht nachvollziehen: An dem Verfahren seien alle | |
| Staaten ausführlich beteiligt worden. Das Recht auf Mobilität aller | |
| Menschen wollten viele Staaten aber nicht anerkennen. | |
| [8][An gemeinsamer Verantwortung festhalten:] Die Erwartungen an den Pakt | |
| sind so unterschiedlich, dass kaum absehbar ist, welche Folgen er in der | |
| Praxis haben wird, sagt Ramona Lenz von der Hilfsorganisation medico | |
| international. Dennoch sei es wichtig, den Pakt als symbolisches Bekenntnis | |
| zu den Rechten von Migrant_innen zu verteidigen. | |
| [9][Grundrechten Geltung verschaffen:] Der Pakt geht kaum über das hinaus, | |
| was längst internationales Recht ist, sagt der Jurist Maximilian Pichl. | |
| Doch die vorgesehenen Prüfmechanismen bieten immerhin die Chance, Rechte | |
| von MigrantInnen künftig wirksamer durchzusetzen. | |
| [10][Der Pakt soll die Kraft der Migration einhegen:] Es wäre überaus | |
| wünschenswert, wenn Menschenrechte – einklagbar! – an den Grenzen der | |
| Nationalstaaten Einzug erhielten und Bürgerrechte endlich zu | |
| Menschenrechten würden, sagt der Forscher Helmut Dietrich. Doch dies | |
| leistet der Pakt schon deshalb nicht, weil er gar nicht zwischen Staaten | |
| und MigrantInnen, sondern nur zwischen den Staaten untereinander | |
| ausgehandelt wurde. | |
| Und hier geht es zu [11][einer vollständigen Fassung des Vertragstextes]. | |
| Einleitung und Inhalt: Christian Jakob. Umsetzung: Juliane Fiegler. | |
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| Steffen Angenendt: Eine historische Chance | |
| In vielen Ländern behaupten Kritiker, der Pakt räume Migranten aus aller | |
| Welt weitgehende Rechte zur Migration ein und beseitige das Recht | |
| souveräner Staaten, Migrationsfragen selbst zu regeln. Es drohe eine | |
| Umsiedlung. Das ist Unsinn. Einige Staaten, die den Pakt in den vergangenen | |
| Jahren mitverhandelt haben, sind bereits auf den populistischen Zug | |
| aufgesprungen und haben angekündigt, den Pakt nun doch nicht unterzeichnen | |
| zu wollen. | |
| Die Abkehr dieser Staaten wird die Verabschiedung des Paktes nicht | |
| verhindern. Gleichwohl ist eine sachliche Auseinandersetzung jetzt dringend | |
| nötig, weil der Wert des Paktes ganz wesentlich von seiner Umsetzung | |
| abhängen wird, also ob die Regierungen die Chancen, die der Pakt zur | |
| Zusammenarbeit bietet, auch tatsächlich nutzen. Tun sie das nicht, würde | |
| eine historische Chance verpasst, zu einer wirksameren und nachhaltigeren | |
| Steuerung der Wanderungen zu kommen. | |
| Der Pakt ist nicht aus heiterem Himmel gefallen. Er war vielmehr eine | |
| Reaktion auf die starken Zuwanderungen der Jahre 2015 und 2016 nach Europa, | |
| denen gegenüber die EU-Staaten mehr oder weniger hilflos waren. Die | |
| betroffenen Staaten – aber auch viele Regierungen in anderen Weltgebieten – | |
| haben daraus den Schluss gezogen, dass Wanderungsbewegungen nicht mehr | |
| allein national gesteuert werden können, sondern dass dazu eine dauerhafte | |
| und auf Vertrauen beruhende Zusammenarbeit zwischen den Herkunfts-, | |
| Transit- und Aufnahmestaaten erforderlich ist. [12][Die UN-Staaten haben | |
| sich deshalb 2016 in der New York Declaration] darauf geeinigt, einen | |
| Prozess einzuleiten, der eine bessere Zusammenarbeit sicherstellt. | |
| Zu dem Wunsch nach einer wirksamen Steuerung kam noch die wissenschaftlich | |
| inzwischen gut belegte Erkenntnis, dass sichere, geregelte und legale | |
| Migration im Interesse aller Beteiligten liegt – der Herkunftsländer, der | |
| Zielländer und der Migrantinnen und Migranten selbst. In den vergangenen | |
| Jahren ist immer deutlicher geworden, wie sehr die Industriestaaten auf | |
| Zuwanderung angewiesen sind, um ihre Produktivität, ihren Wohlstand und ihr | |
| Versorgungsniveau zu halten, und wie wichtig andererseits die Geldtransfers | |
| und Investitionen der Migrantinnen und Migranten für die Heimatländer und | |
| für die Verbesserung der Lebenschancen der Familien in der Heimat und | |
| mithin für Entwicklung sind. | |
| Diese Erkenntnisse sind in die 23 Ziele des Paktes eingeflossen. Dazu | |
| gehört ausdrücklich auch das Ziel, irreguläre Migration und ihre negativen | |
| Wirkungen auf alle Beteiligten zu reduzieren – unter anderem durch das | |
| Ausstellen von fälschungssicheren Pässen, die Bekämpfung des | |
| Menschenschmuggels und des Menschenhandels, durch eine bessere | |
| Zusammenarbeit der Staaten bei Grenzkontrollen und bei der Rückübernahme | |
| und Reintegration von Migrantinnen und Migranten, die das Aufnahmeland | |
| wieder verlassen müssen. | |
| Der Migrationspakt stellt keinen völkerrechtlich bindenden Vertrag dar, | |
| sondern eine Absichtserklärung, über deren Umsetzung allein die | |
| Unterzeichnerstaaten entscheiden. Sie können ihn umsetzen oder nicht. Der | |
| Pakt ist daher nicht mehr und nicht weniger als ein Gerüst für eine bessere | |
| und wirkungsvollere Migrationspolitik. Dazu bekräftigt der Pakt noch einmal | |
| rechtliche Prinzipien, die die UN-Staaten ohnehin befolgen müssen, weil sie | |
| in völkerrechtlichen Verträgen festgelegt sind. Menschenrechte gehören | |
| selbstverständlich dazu, zudem die Förderung von Rechtsstaatlichkeit und | |
| guter Regierungsführung. | |
| Wichtig ist der Pakt vor allem, weil er den Unterzeichnerstaaten praktische | |
| Unterstützung bei der Zusammenarbeitet bietet, insbesondere beim Aufbau von | |
| Verwaltungsstrukturen, um die Migration besser zu steuern. Zudem hält der | |
| Pakt die Staaten dazu an, sich regelmäßig über ihre Fortschritte bei der | |
| Umsetzung des Paktes auszutauschen und darüber zu berichten. Auch diese | |
| Berichterstattung ist freiwillig. Sie kann dazu beitragen, dass gelungene | |
| Beispiele für Migrationspolitik Schule machen und dass schlechte Ansätze | |
| künftig vermieden werden. | |
| An keiner Stelle aber – und das kann nicht deutlich genug gesagt werden – | |
| greift der Pakt in das Recht von Staaten ein, zu bestimmen, wem sie Zugang | |
| zu ihrem Staatsgebiet gewähren. Auch wenn es immer wieder behauptet wird, | |
| fordert der Pakt keine Ausweitung der Migration. Im Pakt steht | |
| ausdrücklich, dass die Staaten weiterhin ihre eigenen Regeln aufstellen für | |
| die Einreise, die Niederlassung und den Zugang zum Arbeitsmarkt und darüber | |
| souverän entscheiden. Auch wenn die Staaten den Pakt unterzeichnen, werden | |
| sie die Migrationspolitik nach ihren eigenen Zielen und Bedürfnissen | |
| gestalten. Wenn dazu das Ziel gehört, die Zuwanderung auszuweiten, bietet | |
| der Pakt auch dafür einen Rahmen. | |
| Nüchtern betrachtet bietet der Pakt also keinen Anlass für | |
| Verschwörungstheorien. Die Regierungen sollten den Pakt unterzeichnen, weil | |
| er die Chance bietet, eine nachhaltige und wirksame Migrationspolitik zu | |
| verfolgen. Dann aber beginnt erst die eigentliche Arbeit: Die Festlegung | |
| der eigenen migrationspolitischen Ziele, deren Umsetzung und die Kontrolle | |
| der Ergebnisse. | |
| Verfolgen die Regierungen das mit dem gebotenen Nachdruck, wird der Pakt | |
| die Handlungsfähigkeit der Regierungen nicht verringern, sondern verstärken | |
| und der Pakt wird dazu beitragen, dass Migration künftig sicherer, | |
| geordneter stattfindet und positive Folgen für alle Beteiligten hat. | |
| Schließlich sind praktische Erfolge bei der Reduzierung der irregulären | |
| Wanderung und bei der Nutzung der Entwicklungspotenziale von Migration der | |
| beste Weg, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. | |
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| Petra Bendel: Die Regelung der Rechte | |
| Der Pakt für Migration ist ein Kooperationsrahmen. Er schafft ein globales | |
| Regelwerk zur Migration, in dem die unterschiedlichen Interessen von | |
| Herkunfts-, Transit- und Aufnahmestaaten zusammenkommen – bei der | |
| Internationalen Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeiter und | |
| ihrer Familienangehörigen [13][(„Wanderarbeiterkonvention“ von 1990, in | |
| Kraft 2003)] war dies nicht gelungen. Er ist somit als diplomatischer | |
| Erfolg anzusehen. Denn einzelne Staaten können ein per definitionem | |
| grenzüberschreitendes Phänomen nicht allein regeln. | |
| Inhaltlich regelt der Pakt den Schutz der Lebens- und Arbeitsbedingungen, | |
| die Bekämpfung von Menschenhandel, von Ausbeutung und Diskriminierung der | |
| Migrantinnen und Migranten, die Bekämpfung negativer Migrationsursachen, | |
| die Sicherung von Grenzen und den Austausch von Daten und Information. In | |
| vielen Fällen bestärkt der Pakt damit bereits vorhandene Normen und Rechte | |
| – die Menschenrechte, die in [14][der Allgemeinen Erklärung der | |
| Menschenrechte (AEMR)] und [15][der Europäischen Menschenrechtskonvention | |
| (EMRK)] verankert sind. Er fordert deren Einhaltung von allen ein und macht | |
| sie zur Grundlage der Kooperation. | |
| Da der Pakt die Interessen von Herkunfts- wie von Zielländern | |
| berücksichtigt und die Rechte von Migrantinnen und Migranten unterstreicht, | |
| birgt er die Chance einer Triple-Win-Situation. Für die Herkunftsländer | |
| betont er die Notwendigkeit, negative Migrationsursachen zu minimieren, | |
| aber sie auch bei der Reintegration rückkehrender Migranten zu | |
| unterstützen. Für die Transit- und Aufnahmestaaten fördert er Integration | |
| und gesellschaftlichen Zusammenhalt, und den Migrantinnen und Migranten | |
| selbst will er den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, Informationen | |
| und Rechten erleichtern. | |
| Da er dazu finanzielle Unterstützung sowie Unterstützung durch Know How, | |
| etwa beim Aufbau von Verwaltungen zur Migrationssteuerung in Aussicht | |
| stellt, gibt er den Staaten positive Anreize zur Erfüllung dieser Aufgaben. | |
| Zugleich will er einen Überprüfungsmechanismus schaffen, mittels dessen | |
| über regelmäßige Berichte gute Praxisbeispiele gefördert werden können und | |
| Anreize geschaffen werden, um den Pakt mit weiteren Inhalten zu füllen. | |
| Ein Risiko besteht in dem Ausscheren einzelner Staaten. Hier könnte ein | |
| Dominoeffekt losgetreten werden. Die in den Verhandlungen erzielte | |
| Vertrauensbildung unter Herkunfts-, Transit- und Zielstaaten mit ganz | |
| unterschiedlichen Interessen könnte damit unterminiert werden. Ein zweites | |
| Risiko besteht in der Implementation. Es steht zu hoffen, dass genügend | |
| Anreizsysteme da sind, um die Ideen des Paktes auch umzusetzen. | |
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| Stefan Rother: Nicht Ende, sondern Anfang des Prozesses | |
| Die nun etablierte Formulierung „Migrationspakt“ verkürzt, worum es geht: | |
| um eine spezifische Form von Migration, die angestrebt wird, nämlich eine | |
| sichere, geordnete und reguläre. Diese Formulierung kommt nicht von | |
| irgendwoher sondern von [16][den Nachhaltigkeitszielen der UN (SDGs)]. Das | |
| ist wichtig zum Verständnis der Genese des Compacts, denn dieser fußt auf | |
| rund eineinhalb Jahrzehnten internationaler Diskussionen zum möglichen | |
| Zusammenhang zwischen Migration und Entwicklung, die als ein „neues Mantra“ | |
| der Entwicklungspolitik bezeichnet wurde. Diese Diskussionen haben den | |
| Compact erst möglich gemacht. | |
| Dies wird auch etwa in Artikel 6 deutlich gemacht. | |
| Ein zentrales Forum ist [17][das Globale Forum für Migration und | |
| Entwicklung (GFMD)], bei dem Deutschland für 2017 und 2018 mit Marokko den | |
| Vorsitz hat. Beim Berliner GFMD im Juli 2017 wurde bereits offen und | |
| transparent über den geplanten Compact diskutiert, viele der plötzlichen | |
| Kritiker hätten sich also bereits damals quasi „vor der Haustür“ | |
| informieren können. Auch war das gesamte Verhandlungs-Verfahren | |
| überdurchschnittlich transparent, Live-Streams inklusive. | |
| Migrantenorganisationen wurden angemessen eingebunden. Dazu zählt auch die | |
| deutsche Zivilgesellschaft, die unter der Koordination von [18][VENRO, dem | |
| Bundesverband entwicklungspolitischer und humanitärer | |
| Nichtregierungsorganisationen] in den vergangenen zwei Jahren mehrere | |
| Konsultationen durchgeführt hat. PolitikerInnen und Medien wären willkommen | |
| gewesen. | |
| Vollends absurd ist, dass auch nach all den „Das ist der | |
| Migrationspakt“-Beiträgen in deutschen Medien, dieser immer noch | |
| überwiegend unter dem Aspekt Flucht/Geflüchtete diskutiert und entsprechend | |
| bebildert wird. Dabei steht in Artikel 4 ausdrücklich, dass sich der Pakt | |
| auf Migranten bezieht. | |
| In erster Linie geht es um Arbeitsmigration – der derzeit ebenfalls | |
| international diskutierte Compact für Geflüchtete vereint dagegen eine | |
| Vielzahl von teils sehr praktischen Maßnahmen, allerdings mit geringer | |
| Verantwortlichkeit der Staaten. | |
| Man kann debattieren, ob der Compact wirklich das erste globale Abkommen zu | |
| Migration ist. Neben mehreren Konventionen der ILO gibt es auch die | |
| UN-Konvention zum Schutz von Wanderarbeitern und ihrer Familien – eine | |
| Grundrechtskonvention, die allerdings kein einziges größeres Zielland von | |
| Migration unterzeichnet hat, auch die EU-Staaten nicht. Diese bindende | |
| Konvention wird im Compact nur verschämt in einer Fußnote erwähnt, fast wie | |
| ein peinlicher Onkel bei einer Familienfeier. Der Trend, statt auf das | |
| „hard law“ einer Konvention auf das „soft law“ eines Compacts zu setzen, | |
| ist jedenfalls diskutabel. Das pragmatische Argument dafür ist, dass man | |
| nur so möglichst viele Staaten an einen Tisch bekommt. | |
| KritikerInnen behaupten, der Compact idealisiere Migration und verharmlose | |
| die damit verbundenen Probleme, etwa die Formulierungen der Punkte8, 13 und | |
| 14 des Paktes. Ich kann hier keine Idealisierung erkennen: Migration ist | |
| nachweislich eine „Quelle des Wohlstands, der Innovation und der | |
| nachhaltigen Entwicklung“ – aber eben nicht zwangsläufig. Hier wäre ein | |
| „kann …darstellen“ wohl angebrachter gewesen. | |
| Auch die Übersetzung von „governance“ als „Steuerung“ist nicht gelunge… | |
| „governance“ ist ein wesentlich umfassenderer und potentiell inklusiverer | |
| Begriff, der auch die Mitwirkung von MigrantInnen einschließen kann. | |
| Steuerung reduziert diese dagegen auf die bloße Rolle als Objekte von | |
| Politik. Doch solche Kritikpunkte beiseite gelassen, sind diePunkte 8 bis12 | |
| kein idealistisches Wunschbild sondern eine durchaus treffende | |
| Zustandsbeschreibung, verbunden mit dem Motto „Machen wir das Beste | |
| daraus“. | |
| Auch in Punkt 13 und 14 werden Risiken durchaus anerkannt, aber eine | |
| Win-win-Situation angestrebt. Und auch an den in Punkt 15 genannten | |
| Prinzipien dürften bei ehrlicher Betrachtung auch die Kritiker wenig | |
| aussetzen können: Souveränität und die Rule of Law werden hochgehalten, | |
| dazu aber zu Kooperation ermuntert, der Entwicklungsaspekt betont, ebenso | |
| die Rechte von besonders gefährdeten Gruppen. | |
| Zusammenfassend merkt man vielen dieser Punkte die eingangs erwähnte | |
| Herkunft aus der Debatte zu Migration und Entwicklung an. Die Betonung der | |
| Menschenrechte ist ein wichtiges Element. Denn in vielen Staaten der Welt | |
| werden MigrantInnen teils elementare Rechte nicht gewährt. | |
| ## Nun zu einigen Zielen des Compacts: | |
| ## 1. Daten | |
| Es ist unbestritten, dass die Datenlage in Sachen Migration äußerst | |
| verbesserungswürdig ist. Und selbst da, wo Zahlen vorliegen, argumentieren | |
| Politiker und andere Akteure zunehmend mit „gefühlten Daten“ – von Uwe | |
| Tellkamp bis zu Friedrich Merz. An einer besseren Datenlage müssten also | |
| eigentlich alle Akteure interessiert sein – allerdings machen diese allein | |
| noch keine bessere oder passendere Politik. | |
| 2. Fluchtursachen bekämpfen | |
| Hier kommen wieder die Nachhaltigkeitsziele der UN, die Sustainable | |
| Development Goals, ins Spiel. Unfaire Handelspraktiken werden allerdings | |
| nicht erwähnt. Wer weniger Migration will, sollte diesem Abschnitt | |
| eigentlich zustimmen können – ebenso AktivistInnen, die sagen, Migration | |
| solle eine Wahl sein und nicht aus Zwang geschehen („make emigration a | |
| choice, not a necessity“). | |
| ## Unterpunkt Naturkatastrophen und Klimawandel | |
| Das hier behandelte Thema der klimabedingten Migration brennt. Es werden | |
| recht allgemein gehaltene Präventionsmaßnahmen gefordert – an denen auch | |
| Migrationsgegner nichts auszusetzen haben sollten. Dass hieraus – wie von | |
| Friedrich Merz insinuiert – ein neuer Asylgrund abgeleitet werden könne, | |
| ist als absurd. | |
| ## 3. Informationen | |
| Migration sollte eine informierte Entscheidung sein, im Zielland angekommen | |
| sollten MigrantInnen über ihre Rechte und Pflichten gut informiert werden. | |
| Durch Datenbanken können falsche Migrationsanreize vermieden werden – | |
| etwas, was eigentlich auch den Gegnern des Pakts zusagen sollte. | |
| ## 5. Mehr Möglichkeiten für reguläre Migration | |
| Dieser Punkt kann durchaus als Förderung von Migration verstanden werden – | |
| aber eben dadurch, dass sie in geordnete Bahnen gelenkt wird. Wir hatten | |
| vor Jahren schon die alte Debatte in Deutschland, dass Menschen das | |
| Asylverfahren als einzige Einreisemöglichkeit sahen. Mehr reguläre | |
| Migration kann irreguläre Migration reduzieren und gleichzeitig den | |
| Erfordernissen des Ziellandes angepasst werden. Wichtig ist hier der | |
| Verweis auf die ILO-Kernarbeitsnormen. | |
| ## 6. Recruitment | |
| Dieser Punkt wird in der deutschen Debatte fast völlig übersehen: | |
| Ausbeutung durch unethische, ausbeuterische Rekrutierungsagenturen, die | |
| Menschen zur Arbeit in anderen Ländern anwerben, ist ein weitverbreitetes | |
| Problem bei der so genannten Süd-Süd-Migration. In diesem Absatz finden | |
| sich einige wichtige Maßnahmen, die Erpessung, Ausbeutung und Sklaverei | |
| eindämmen helfen. | |
| ## 11. Grenzen | |
| Alle, die auf den „Schutz der Außengrenzen“ drängen, dürften sich zumind… | |
| in der Einleitung wiederfinden, die auf Souveränität und Recht und Ordnung | |
| pocht. Allerdings sind Grenzgebiete auch häufig Orte von | |
| Menschenrechtsverletzungen, und hier macht der Compact einige sehr wichtige | |
| Punkte, nicht zuletzt zu den Rechten von Kindern. Das ist auch der Grund, | |
| weshalb Australien nicht mitmacht – denn das Land missachtet die Rechte von | |
| Flüchtlingen, die es auf Inseln im Pazifik internieren lässt. | |
| ## 17. Diskriminierung | |
| Dieses Ziel wird als Einschränkung der Pressefreiheit kritisiert, vor allem | |
| wegen der Formulierung, Medien, die „systematisch Intoleranz, | |
| Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung | |
| gegenüber Migranten fördern“ solle „öffentliche Finanzierung“ oder | |
| „materielle Unterstützung“ entzogen werden. Das verkennt, dass dieses Ziel | |
| ein klares Bekenntnis zur Meinungsfreiheit enthält. Die hat aber – wie auch | |
| im deutschen Recht festgelegt – dort ihre Grenzen, wo sie zu Hass | |
| aufstachelt oder volksverhetzend wirkt. Auch im Unterpunkt c) wird nochmals | |
| die „volle Achtung der Medienfreiheit“ betont. Doch dass Medien, die zu | |
| Rassismus aufstacheln, nicht noch durch öffentliche Finanzierung gefördert | |
| werden sollte, ist nachvollziehbar. Auch „Sensibilisierung und Aufklärung | |
| von Medienschaffenden hinsichtlich Migrationsfragen und -begriffen, durch | |
| Investitionen in ethische Standards der Berichterstattung“ sehe ich | |
| hierzulande als äußerst notwendig an – selbst die „wohlmeinende“ | |
| Berichterstattung ist oft von Fehlern, Klischees, und Unkenntnis geprägt. | |
| Viele Zeitungen sprechen zudem weiterhin von „illegalen Migranten“ – das | |
| sollte man natürlich nicht verbieten, aber hinsichtlich Sprache | |
| sensibilisieren. | |
| ## 22. Übertragbarkeit von Sozialversicherungs- und erworbenen | |
| Leistungsansprüchen | |
| Gemeint ist hier die Möglichkeit, sich etwa gezahlte | |
| Rentenversicherungsbeiträge auszahlen lassen zu können oder daraus | |
| entstehende Ansprüche gelten zu machen. Das ist in einer zunehmend | |
| globalisierten Welt ein dringend nötiger Punkt – eine Kollegin von mir | |
| beispielsweise hat mittlerweile Rentenansprüche in fünf Ländern. Diese | |
| Rechte sollten aber nicht nur für Fachkräfte ermöglicht werden, sondern für | |
| alle Formen von Arbeitsmigration. | |
| ## Umsetzung | |
| Dies ist ein eher vages Kapitel. Hier hätte ich mir mehr gewünscht. Die | |
| UN-Migrationsagentur IOM soll eine tragende Rolle beim Aufbau eines | |
| Migrationsnetzwerkes übernehmen – allerdings ist die IOM nach eigenem | |
| Verständnis eine „nicht-normative“ Organisation, die nicht an die Normen | |
| der Vereinten Nationen gebunden ist. | |
| ## Weiterverfolgung und Überprüfung | |
| Ebenfalls ein eher schwacher Punkt. Warum tritt das „Überprüfungsforum | |
| Internationale Migration“ erst in vier Jahren das erste Mal zusammen? | |
| Wichtig ist, dass ambitionierte nationale Strategien zur Umsetzung des | |
| Globalen Paktes entwickelt werden sollen. Der Pakt ist nicht bindend, | |
| bietet aber einen guten Anstoß, zahlreiche essentielle Punkte zu | |
| reflektieren und adressieren. Er stellt somit einen soliden Rahmen dar – | |
| allerdings nicht das Ende, sondern erst den Anfang eines Prozesses. | |
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| ## Samir Abi: Die Zivilgesellschaft saß mit am Tisch | |
| Die UN-Prozesse sind bekannt für ihren ökologischen Fußabdruck und ihre | |
| Treibhausgasemissionen in Bezug auf Luftverkehr, Hotelaufenthalte und | |
| Energieverbrauch: Allein für Afrika wurden fünf interregionale | |
| Konsultationen, ein Konsultationsmeeting für die afrikanische | |
| Zivilgesellschaft und ein großes kontinentales Konsultationsmeeting in | |
| Addis Abeba einberufen, um ein zusammenfassendes Dokument afrikanischer | |
| Empfehlungen zu erstellen. | |
| Konsultationssitzungen haben auch auf nationaler Ebene stattgefunden. Etwa | |
| fünfzig Länder haben sich die Mühe gemacht, einen Austausch zwischen den | |
| verschiedenen staatlichen Strukturen, die sich mit Migration befassen, und | |
| der Zivilgesellschaft zu organisieren. Zusätzlich zu allen davon | |
| veröffentlichten Berichte wurde noch ein abschließendes Treffen in Puerto | |
| Vallarta im Mexiko abgehalten, um allen Interessengruppen erneut zuzuhören. | |
| Nach dem Rückzug der USA konnten alle Staaten dort noch einmal Stellung | |
| nehmen. Viele der lateinamerikanischen Länder verurteilten dort die | |
| Position der Vereinigten Staaten. | |
| Doch auch wenn die USA nicht mehr dabei waren – ihr Kernpunkt fand sich in | |
| den Interventionen vieler Staaten wieder: Die Betonung des Recht jedes | |
| Staates, souverän zu bestimmen, wer einreisen darf und wer nicht. Die | |
| Länder, die diesen Punkt stark machten, akzeptierten die Berücksichtigung | |
| der internationalen Menschenrechtsabkommen bei der Ausarbeitung des Global | |
| Compact. Sie lehnten es aber ab, das Recht auf Mobilität aller Menschen | |
| uneingeschränkt im Pakt anzuerkennen. | |
| Sie bestanden darauf, dass der Pakt das Recht der Staaten explizit erwähnt, | |
| Einreise und Aufenthalt von Ausländern in ihr Land gemäß den Erfordernissen | |
| ihrer Wirtschaft zu kontrollieren. Einige Staaten wollten den Global | |
| Compact vor allem zu einem Instrument machen, um gegen irreguläre | |
| Migration, den Schmuggel von und den Menschenhandel mit Migranten | |
| vorzugehen. Der Pakt sollte die Staaten deshalb vor allem auf die | |
| gemeinsame Verantwortung für die Steuerung der Migration verpflichten. | |
| Herkunftsländer sollten an ihre Verantwortung erinnert werden, die Rückkehr | |
| ihrer irregulären Migranten zu akzeptieren – auch wenn diese zur Rückkehr | |
| gezwungen werden. | |
| Andere Staaten hingegen hatten andere Wünsche. Sie wollten, dass der | |
| Compact legale Wege für die Migration ihrer Bürger schafft. Einige | |
| Delegationen forderten gar, dass der Globale Pakt das Visaregime beendet, | |
| das das Recht auf Mobilität ihrer Bevölkerungen blockiert. Hier sei an | |
| folgendes erinnert: Viele der offiziellen afrikanischen Delegationen | |
| konnten nicht an der Sitzung in Puerto Vallarta nicht teilnehmen, da sie | |
| für den Umstieg auf einem Airport in den USA ein Visum gebraucht hätten. | |
| Manche Staaten forderten das Ende der Inhaftierungen für irreguläre | |
| Migranten – besonders von Kindern. Sie bestanden darauf, dass der Pakt | |
| Regeln zur Erleichterung der Familienzusammenführung festlegte, um das | |
| Problem der durch die Migrationspolitik der Zielländer von ihren Eltern | |
| getrennten Kinder zu lösen. | |
| Während der Verhandlungen mahnten einige Staaten auch Lösungen für | |
| Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit an, die sich weltweit ausbreiten. | |
| Diese Staaten haben Beispiele für bewährte Strategien und Verfahren | |
| vorgelegt, die sie auf nationaler oder kommunaler Ebene entwickelt haben, | |
| um die Integration von Migranten zu erleichtern. Zu diesen Strategien | |
| gehört es, den Zugang zu Staatsbürgerschaft, Bildung, Gesundheit, Arbeit | |
| und sozialem Schutz zu verbessern. Auch erfolgreiche | |
| Integrationserfahrungen und Personenfreizügigkeit auf regionaler Ebene in | |
| einigen Teilen der Welt – der EU oder der ECOWAS – wurden als Grundlage für | |
| den Global Compact benannt. Es ist zu hoffen, dass die Politik die aus dem | |
| Compact erwächst, diese erfolgreichen Strategien weiterführt. | |
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| Ramona Lenz: An gemeinsamer Verantwortung festhalten | |
| Weder die Unterstellung, der Migrationspakt untergrabe die | |
| nationalstaatliche Souveränität, noch der Vorwurf, er verwische die Grenzen | |
| von Flucht und Migration oder von „legaler“ und „illegaler“ Migration, | |
| lässt sich anhand des Dokuments belegen. Schon gar nicht ist der Pakt | |
| darauf ausgerichtet, Migrant_innen aus aller Welt Tür und Tor in das | |
| deutsche Sozialsystem zu öffnen und ihnen ebenso wie anerkannten | |
| Flüchtlingen einen Schutzstatus zu gewähren. | |
| Die Ablehnung des Migrationspaktes aus kruden Gründen lässt nun | |
| Befürworter_innen und differenzierungsfähige Kritiker_innen zusammenrücken. | |
| Von konservativen und neoliberalen Kräften aus CDU und FDP über SPD, Grüne | |
| und Linkspartei bis hin zu zivilgesellschaftlichen Akteur_innen stellt sich | |
| ein sehr breites Bündnis hinter den Pakt. Dabei sind aus einer linken, | |
| menschenrechtsbasierten Perspektive die Ziele, die Konservative und | |
| Neoliberale damit verbinden, alles andere als begrüßenswert. Ebenso wenig | |
| stimmt es aus dieser Perspektive hoffnungsvoll, dass der Pakt nicht | |
| verbindlich ist, denn die Umsetzung all der durchaus richtigen Forderungen | |
| nach einer Stärkung der Rechte von Flüchtlingen wie Migrant_innen, nach dem | |
| Ausbau legaler Migrationswege, der Beseitigung von Rassismus und | |
| Diskriminierung und der wirkungsvollen Anerkennung eines Zusammenhangs | |
| zwischen Klimaveränderung und Migration wird dadurch nicht | |
| wahrscheinlicher. | |
| Im Gegenteil: Es wird betont, dass die staatliche Souveränität unangetastet | |
| bleibt; Flüchtlinge und Migrant_innen mit unterschiedlichem | |
| Aufenthaltsstatus werden nur insoweit in einem Atemzug genannt, als dass | |
| für alle die Menschenrechte gelten; und anstelle erhöhter Anziehungskraft | |
| für Migrant_innen ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Pakt im Gegenteil | |
| die Migration nach Deutschland erschweren und Rückführungen erleichtern | |
| wird. | |
| Ein Interesse an der Beendigung „illegaler Einwanderung“, was Angela Merkel | |
| betont, gibt es rechts wie links, aber mit unterschiedlicher Stoßrichtung: | |
| Die einen kriminalisieren oder viktimisieren Migrant_innen und Flüchtlinge | |
| und begründen eine Strafverfolgung von Schlepperei und Menschenhandel sowie | |
| eine Aufrüstung von Grenzen damit; die anderen fordern die Legalisierung | |
| der betroffenen Menschen und das Überflüssigmachen von Schlepperei und | |
| Menschenhandel durch die Erleichterung legaler Grenzübertritte. | |
| Die Differenzen sind so grundlegend und vielfältig, dass sie schwerlich in | |
| einem einzigen Pakt eingeebnet werden können, und doch ist es richtig, am | |
| Pakt – und damit an der gemeinsamen Verantwortung der Staatengemeinschaft | |
| für Migrant_innen – festzuhalten. | |
| ──────────────────── | |
| Maximilian Pichl: Grundrechten Geltung verschaffen | |
| [19][Die „New Yorker Erklärung“], die am Beginn der Verhandlungen über den | |
| Pakt stand, war eine Reaktion auf das Versagen der „internationalen | |
| Gemeinschaft“ im Umgang mit globalen Flucht- und Migrationsbewegungen. Noch | |
| im Jahr 2014 mussten die Vereinten Nationen aus Geldmangel die Mittel für | |
| die Versorgung von Flüchtlingen in den Kriegs- und Krisenregionen | |
| drastisch reduzieren. Die unzureichende Gesundheits- und | |
| Lebensmittelversorgung und die damit einhergehende Perspektivlosigkeit in | |
| den großen Flüchtlingslagern veranlassten damals viele Menschen, unter | |
| anderem in Richtung Europa aufzubrechen. | |
| Davon, dass er die Steuerung von Migration „aushöhlt“ und das Ziel | |
| verfolgt, „schrittweise Grenzen zu öffnen“, kann keine Rede sein. Vielmehr | |
| besagt der UN-Migrationspakt, das Ziel sei ein „integriertes, sicheres und | |
| koordiniertes Grenzmanagement“. Weder die Operationen der | |
| Grenzschutzagentur Frontex zur Flüchtlingsabwehr noch das Visumssystem | |
| werden durch den Pakt angetastet. | |
| Falsch ist auch die Behauptung, der Pakt öffne die Tür für ein | |
| Menschenrecht auf Migration. Aus antirassistischer Sicht wäre das durchaus | |
| zu begrüßen, es lässt sich aber dem Pakt nicht entnehmen. An vielen Stellen | |
| fasst der UN-Migrationspakt nur die Rechte in einem Dokument zusammen, die | |
| heutzutage ohnehin in internationalen Verträgen festgelegt sind, zum | |
| Beispiel eine verpflichtende Seenotrettung, der Kampf gegen Menschenhandel | |
| oder die Sicherstellung von fairen Arbeitsverhältnissen. | |
| Über bereits geltende Grundrechte geht der Pakt kaum hinaus. Als eine der | |
| wenigen Neuheiten sieht der Abschlussentwurf einen diskriminierungsfreien | |
| Zugang von Migranten zu basalen Leistungen vor, dazu zählen materielle | |
| Sozialleistungen, die Gesundheitsversorgung und Teilhabe an inklusiver | |
| Bildung. Bezogen auf die Situation in Deutschland gibt es bereits ein | |
| Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, das in der Praxis sehr | |
| oft missachtet wird. Der Pakt könnte immerhin dazu taugen, diesem | |
| Grundrecht Geltung zu verschaffen. | |
| Leider zeigt die Debatte über den UN-Migrationspakt, wie defensiv die | |
| Verteidiger der Rechte von Migranten und Flüchtlingen der | |
| rechtspopulistischen Agitation entgegentreten. In der Entwurfsversion steht | |
| explizit, das Dokument sei ein rechtlich nicht bindender | |
| Kooperationsrahmen, der das souveräne Recht der Staaten, ihre | |
| Migrationspolitik selbst zu bestimmen, nicht berührt. Auf diesen Aspekt | |
| wird in jeder Diskussion über den Pakt verwiesen, offenbar, um die Rechten | |
| zu beschwichtigen. | |
| Genau an dieser Stelle müsste aber eine migrationsfreundliche und | |
| antinationalistische Kritik einsetzen, um verbindliche Rechte von | |
| Migranten einzufordern. Dafür liefert der Pakt, so beschränkt seine | |
| Wirksamkeit sein mag, strategische Optionen. Er sieht internationale | |
| Überprüfungsgremien vor, die die Umsetzung des Paktes in der staatlichen | |
| Praxis sicherstellen sollen. Auf diese Weise ließe sich ein Maßstab zur | |
| Bewertung staatlicher Praxis etablieren. Durch die Verteidigung solcher | |
| Evaluation und eine gleichzeitige Kritik der repressiven Aspekte des Paktes | |
| hätte man [20][der Kampagne von AfD und anderen] offensiv begegnen können. | |
| Doch zu vernehmen sind nur rechte Einwände und als Reaktion | |
| Beschwichtigungsversuche, während antirassistische Kritik am | |
| UN-Migrationspakt, die durchaus notwendig wäre, kaum geäußert wird. | |
| (zuerst erschienen in Jungle World 2018/47) | |
| ──────────────────── | |
| Helmut Dietrich: Pakt soll die Kraft der Migration einhegen | |
| Der „Globale Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ ist | |
| das erste weltumspannende Gemeinschaftsprodukt des UNHCR und [21][der IOM | |
| (Internationale Organisation für Migration)]. Während der UNHCR dem | |
| völkerrechtlichen Schutzauftrag von Flüchtlingen entstammt, kommt die IOM | |
| aus einer US-dominierten, zwischenstaatlichen Initiative, die sich weltweit | |
| zum Hauptakteur der Abschottung entwickelt hat und inzwischen als | |
| UN-Agentur arbeitet. | |
| Das Ziel des Globalen Pakts ist es, die „wilde“ Kollektivkraft der | |
| Migration in paradigmatischer Weise einzuhegen und beherrschbar zu machen. | |
| Historische Reminiszenzen werden wach, erinnert sei an die Studien von | |
| Charles Tilly zu den Arbeitskämpfen im 19. Jahrhundert: Disruptive | |
| Praktiken hatten die Arbeitskämpfe geprägt, bis die Protagonisten beider | |
| Seiten überein kamen, den Streik als legitimes Arbeitsmittel zu begreifen | |
| und genau zu definieren. Sabotage, Bummelstreik oder Weggang sollten als | |
| „illegale“ Aktionsformen gebannt und „legale“ Streikformen zugelassen | |
| werden. | |
| Doch dieser Vergleich hinkt. Zwar ist die Migration wohl die | |
| wirkungsmächtigste Kraft sozialer Veränderung, aber es handelt sich dabei | |
| um eine kollektive Aktion ohne Kollektive. Selbst die aktuellen Märsche auf | |
| den Flüchtlingskorridoren lassen sich wegen ihrer schwachen Organisation | |
| kaum mit bekannten sozialen Bewegungen vergleichen. Es gibt keine | |
| Protagonisten der Migration, die einen solchen Globalen Pakt mit den | |
| Staaten weltweit aushandeln könnten. | |
| Es wäre überaus wünschenswert, wenn Menschenrechte – einklagbar! – an den | |
| Grenzen der Nationalstaaten Einzug erhielten, wenn Bürgerrechte endlich zu | |
| Menschenrechten würden. Aber im Unterschied zur Erklärung der | |
| Menschenrechte oder zum Grundgesetz sind im Globalen Pakt die | |
| Daumenschrauben gleich mit aufgeführt. Diese sind nicht mehr in der | |
| Altherrensprache der Souveränität der Nationalstaaten formuliert, sondern | |
| im New Speak der Weltinnenpolitik. Deren Mantra lautet: Datenerfassung noch | |
| und nöcher, und sie beginnt stets bei den Migrant*innen und Geflüchteten. | |
| ────────────────────── | |
| ## Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration | |
| 26 Nov 2018 | |
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| [14] https://www.menschenrechtserklaerung.de/ | |
| [15] https://www.menschenrechtskonvention.eu/ | |
| [16] https://www.bmz.de/de/ministerium/ziele/2030_agenda/17_ziele/index.html | |
| [17] https://gfmd.org/ | |
| [18] https://venro.org/start/ | |
| [19] https://www.unhcr.org/dach/de/was-wir-tun/auf-dem-weg-zum-globalen-pakt-fu… | |
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