# taz.de -- Streit um UN-Migrationspakt: Rechte Stimmungsmache | |
> Die AfD hetzt gegen ein UN-Migrationspapier. Auch Teile der Union haben | |
> Bedenken – ebenso Sahra Wagenknecht. | |
Bild: Im Streit um den UN-Migrationspakt treibt die AfD die Union vor sich her | |
BERLIN taz | Beatrix von Storch postet ein neues Profilbild: „Stop. Ganz | |
Deutschland protestiert.“ Alice Weidel und Jörg Meuthen schlagen in Videos | |
Alarm. Auf der Webseite der AfD zählt eine Uhr rückwärts, wie viel Zeit zur | |
Gegenwehr noch bleibt: „5 vor 12 – Migrationpakt stoppen!“ steht da. Im | |
„AfD-Fanshop“ kann man passende Aufkleber und Buttons bestellen. Die Partei | |
macht gegen den Globalen Pakt für Migration mobil – und das mit vielen | |
Halb- und Unwahrheiten. | |
„Der Globale Pakt für Migration öffnet der millionenfachen Einwanderung aus | |
Afrika Tür und Tor“, behauptet Bundestagsfraktionschefin Weidel. „Was hier | |
beabsichtigt ist, ist die derzeit noch illegale Migration zu legaler zu | |
machen“, behauptet der Parteivorsitzende Meuthen. „Migration wird | |
voraussetzungslos gemacht“, behauptet der Bundestagsabgeordnete Gottfried | |
Curio. „Wir haben dann eine gesteuerte Migration in die Sozialsysteme“, | |
behauptet sein Fraktionskollege Martin Hebner. | |
GegnerInnen des Paktes behaupten, dieser leiste ungeordneter Migration | |
Vorschub. [1][Tatsächlich geht es den VerfasserInnen genau um das | |
Gegenteil: einheitliche Regeln zu schaffen – und damit die Rechte von | |
MigrantInnen zu stärken.] Seit dem Frühjahr 2017 hatten die | |
UN-Mitgliedsstaaten unter Führung der Migrationsorganisation IOM das | |
Vertragswerk ausgehandelt. | |
Neben Maßnahmen gegen Rassismus und dem Kampf gegen Menschenhandel bestehen | |
wichtige Teile des Pakts aus Vereinbarungen zu den Rechten von | |
migrantischen ArbeiterInnen. Die sind besonders anfällig für Ausbeutung, | |
ihre Zahl wird weltweit heute auf mehr als 200 Millionen geschätzt, Tendenz | |
stark steigend. Der Pakt sei „ein entscheidender Durchbruch auf dem Weg zu | |
menschenwürdiger Arbeit für Wanderarbeitnehmer“, sagte der Direktor der | |
Internationalen Arbeitsorganisation ILO, Guy Ryder, als der | |
[2][Vertragstext im Juli 2017 feststand]. | |
## USA zogen sich 2017 zurück | |
Unter anderem soll es für ArbeiterInnen leichter werden, im Ausland nach | |
Arbeit zu suchen, sie sollen bei der Rekrutierung besser vor Ausbeutung | |
geschützt werden. Überweisungen in ihre Herkunftsländer sollen günstiger | |
werden, gezahlte Sozialversicherungsbeiträge sollen nach einer Rückkehr | |
nicht verloren gehen, berufliche Qualifikationen sollen leichter anerkannt | |
oder angepasst werden können. | |
Eigentlich sollte der Pakt auf der UNO-Vollversammlung im vergangenen | |
September in New York präsentiert werden. Doch nachdem sich die [3][USA im | |
Dezember 2017 aus dem Prozess zurückzogen], musste die Annahme verschoben | |
werden. Jetzt soll der Pakt auf dem „Global Forum on Migration and | |
Development“, das am 10. und 11. Dezember im marokkanischen Marrakesch | |
stattfindet, beschlossen werden. | |
Die Souveränität der Unterzeichnerstaaten wird durch den Pakt ausdrücklich | |
nicht beeinträchtigt. Zum einen entscheiden die Staaten freiwillig, ob sie | |
der Vereinbarung beitreten. Zum anderen stellt – so heißt es im | |
Vertragstext – der Pakt „einen rechtlich nicht bindenden | |
Kooperationsrahmen“ dar, „nationale Politiken und Prioritäten“ sollen | |
gewahrt bleiben. | |
## AfD mit eigenem Gutachten | |
In einem Antrag, über den am Donnerstag im Bundestag beraten werden soll, | |
fordert die AfD die Bundesregierung trotzdem auf, sich dem Pakt nicht | |
anzuschließen. Dazu hat sie bei dem rechtsgerichteten Völkerrechtler Ulrich | |
Vosgerau ein Gutachten in Auftrag gegeben. | |
Laut dem Kölner Privatdozenten könne durchaus eine rechtliche Bindung des | |
Paktes entstehen. Das könne seines Erachtens dann der Fall sein, wenn er | |
etwa in Völkergewohnheitsrecht übergehe, als völkerrechtliches „Soft Law“ | |
unterhalb der Rechtsebene, oder wenn Gerichte wie der Europäische | |
Gerichtshof für Menschenrechte ihn als internationalen menschenrechtlichen | |
Standard anerkennen. | |
Dem widerspricht der Konstanzer Völkerrechtsprofessor Daniel Thym, Mitglied | |
des [4][Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Migration und | |
Integration (SVR)]. Das Dokument sei eindeutig nicht rechtsverbindlich, | |
sagt er der taz. Dass der Pakt erst nachträglich seine Verbindlichkeit | |
entwickle, wie die AfD warnt, hält Thym für abwegig. | |
Juristisch gebe es diese Prinzipien zwar theoretisch, sagt der Jurist. | |
„Aber das Völkergewohnheitsrecht ist ein rein akademisches Konstrukt und | |
spielt in der Praxis der Gerichte heute keine Rolle.“ Zudem sei der | |
Migrationspakt als diplomatisches Konsenspapier in seinen Formulierungen so | |
allgemein, „dass auch die Menschenrechtsgerichtshöfe daraus keine konkreten | |
Rechtsfolgen ableiten können“. | |
## Union uneinig | |
Doch der rechtspopulistische Drive entfaltet seine Wirkung: Mehrere | |
Bundestagsabgeordnete haben sich in der Unionsfraktionssitzung am Dienstag | |
gegen eine Unterzeichnung des Pakts ausgesprochen – obwohl sie anerkennen, | |
dass er nicht rechtlich bindend ist. Auch Bundesgesundheitsminister Jens | |
Spahn, derzeit im innerparteilichen Wahlkampf um den CDU-Parteivorsitz, | |
hatte zuvor Bedenken angemeldet. | |
Mehrheitlich überwog jedoch die Zustimmung. „Wir sind der Auffassung, dass | |
die Vorteile dieses Pakts die Nachteile weit überwiegen“, sagte | |
Fraktionsvize Stephan Harbarth nach der Sitzung. Wenn andere Länder die | |
gleichen Standards für MigrantInnen aufbauten wie die Bundesrepublik, würde | |
der Zuwanderungsdruck gemindert. Der Pakt liege daher „in unserem | |
nationalen Interesse“. | |
Die Unionsfraktion will nun in Abstimmung mit der SPD einen eigenen Antrag | |
zur Unterstützung des Paktes einzubringen. Diese Entscheidung werde von | |
„einem ganz überwiegenden Teil“ der Fraktion mitgetragen, hieß es aus | |
Fraktionskreisen. | |
## Union kritisiert SPD | |
Am Mittwoch betonte auch Regierungssprecher Steffen Seibert, der Pakt sei | |
„im deutschen Interesse“. Er schade Deutschland in keinem einzigen Punkt – | |
vielmehr werde darin erstmals die globale Verantwortung für Migration | |
beschrieben. Herkunfts- und Transitländer würden besonders in die Pflicht | |
genommen. | |
Sowohl Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer als auch | |
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt hatten zuvor vor allem die aus | |
ihrer Sicht mangelhafte Kommunikation über den Pakt seitens des Auswärtigen | |
Amts von Außenminister Heiko Maas (SPD) kritisiert. Das müsse man jetzt | |
„parlamentarisch auffangen“, sagte Dobrindt am Dienstag. | |
SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles betonte hingegen, Maas mache „das ganz | |
hervorragend“. Staatsminister Michael Roth (SPD) sagte dem | |
Redaktionsnetzwerk Deutschland, es beunruhige ihn sehr, „dass die rechte | |
Kampagne gegen den UN-Migrationspakt bis weit in konservative Kreise hinein | |
Wirkung entfaltet und selbst vor unserem Koalitionspartner nicht Halt | |
macht“. | |
## Protest gegen Rückzug Österreichs | |
Auch von den Grünen kommt Kritik an der Diskussion in der Union. „Anstatt | |
sich zu globalen Standards und effektivem Schutz für Migrantinnen und | |
Migranten weltweit zu bekennen und die Chancen des Migrationspakts zu | |
nutzen, reihen sich Teile der CDU nun anscheinend lieber bei den | |
Rechtspopulisten Kurz, Orbán und Trump ein“, kritisierte Filiz Polat, | |
migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. | |
Unterdessen haben in Österreich MigrationsforscherInnen den Rückzug ihres | |
Landes aus dem Pakt scharf kritisiert. Man sei „entsetzt“ über die | |
Entscheidung der österreichischen Bundesregierung, heißt es in einem | |
offenen Brief. Die rechte ÖVP/FPÖ-Koalition hatte den Schritt Ende Oktober | |
mit der vermeintlichen [5][Sorge um die eigene nationale Souveränität | |
erklärt] und folgte damit den USA und Ungarn. Trotz aller Kritik, die an | |
dem Pakt möglich sei, bestehe seine Bedeutung darin, Migration als globale | |
Agenda anzuerkennen, heißt es demgegenüber in dem Schreiben der | |
MigrationsforscherInnen. | |
„Migration ist ähnlich wie der Klimawandel ein Thema, das nicht vor | |
nationalen Grenzen haltmacht“, sagte die [6][Wiener | |
Politikwissenschaftlerin Sieglinde Rosenberger der taz]. Rechte Parteien | |
europaweit nutzten jedoch die Debatte, um sich noch enger zu vernetzen. | |
„Diese Politik reicht inzwischen weit in die Volksparteien hinein, die | |
bereit sind, sie mitzutragen“, sagte Rosenberger. „Dadurch werden sie zu | |
Steigbügelhaltern für rechtspopulistische und rechtsextreme Politik.“ | |
## Wagenknecht bezieht Stellung | |
In der Linkspartei dürfte derweil die Debatte um den Migrationspakt den | |
lange währenden Streit um die Ausrichtung in der Flüchtlings- und | |
Einwanderungsfrage weiter verschärfen. | |
So begrüßte die Innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke“, | |
grundsätzlich die UN-Initiative. „Gerade in Zeiten der gesellschaftlichen | |
Rechtsentwicklung“ enthalte der Pakt „positive Signale, die es zu | |
unterstützen gilt“, sagte Jelpke der taz. Sie kritisiert allerdings dessen | |
Unverbindlichkeit. Dadurch sei das Dokument leider nur eine „zahnlose | |
Absichtserklärung ohne praktische Konsequenzen“. | |
Demgegenüber bezieht Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht Stellung gegen | |
den Pakt. So empfahl sie in einem am Sonntag verschickten Rundbrief einen | |
„sehr spannenden Artikel zu diesem Thema“ des Wirtschaftsjournalisten | |
Norbert Häring. Darin kritisiert dieser, die mit dem Pakt angeblich | |
intendierte „Förderung der Arbeitsmigration“ nach der Façon der | |
Großkonzerne würde „sowohl den Arbeitnehmern in den Zielländern als auch | |
den Herkunftsländern der Migranten“ schaden. | |
Zustimmend zitiert Wagenknecht in ihrer Mail den Schlusssatz von Härings | |
Artikel: „Linke Parteien, die so etwas mittragen, sind dem Untergang | |
geweiht und haben ihn verdient.“ | |
[7][Der UN-Migrationspakt: Der vollständige Vertragstext – kommentiert von | |
ExpertInnen für Migration.] | |
8 Nov 2018 | |
## LINKS | |
[1] /Migrationspakt-aus-ExpertInnen-Sicht/!5552609 | |
[2] http://www.un.org/depts/german/migration/A.CONF.231.3.pdf | |
[3] /Umgang-mit-Flucht-und-Wanderung/!5522189 | |
[4] https://www.svr-migration.de/mitglieder-svr/prof-dr-daniel-thym/ | |
[5] /Migrationspakt-der-Vereinten-Nationen/!5545500 | |
[6] https://www.svr-migration.de/mitglieder-svr/sieglinde_rosenberger/ | |
[7] /Migrationspakt-aus-ExpertInnen-Sicht/!5552609 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
Christian Jakob | |
Dinah Riese | |
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