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# taz.de -- CSU, ihre Sprache und Asylpolitik: Aaaaaaaahhhhhh!
> Seehofer, Söder und Co. sprechen von „den Menschen“ – um in deren Namen
> menschenverachtende Politik zu machen. Es ist nur noch zum Schreien.
Bild: Gartenzwerg und Deutschlandkette? Das ist nicht unser Land!
Es ist so weit. Ich verstehe die AfD-Wähler und die Pegida-Anhänger und die
Hass-Trolle im Internet. Ihr Brüllen, ihr Um-sich-Schlagen. Denn seit ein
paar Tagen möchte ich nur noch dasselbe machen: brüllen, schreien. Und
immer weiterbrüllen. Als ob es das letzte Mittel wäre, um gehört zu werden.
Die sogenannte Kluft, von der immer die Rede war, als über die „Sorgen“ der
besorgten Pegida-Demonstranten und der Frauen hassenden Trolle im Internet
gerätselt wurde, sie tut sich jetzt auf der linken Seite auf. Bei mir.
Weil ich es endlich kenne, das Gefühl: Das ist nicht mein Land, von dem da
die Rede ist. Weil Menschen eine Definition von Deutschland und seiner
Bevölkerung, von einem Wir, einem Uns festlegen, mit der ich nicht
mitgemeint bin.
So also empfinden Menschen, wenn ihre festgemauerte Normalität in ihren
Grundfesten wackelt: wenn Nichtweiße sichtbarer Teil ihres Alltags, ihrer
Nachbarschaft werden; wenn Frauen auf einmal als Hälfte der Bevölkerung auf
der Hälfte an Präsenz und Mitsprache und Wertschätzung beharren; wenn
plötzlich behauptet wird, die Welt ist ganz anders, als sie immer dachten.
So geht es mir auch: Ich könnte schreien. Weil ich auf einmal von oberster
Ebene vereinnahmt werde, als Bürgerin.
Wenn ein Bundesinnenminister meint, [1][„Heimat“ sei politisch steuerbar].
Wenn er so tut, als sei zu befürchten, „wir“ müssten „unsere
landestypischen Traditionen und Gebräuche“ aufgeben. Wenn der bayerische
Ministerpräsident sagt: „Die Menschen sind tief verunsichert“ und „Sie
wünschen sich, dass Deutschland an den Grenzen sicher ist“. Wenn auf einmal
Regierungsmitglieder Begriffe und Bilder so selbstverständlich benutzen,
als spiegelten sie „unsere“ Normalität: Da werden Rettungsboote der NGOs im
Mittelmeer als „Shuttle“ bezeichnet, sie sprechen von
[2][„Anti-Abschiebe-Industrie“], reden von [3][„Asyltourismus“ und
„Asylgehalt“].
[4][Das Wort „Ankerzentrum“] aus dem Koalitionsvertrag wird mittlerweile
auch von Medienkollegen übernommen. Statt zu realisieren, dass das, was da
so sonnig harmlos nach Riviera-Urlaub und Yachtclub klingt, Wiedergänger
jener Lager sind, die nach dem Zweiten Weltkrieg keiner mehr irgendwo
gutheißen sollte, Deutschland erst recht nicht.
## Sprecht nicht für mich, verdammte Axt!
Die Sprache jener, die für die Bevölkerung, also dieses „Wir“, sprechen,
ist voller brutaler Euphemismen der Morallosigkeit. Und da soll man nicht
verzweifeln?
Es ist auch nicht mein Land, das der Stern meint mit seinem
[5][schwarz-roten Cover], oben eine Gruppe Flüchtender, anonym im
Schattenprofil, unten Merkel, dazu die Zeile: „Das zerrissene Land. Der
Mordfall Susanna F. und das Ende von Merkels Flüchtlingspolitik“. Oder das
vom [6][Zeit-Titel desselben Tages] in Alarmrot: „Der Fall Susanna F.: Ein
Mord, der etwas ändern muss“. Und auch nicht das, welches der Spiegel drei
Titelausgaben hintereinander beschwört, die so tun, als drohe die
Apokalypse: mit einem Boot voller Flüchtender [7][auf einer tsunamiartigen
Welle], mit der Zeile „Endzeit“ [8][über Angela Merkels zur Sanduhr
geformten Händen], mit der triefenden Überschrift [9][„Es war einmal ein
starkes Land“].
Wenn also diese meinungsbildenden Politiker*innen und Redaktionen sagen:
Das ist unser Land, so ist unser Land, dann ist meine einzige Reaktion:
Stopp, halt, nein! Ich bin nicht Teil von „den Menschen“, von eurem „Wir�…
Sprecht nicht für mich, verdammte Axt! Und prüft mal eure Statistiken!
Die Zahl der Flüchtenden, die zuletzt in Deutschland Asyl beantragt haben,
[10][ist doch eh immens gesunken]! Und Grenzöffnung – my ass! Wie könnt
ihr dieses Wort in den Mund nehmen, wenn ihr vom Schengenraum sprecht? Vor
allem, weil ihr damit so tut, als wäre das das wichtigste Thema der
Republik. Hört ihr euch eigentlich selbst reden?!
## Symptom eines Ohmachtsgefühls
Das Brüllen, es ist das Symptom eines Ohmachtsgefühls. Diejenigen, die im
Internet rumkrakeelen oder auf diesen unsäglichen Demos, wo sich die Masse
absurderweise in ihrer Ohnmacht bestärkt, sie kennen es. Und ich jetzt
auch. Diese Vereinnahmung erinnert mich an einen Moment bei einer der
großen Studentendemos gegen Studiengebühren vor zwanzig Jahren.
Es war danach, bei der Schlusskundgebung auf dem Marktplatz. Als da vorne
irgendwer am Mikro stand und Dinge sagte, die ich nicht unterschreiben
konnte. Aber ich stand da als Teil der klatschenden, johlenden Masse und
wirkte von außen wie ein Teil der Zustimmung. Ich habe mich damals aus der
Menge geschlängelt. Die Abschlussreden bei Demos meide ich seither aus
Prinzip. Aber wegmogeln geht jetzt nicht.
[11][Die Kluft, die Membran], die da auf einmal wächst, ist zu
existenziell. Ich fühle mich entfremdet. Nicht im Sinne des Spiegel-Covers
vom April mit der Suggestivfrage [12][„Ist das noch mein Land?“], das
alles, was Nicht-gartenzwergisch-Doitsch ist, als „das Fremde“ evoziert.
Überhaupt, entfremden: Was für ein paradoxes Wort. Das Präfix „ent-“ nim…
üblicherweise etwas weg, die Hülle, die Spannung, die Waffen. Die Wurzeln.
Sich zu entfremden hieße also, Vertrautheit herstellen. Lasst uns das mal
machen. Aber erst mal brüllend. Laut. Muss ja.
4 Jul 2018
## LINKS
[1] /Horst-Seehofer-als-Innenminister/!5483695
[2] /Nach-Aeusserung-von-Alexander-Dobrindt/!5503468
[3] /Rechte-Kampfbegriffe-zu-Migration/!5513699
[4] /Regierung-will-Fluechtlinge-kasernieren/!5499446
[5] https://s2h.shop.stern.de/media/catalog/product/cache/207/image/182x/263c64…
[6] https://www.zeit.de/2018/25/index
[7] http://magazin.spiegel.de/SP/2018/25/
[8] http://magazin.spiegel.de/SP/2018/26/index.html?utm_source=turi&utm_med…
[9] http://magazin.spiegel.de/SP/2018/27/
[10] /Asylzahlen-des-Bundesinnenministers/!5518102
[11] /Luegenpressevorwurf-gegen-die-Medien/!5369862
[12] http://www.spiegel.de/spiegel/debatte-um-islam-und-heimat-ist-das-noch-mei…
## AUTOREN
Anne Haeming
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