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# taz.de -- Flüchtlinge in Containern: Überflüssiger Ausnahmezustand
> In einigen niedersächsischen Kommunen müssen Geflüchtete in Containern
> leben, obwohl Plätze in Wohnungen frei sind.
Bild: Idyllisch gelegen: Container-Unterkunft in einer Gartensiedlung
HANNOVER taz | Wohncontainer sollten eigentlich nur eine Übergangslösung
sein, als 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland kamen und der Wohnraum
knapp war. Eine Anfrage der Grünen hat nun ergeben, dass in einigen
niedersächsischen Kommunen noch Menschen in Containern leben, obwohl in den
Landkreisen Plätze in Wohnungen frei sind.
Flüchtlinge kämen in dieser Form der Unterkunft nicht richtig im Alltag in
Deutschland und in der Nachbarschaft an, sagt der Landtagsabgeordnete Belit
Onay von den Grünen. „Schon von Außen sieht man, dass der Container nichts
Dauerhaftes ist.“ Aber genau das sei für die Integration nötig: etwas
Dauerhaftes. In den Containern seien die Bewohner nicht Teil einer normalen
Nachbarschaft. „Sie befinden sich sichtbar in einer Ausnahmesituation.“
Die Container sind von außen meist grau, manchmal zu mehreren Stockwerken
gestapelt, meist stehen sie in Reih und Glied. Von innen sind die
Unterkünfte schlicht: weiße Wände, PVC-Boden, Metallbetten und Spinde. Für
Waschmaschinen und Sanitäranlagen gibt es eigene Container. „Man lebt dort
enger als in normalen Wohnungen“, sagt Onay. Deshalb bekämen die Bewohner
auch schneller „den bekannten Lagerkoller“.
Als Antwort auf die Anfrage der Grünen, wie Geflüchtete in Niedersachsen
leben, hat die niedersächsische Landesregierung eine Tabelle geschickt. Sie
ist nicht vollständig, weil nicht alle Kreise in Niedersachsen rückgemeldet
haben, wie sie Geflüchtete unterbringen. Aus den vorhandenen Daten stechen
jedoch die Landkreise Stade, Leer, Peine und die Region Hannover heraus.
Sie haben verfügbare Wohnungen, bringen aber trotzdem Menschen in
Containern und Gemeinschaftsunterkünften unter.
## Wohnungen werden für Familien frei gehalten
Das niedersächsische Innenministerium unterstütze zwar die Unterbringung in
Wohnungen, im Asylgesetz des Bundes sei jedoch festgelegt, dass
Asylsuchende in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen
seien, sagt Ministeriumssprecherin Svenja Mischel. Es sei „vom Grundsatz
nicht zu beanstanden“, wenn eine Kommune dem öffentlichen Interesse Vorrang
einräume.
Container und Gemeinschaftsunterkünfte sind für die Kommunen einfacher zu
unterhalten. Hinzu komme, dass Kommunen häufig Wohnungen frei hielten, um
dort bei Bedarf Familien unterzubringen, sagt Mischel.
In Stade waren zum Stichtag 25. Januar beispielsweise 259 Plätze in
Wohnungen frei. Gleichzeitig lebten 188 Menschen in Containern. „Wir fahren
seit Jahren eine dezentrale Unterbringung“, sagt Nicole Streitz, die
Ordnungsdezernentin des Landkreises Stade.
Das funktioniert so: Der Kreis hat die Aufgabe, eine Unterkunft für die
Geflüchteten zu finden, an die Städte und Gemeinden im Kreis abgegeben,
kommt aber für die Kosten auf. „Die dezentrale Unterbringung ist besser für
die Integration, als wenn man alle an einem Fleck ansiedelt“, sagt Streitz.
Aber stimmt das auch dann noch, wenn die Menschen in den Kommunen in
Containern leben?
## Container im Dorf
Im Landkreis Stade gibt es noch an fünf Standorten Wohncontainer. Zum Kreis
gehören Städte wie Buxtehude oder Stade, in denen der Wohnungsmarkt
angespannt ist. Aber auch in der Samtgemeinde Apensen, einem Flecken Erde
mit rund 9.000 Einwohnern, müssen Menschen in Containern wohnen. Die
Strukturen hier sind dörflich. Die Einheimischen wohnen in
Einfamilienhäusern. Wohnungen gibt es deshalb kaum.
„Das sind Schnellbauten, keine Baucontainer“, sagt die Dezernentin. Sie
beurteile das Wohnen in den Containern nicht unbedingt negativ. „Es ist
auch in Ordnung, Kindergärten in Containerlösungen unterzubringen“, sagt
sie. Zudem sei nicht jede Wohnung besser als ein Container, sagt Streitz.
Ein Platz in einer Wohnung bedeutet nicht automatisch, dass man diese für
sich hat. Auch hier kann es sein, dass sich Geflüchtete ein Zimmer teilen.
Die Samtgemeinde Apensen hat die Container gekauft. „Das war die schnellste
Lösung, um Wohnraum zu beschaffen“, sagt die Leiterin des dortigen
Ordnungsamtes Tanja von der Bey. „Wir haben zusätzlich noch allen
verfügbaren Wohnraum in der Samtgemeinde angemietet“, sagt sie. Doch als
weniger Asylsuchende kamen, sei die Gemeinde vom Landkreis aufgefordert
worden, den Wohnraum, den sie abstoßen könnten, zu kündigen. Damit waren
die Wohnungen passé. Die Container blieben.
## Zehn Menschen in einem Einfamilienhaus
Aber auch von der Bey weist darauf hin, dass Wohnungen nicht unbedingt
besser seien als Container. Die Samtgemeinde besitzt auch ein
Einfamilienhaus. Wo sonst vier oder fünf Menschen lebten, seien es zehn
Geflüchtete. Auch hier müssen sich die Menschen Zimmer teilen. „Es wäre
schön, wenn wir genug Wohnraum zur Verfügung hätten“, sagt von der Bey.
„Aber wir können nicht zaubern.“
Der angespannte Wohnungsmarkt erschwere es den Kommunen zusätzlich: Denn
Asylsuchende, die längst den Bescheid bekommen haben, dass sie bleiben und
sich eine eigene Wohnung suchen dürfen, blieben in den Unterkünften. „Sie
finden keine Wohnungen“, sagt von der Bey – „und blockieren damit unsere
Plätze.“
Laura Müller vom niedersächsischen Flüchtlingsrat kritisiert es, „wenn
Kommunen ganz starr nach Quote verteilen“. Es solle berücksichtigt werden,
wo es freie Wohnungen und die passende Infrastruktur wie Verkehrsanbindung,
medizinische Versorgung und Beratungsangebote gebe. „Eine menschenwürdige
Unterbringung ist nur in der eigenen Wohnung möglich“, findet sie. Von den
bestehenden Containerlösungen hält Müller deshalb nichts.
## Auch ein Problem der Quote
Die Kommunen argumentieren jedoch mit der Quote. Auch in Leer gibt es noch
an manchen Orten Container, weil dort der Wohnraum knapp ist, anstatt die
Menschen dorthin umzuverteilen, wo es Wohnungen gibt. Untergebracht würden
in den Containern nur „allein reisende männliche Flüchtlinge“, sagt der
Kreissprecher Dieter Backer. Im Gegensatz zum Flüchtlingsrat sieht er
positive Aspekte an dieser Form der Unterbringung: In der Containeranlage
würden die Asylsuchenden von Sozialarbeitern betreut und es gebe Sprach-
und Qualifizierungskurse, sagt Backer. Dieses Betreuungsangebot gebe es in
Wohnungen so nicht.
Die Region Hannover unterstützt die Kommunen damit, dass sie
Leerstandskosten in Gemeinschaftsunterkünften übernimmt, um die
Unterbringung in Wohnungen zu fördern. Deshalb blieben in
Gemeinschaftsunterkünften derzeit 2.182 Betten leer, in Wohnungen nur 254
von insgesamt 3.815 Plätzen. Doch auch in der Region Hannover könnten die
199 Menschen, die in Containern leben in den Wohnungen unterkommen, wenn
man sie umverteilen würde.
Der Landkreis Peine kann keine Angaben darüber machen, wie die Diskrepanz
zwischen den freien Plätzen in Wohnungen (274) und den belegten Plätzen in
Containern (96) zu erklären ist. Er verweist auf seine Kommunen.
Hier bildet die Stadt Peine eine Ausnahme. Die Containerplätze, die die
Stadt für die Tabelle der Landesregierung gemeldet hat, sind vor allem
solche in „massiven Wohncontainern“. Von außen sehen sie aus wie
Mehrfamilienhäuser, zur Hälfte verklinkert, der erste Stock hell verputzt
und mit dunklen Dachpfannen. Einzig der hohe, graue Metallzaun erinnert
daran, dass das hier kein normales Wohngebiet ist.
## Nicht für ein Zusammenleben geeignet
Nur neun Geflüchtete lebten noch in den alten Containern, sagt
Landkreissprecherin Petra Neumann. „Diese Personen wollen sich leider
verhaltensbedingt nicht für ein Zusammenleben mit anderen Menschen
empfehlen“, sagt Neumann. Sie wohnten deshalb getrennt.
Doch auch die Geflüchteten in den neuen Wohnungen müssen sich die Zimmer
teilen – das ist in Gemeinschaftsunterkünften normal. Der Flüchtlingsrat
kritisiert diesen Standard: „Es muss ein abschließbares eigenes Zimmer
geben“, sagt Müller. „Denn egal, wie hübsch eine Sammelunterkunft aussieh…
sie bleibt gewaltfördernd.“
2 Apr 2018
## AUTOREN
Andrea Scharpen
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