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# taz.de -- Engagement für Geflüchtete: Bürger nehmen Asyl selbst in die Hand
> Die Göttinger Initiative „Bürger-Asyl Jetzt“ will den Schutz für
> Geflüchtete künftig privat organisieren. Die rechtlichen Folgen sind
> unklar.
Bild: Er könnte leicht erkennbar sein, ist es aber nicht: Der Weg zum Asyl in …
GÖTTINGEN taz | Können Flüchtlinge, die von einer Abschiebung bedroht sind,
künftig in einem „Bürgerasyl“ Schutz finden? Ja, zumindest in Göttingen,
hofft die Göttinger Initiative „Bürger-Asyl Jetzt“, die sich mit einer
unter anderem von Grünen und Linken unterzeichneten Anzeige im Göttinger
Tageblatt öffentlich vorstellte. „Wir meinen, dass wir uns in der Mitte
Europas der Verantwortung für die ankommenden Flüchtlinge nicht entziehen
können“, heißt es darin. „Diejenigen, die bereits in unseren Kommunen
wohnen, sollten hier Sicherheit und Perspektive finden.“
Weil Kirchenasyle mit Anfragen von Betroffenen überlastet seien, „werden
wir ihnen in Zukunft mit Bürgerasylen solidarisch zur Seite stehen“,
erklärte die Gruppe zeitgleich in einer Pressemitteilung. „Mit unserem
Engagement, unserem Mut und unserer Entschlossenheit werden wir Schutz für
Geflüchtete organisieren“, hieß es weiter. Bürger könnten die Initiative
dabei auf unterschiedliche Weise unterstützen: Einige, indem sie ihren
Namen öffentlich unter die Kampagne setzen und ihr so ein Gesicht geben.
„Andere engagieren sich in der Kampagne oder ganz konkret für die
Geflüchteten.“
Dritte könnten ein Bürgerasyl durch ihre Spende ermöglichen. „Vierte, indem
sie Zimmer oder Wohnung zur Verfügung stellen.“ Wieder andere könnten
Geflüchteten eine Adresse geben, mit der sie vor dem Rutsch in die
Illegalität geschützt würden.
Die Göttinger Initiative sieht sich in der Tradition von „Solidarity City“
oder „Sanctuary City“. Diese Kampagne stammt aus den USA. Dort sowie in
Kanada und Großbritannien haben sich inzwischen mehr als 500 Gemeinden dem
Netzwerk angeschlossen. Sie wollen illegalisierte Flüchtlinge vor
Abschiebungen bewahren und ihnen den Zugang zu öffentlichen Leistungen
ermöglichen.
Außer in Göttingen gibt es nach Angaben von „Bürger-Asyl jetzt“ ähnliche
Initiativen bereits in Hanau, Freiburg und Stuttgart. In Hamburg werde die
Idee derzeit diskutiert.
Bürgerasyle seien eine „Reaktion auf die massiven Verschärfungen im
Flüchtlingsrecht und eine bislang unbekannte Gnadenlosigkeit bei
Abschiebungen“, sagte der Freiburger Soziologie-Professor Albert Scherr der
taz. „Die zentrale politische Forderung von Bürgerasylen lautet daher, auf
Abschiebungen möglichst zu verzichten.“ Vor allem müssten humanitäre
Aspekte bei Aufenthaltsentscheidungen deutlich stärker gewichtet werden,
„als dies gegenwärtig der Fall ist“.
Juristisch könne ein Bürgerasyl zwar als Beihilfe zum illegalen Aufenthalt
gewertet werden und sei damit strafbar, sagt Scherr. Erfolgreiche Klagen
gegen eine Abschiebung, positive Entscheidungen zu Petitionen oder
bewilligte Härtefall-Anträge könnten aber zugunsten der Bürgerasyle
ausgelegt werden. Unabhängig davon sei die öffentliche Unterstützung eines
Bürgerasyls seines Wissens nicht strafbar.
## In Freiburg und Hanau gab es bereits Fälle von Bürgerasyl
Mit angeschoben von Scherr, gab es in Freiburg – wie auch in Hanau –
bereits einen Fall von Bürgerasyl: Die dortige Initiative hatte eine von
Abschiebung bedrohte Roma-Familie wochenlang versteckt. Nachdem die
Behörden die Abschiebung der Mutter und ihrer sechs Kinder aussetzten,
wurde das Bürgerasyl im Oktober 2017 beendet. Ob es ein Nachspiel vor
Gericht gibt, ist noch nicht abzusehen.
„Juristisch ist das ganze Terrain doch noch Neuland“, sagt Stefan Klingbeil
von „Bürger-Asyl Jetzt“ in Göttingen. Er hält es für wichtig, dass die
Geflüchteten durch eine solche Aktion nicht in die Illegalität gedrängt
werden, sondern eine Meldeadresse haben. Das könne entweder das Bürgerasyl
oder die bisherige Wohnung sein – und wo kein illegaler Aufenthalt, da auch
keine Beihilfe. „Wir müssen in Verantwortung für uns selbst und die von
Abschiebung Betroffenen alles daran setzen, dass keine Gefahrenlage
entsteht“, bekräftigt Klingbeil. „Hier sind also auch Kreativität und
Kommunikation gefragt.“
Etwas zurückhaltender ist die Göttinger Rechtsanwältin und
Vorstandsvorsitzende des Niedersächsischen Flüchtlingsrates, Claire Deery.
Wer ein Bürgerasyl aktiv unterstütze, solle „grundsätzlich auf alles“
eingestellt sein, sagte sie der taz: „Wir gehen davon aus, dass es
Ermittlungsverfahren gegen Beteiligte geben wird“.
## Bisher keine Urteile
Ob es dann zu Anklagen oder gar Gerichtsprozessen komme, sei aber offen und
hänge auch vom politischen Umfeld ab. Es gebe noch keine einschlägigen
Fälle und keine Urteile, sagte Deery der taz. In Bayern seien auch schon
Priester wegen Kirchenasylen angeklagt worden, in Niedersachsen aber nicht.
Politisch stärkt der Flüchtlingsrat den Göttingern den Rücken:
„Selbstverständlich unterstützen und begrüßen wir die Initiative für
Bürger-Asyl“, sagt Geschäftsführer Kai Weber. Handele es sich doch um
„einen Akt zivilgesellschaftlichen Protests und praktischer Solidarität mit
Menschen, die von Abschiebung in Kriegs- und Krisengebiete betroffen sind.“
Auch das Komitee für Grundrechte hält Bürgerasyle in bestimmten Situationen
für „menschenrechtlich geboten“. Wie anders sollten sich Bürgerinnen und
Bürger verhalten, denen das Schicksal einer Familie, der sie menschlich
begegnet sind, nicht mehr gleichgültig sei.
24 Jan 2018
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Asyl
Kirchenasyl
Göttingen
Flüchtlingshilfe
Abschiebung
Göttingen
Geflüchtete
Soziales Engagement
Schwerpunkt Flucht
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Österreich
Flüchtlinge
CDU Schleswig-Holstein
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