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# taz.de -- Flüchtlingsrats-Chef über Flüchtlingshilfe: „Freie Träger wei…
> Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen kritisiert die Verteilung
> staatlicher Fördergelder im Bereich der Flüchtlingshilfe.
Bild: Sind oft enttäuscht, dass Behörden ihre Arbeit nicht würdigen: Flücht…
taz: Herr Weber, wer hat vom Anstieg der Flüchtlingszahlen profitiert?
Kai Weber: Im Jahr 2016 hat die halbe Welt ihr Herz für Flüchtlinge
entdeckt. Da gab es eine Fülle von halbgaren Angeboten. Die Kommunen waren
in der Zeit in vielerlei Hinsicht Opfer struktureller Engpässe und deshalb
teilweise gezwungen, auf diese halbgaren Angebote einzugehen.
Ihre Kollegen vom Flüchtlingsrat Bremen habe die absurdesten Angebote in
einer Ausstellung zusammengestellt, von Pferdeboxen-Herstellern, die
Flüchtlingsunterbringung feilboten, bis zum Stuhl für Massenunterkünfte mit
der Produktbezeichnung „Angela M.“…
Es gibt einige Krisengewinner, die ihr Geschäft mit staatlichen Instanzen
gemacht haben. Das bezieht sich für mich aber auch auf einen Teil der
freien Wohlfahrtspflege und der sozialen Arbeit.
Inwiefern?
Manche Wohlfahrtsverbände sind schnell auf den Zug der Flüchtlingshilfe
aufgesprungen und haben den Markt aber genauso schnell wieder verlassen,
als die Gelder versiegt sind.
An wen denken Sie?
Ich will niemanden bloßstellen aber kann als positives Gegenbeispiel die
Caritas nennen, die seit Jahren auch mit Eigenmitteln eine
Flüchtlingsberatung in Niedersachsen gewährleistet.
Eine aktuelle Studie des Berliner Instituts für empirische Integrations-
und Migrationsforschung besagt, dass viele Fördergelder in der
Flüchtlingshilfe an die großen Player gingen, aber nicht bei den kleinen
Initiativen.
In der Tat hat auch Niedersachsen die Förderung den kommunalen
Spitzenverbänden und den großen Wohlfahrtsorganisationen überlassen. Freie
Träger sind weitgehend außen vor geblieben. Das gilt auch für das Bündnis
„Niedersachsen packt an“, in dem Gewerkschaften, Arbeitgeber-Verbände und
kommunale Spitzenverbände den Ton angeben. Wir beklagen, dass es keine
Einbeziehung der freien Szene gibt.
Angeblich scheitern kleine Initiativen oft an der Bürokratie. Teilen Sie
die Einschätzung?
Eigentlich ist der bürokratische Aufwand nicht sonderlich groß. Die
kommunalen Spitzenverbände und die Wohlfahrtsverbände haben jeweils eine
Million Euro vom Land für unbürokratische Hilfen bekommen. Das Problem ist,
dass kleine Initiativen oft nicht wissen, dass sie dort auch unkompliziert
Gelder abrufen könnten. Die Verbände informieren vor allem die ihnen
angeschlossenen Strukturen. Es fehlt an Transparenz und öffentlich
zugänglichen Informationen. Aber wir müssen auch sehen, dass nicht alle
Initiativen darauf aus sind, Fördergelder zu bekommen.
Sondern?
Viele Initiativen beklagen eher das Ausbleiben einer politischen
Unterstützung ihrer Arbeit. Sie sehen, dass die Schutzquoten sinken, der
Familiennachzug ausgehebelt wird, und die 2015 noch allerorten zu spürende
Solidarität mit Geflüchteten und Verfolgten zunehmend einer restriktiven,
auf Abwehr und Ausgrenzung orientierten Politik weicht.
Die Studie ergab, dass manche Initiativen das staatliche Geld gar nicht
wollen – weil sie um ihre Unabhängigkeit fürchten. Eine berechtigte Angst?
Ja und nein. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass die Versuche einer
Vereinnahmung über den Zuschuss beim Deutschkurs stattfinden und es eine
solche staatliche Strategie der Vereinnahmung gibt. Aber wenn nach
einjähriger intensiver Sprachförderung und Unterstützung ein Flüchtling
nachts ohne Vorankündigung abgeschoben wird, verbittert das die
Unterstützer*innen, die sich von den Behörden in ihrer Arbeit hintergangen
fühlen.
Spätestens im Bereich der sogenannten „Rückkehrberatung“ ist eine
staatliche Förderung aber doch sehr wohl an inhaltliche Vorgaben geknüpft.
Rückkehrberatung ist ein schillernder Begriff und oft ein Euphemismus
dafür, dass Betroffene unter Druck gesetzt werden, das Land zu verlassen.
Dabei unterscheiden sich aber zivilgesellschaftliche Initiativen und
seriöse Beratungsstellen, die das Interesse der Betroffenen im Blick haben,
von Ansätzen, die im staatlichen Auftrag Abschiebekosten sparen sollen.
Manchen Initiativen haben staatliche Förderung abgelehnt, weil sie nicht
„offiziell“ zum Lückenfüller für staatliche Aufgaben werden wollten.
Tatsache ist, dass 2015 viele Initiativen spontan Hilfe geleistet und
Lücken gefüllt haben, weil staatliche Strukturen zunächst nicht in der Lage
waren, eine unmittelbare Versorgung von Flüchtlingen mit Essen, Trinken
oder Decken zu gewährleisten. Anders als etwa Berlin hat Niedersachsen sich
dann aber nicht auf ehrenamtliches Engagement verlassen, sondern schnell
die staatliche Hilfe organisiert.
Viele kleine Initiativen decken ihre Kosten größtenteils durch Spenden.
Wird das zum Problem, wenn die Spendenbereitschaft abnimmt?
Ja. Ich denke aber, dass manche Initiativen erhalten bleiben, etwa der
Unterstützerkreis, der sich in Hannover um die Flüchtlingsunterkünfte
entwickelt hat, weil er Strukturen aufbaut und sich menschenrechtlich
reorganisiert. Auch der Flüchtlingsrat ist ja in den 1980er Jahren aus
Menschenrechts-, Unterstützergruppen und kommunalen Netzwerken entstanden.
Auch der Flüchtlingsrat ist gewachsen?
Seit 2015 gibt es neue Aktivist*innen, neue Spenden, neue Mitglieder.
Derzeit haben wir 18 Mitarbeiter*innen, davon arbeiten viele in Teilzeit
und befristet. Wir werden stark durch ehrenamtliche Kräfte unterstützt.
Auch wir merken schmerzhaft, dass das Spendenaufkommen seit dem letzten
Jahr deutlich zurückgegangen ist.
Wird es ernst?
Ja. Wir haben im Laufe der Jahre Techniken entwickelt, uns aus
unterschiedlichen Quellen zu finanzieren, nicht nur nur über Spenden. Wir
erhalten Fördermittel der EU, Zuschüsse von Stiftungen, vom Land und von
Pro Asyl. Im Zweifel wird die Existenz des Flüchtlingsrats aber nicht von
den Zuschüssen abhängig sein, sondern von der ideellen und materiellen
Unterstützung von Menschen, denen Solidarität mit Geflüchteten ein
Herzensanliegen ist.
21 Feb 2018
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
## TAGS
Soziales Engagement
Flüchtlingshilfe
Flüchtlinge in Niedersachsen
Geflüchtete
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Pro Asyl
Schwerpunkt Angela Merkel
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