# taz.de -- Privat organisierter Familiennachzug: Fette Rechnung für Flüchtli… | |
> Sie haben für nachziehende Familienangehörige von Geflüchteten gebürgt. | |
> Jetzt sollen sie jahrelang zahlen. Flüchtlingsrat und Grüne fordern | |
> Härtefallfonds. | |
Bild: Für die Bürgen kann es teuer werden, eine Familie nachzuholen | |
Hannover taz | Tausende Niedersachsen, die geholfen haben, syrische | |
Flüchtlinge nach Deutschland zu bringen, sollen Geld an die Bundesagentur | |
für Arbeit und andere Sozialleistungsträger bezahlen. Gleich mehrere | |
solcher Mitteilungen hat in den vergangenen vier Wochen Günter Schütte | |
bekommen, der sich in der Wolfsburger Flüchtlingsinitiative engagiert. „Ich | |
dachte, das kann nicht wahr sein“, erinnert sich Schütte an den Tag, als er | |
das erste Anhörungsschreiben vom Jobcenter bekam. Wenn es schlecht läuft, | |
muss er 57.000 Euro bezahlen. | |
Schütte hat 2014 eine Verpflichtungserklärung für den Bruder eines | |
geflüchteten Kurden unterzeichnet. Damit bürgt er offiziell für die | |
Unterhaltskosten des Bruders in Deutschland, wobei ihm der Kurde | |
versicherte, er werde selbst für den Unterhalt seines Bruders aufkommen. | |
„Ich wusste, das ich mich auf diesen Menschen, der mich gebeten hat, voll | |
verlassen kann“, sagt Schütte. | |
Weil es so gut lief, habe er nach dem gleichen Modell die | |
Verpflichtungserklärung für eine vierköpfige Familie unterschrieben. Die | |
bereits ansässigen Kurden hätten selbst nicht bürgen können, weil ihr | |
Vermögen zu gering war. Nach einem halben Jahr seien die Syrer als | |
Flüchtlinge anerkannt worden, und er habe geglaubt, er sei aus dem | |
Schneider, erzählt Schütte. Denn die Wolfsburger Ausländerbehörde hatte ihm | |
versichert, sobald die Syrer als Flüchtlinge anerkannt seien, ende die | |
Zahlungsverpflichtung. Weit gefehlt. | |
## Die Ausländerbehörde sagte: „Macht es“ | |
Die Wolfsburger Ausländerbehörde habe die Bürgen ausführlich beraten, | |
berichtet Pastor Johannes Thormeier von der Wolfsburger Lukas-Gemeinde, die | |
zwischen August und Oktober 2014 für acht Geflüchtete unterschrieb. „Die | |
Aussage war: ,Macht es'“, sagt Thormeier. „Wir, die Ausländerbehörde, | |
möchten, dass viele, die in Not sind, auf einem guten Weg ins Land kommen, | |
nicht durch Schlepperbanden, nicht über die Balkanroute.“ | |
Tatsächlich hat das niedersächsische Innenministerium erst am 18. Dezember | |
2014 die Ausländerbehörden darauf hingewiesen, dass es ein Risiko geben | |
könnte. Denn während das Land die Rechtsauffassung vertrat, die | |
Verpflichtungserklärung erlösche mit der Anerkennung als Flüchtling und dem | |
damit verbundenen Aufenthaltsrecht, waren Behörden wie die Bundesagentur | |
für Arbeit anderer Meinung. | |
Und die setzte ein Jobcenter vor Gericht auch durch. Im Januar 2017 | |
entschied das [1][Bundesverwaltungsgericht], dass die Anerkennung als | |
Flüchtlinge den Status der Geflüchteten nicht ändert, weil sich dadurch ja | |
der Zweck des Aufenthalts nicht ändere. Die Verpflichtungsgeber müssten | |
deshalb die vom Jobcenter gezahlten Sozialleistungen erstatten – solange | |
bis die Flüchtlinge Arbeit fänden oder wieder ausreisten. | |
## Verpflichtungsgeber sollen nun bis zu fünf Jahre zahlen | |
Das seit August 2016 geltende Integrationsgesetz setzte die maximale | |
Zahlungsdauer auf fünf Jahre fest. Für Altfälle wie den von Schütte und der | |
Lukas-Gemeinde gelten drei Jahre. | |
Das niedersächsische Aufnahmeprogramm, mit dem Syrer Familienangehörige | |
nachholen konnten, lief bis Mitte 2015. Auch wenn das Innenministerium im | |
April das Risiko für die Bürgen in einem weiteren Erlass noch einmal | |
verdeutlichte, seien etliche Bürgschaftsgeber noch subjektiv der Ansicht | |
gewesen, ihre Verpflichtung ende mit der Anerkennung der Flüchtlinge, sagt | |
Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. „Die Betroffenen fallen | |
jetzt in ein tiefes Loch.“ | |
„Was für ein Signal wird ausgesandt, wenn die zur Kasse gebeten werden?“, | |
fragt der Wolfsburger Schütte. Er hofft, dass eine politische Lösung | |
gefunden wird, die die Helfer nicht auf den unerwarteten Kosten sitzen | |
lässt. | |
## Kann das Land den Bürgen helfen? | |
Wie die aussehen könnte, skizziert Belit Onay von der grünen | |
Landtagsfraktion: „Die Groko ist jetzt in der Pflicht, die Möglichkeit für | |
Hilfsfonds, die in anderen Bundesländern Praxis ist, zu prüfen.“ Er verwies | |
auf das Geld, das die rot-grüne Vorgängerregierung für die | |
Gesundheitsversorgung der nachziehenden Angehörigen bereitgestellt habe, | |
und von dem möglicherweise noch etwas übrig sei. Dieses zu verwenden, sei | |
„haushaltsrechtlich nicht möglich“, teilt das Innenministerium mit. | |
Im übrigen sehe Niedersachsen, wenn überhaupt, den Bund in der Pflicht, den | |
Bürgen zu helfen. Dieser habe „rechtlichen Interpretationsspielraum | |
gelassen, nachdem Niedersachsen gehandelt und dem ausdrücklichen Wünschen | |
vieler Syrer entsprochen hat, möglichst viele Schutzsuchende nach | |
Niedersachsen zu holen“. | |
Der Mann, der mit Hilfe von Schüttes Verpflichtungserklärung einreisen | |
durfte, hatte, wie Schütte erzählt, zwei Freunde, die ohne Bürgen | |
klarkommen mussten. Sie versuchten mit Hilfe von Schleppern einzureisen und | |
erstickten im August 2015 mit 69 anderen im Laderaum eines Kühllasters an | |
der österreichischen Grenze. | |
28 Nov 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bverwg.de/pm/2017/3 | |
## AUTOREN | |
Gernot Knödler | |
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