# taz.de -- Jobcenter wollen Geld von Bürgen: Teures Engagement für Geflücht… | |
> Flüchtlingsbürgen sollen die Sozialleistungen zurückzahlen, die die | |
> Geflüchteten von den Jobcentern bekommen haben. Dagegen wehren sich | |
> Betroffene jetzt vor Gericht. | |
Bild: Patenschaften kosten nichts, Bürgschaften dagegen unter Umständen viel:… | |
GÖTTINGEN taz | Die Rechnungen, die Behörden sogenannten Flüchtlingsbürgen | |
schicken, beschäftigen jetzt die Justiz. Allein in Niedersachsen sind rund | |
320 Klagen von Betroffenen anhängig. Das Verwaltungsgericht Stade hat für | |
den 5. April in einem ersten Verfahren eine mündliche Verhandlung | |
angesetzt. | |
Sozialämter und Jobcenter in Niedersachsen verschicken seit etwa einem Jahr | |
Rechnungen an Bürgen, die sich 2014 und 2015 bereit erklärt hatten, die | |
Lebenshaltungskosten für syrische Kriegsflüchtlinge zu übernehmen. | |
Die Flüchtlingspaten mussten nachweisen, dass sie Reisekosten und Unterhalt | |
bezahlen können. Nur aufgrund solcher Bürgschaften konnten viele Syrer | |
damals überhaupt nach Deutschland gelangen. Neben Einzelpersonen | |
unterschrieben auch Kirchengemeinden und Vereine Verpflichtungserklärungen. | |
Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen – und damit auch die Bürgen | |
in diesen Bundesländern – waren davon ausgegangen, dass die Bürgschaften | |
nur auf wenige Monate befristet seien. Die finanzielle Unterstützung der | |
Syrer durch die Bürgen würde also enden, sobald die Geflüchteten einen | |
Schutzstatus und damit ein Recht auf Sozialleistungen erhielten. Wer keine | |
Arbeit fände, würde vom zuständigen Jobcenter unterstützt. | |
Im August 2016 legte der Bund allerdings die Dauer einer Bürgschaft auf | |
fünf Jahre gesetzlich fest. Rückwirkend für ältere Fälle wurde eine Frist | |
von immerhin drei Jahren beschlossen – was bedeutet, dass die Jobcenter | |
Sozialleistungen, die in einem Zeitraum von drei Jahren an Flüchtlinge | |
ausgezahlt wurden, von den Bürgen zurückfordern können. Das | |
Bundesverwaltungsgericht entschied im Januar 2017, dass Bürgen auch nach | |
Anerkennung der Flüchtlinge für deren Lebenshaltung aufkommen müssen – und | |
zwar so lange, bis die Geflüchteten Arbeit finden oder wieder ausreisen. | |
Auf Grundlage dieses Urteils verlangen die Behörden nun das Geld von den | |
Bürgen zurück. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit haben 21 Jobcenter | |
in Niedersachsen Forderungen in Höhe von insgesamt rund 3,3 Millionen Euro | |
geltend gemacht. Es geht dabei um insgesamt 410 Fälle. Mit den Klagen | |
wehren sich die Bürgen nun gegen die Kostenbescheide. | |
Allein am Verwaltungsgericht Braunschweig gibt es rund 190 solcher Klagen, | |
wie ein Justizsprecher bestätigt. In Stade sind es 25. Teilweise sind die | |
Kläger identisch, weil sie mehrere Verpflichtungserklärungen abgegeben | |
haben. So soll etwa eine evangelische Kirchengemeinde in Wolfsburg, die | |
zwischen August und Oktober 2014 für acht Geflüchtete unterschrieb, rund | |
100.000 Euro zahlen. In einem weiteren Fall in der Stadt soll ein Bürge | |
sogar mehrere Hunderttausend Euro erstatten. | |
Die Landesregierung in Hannover mahnte unlängst eine politische Lösung in | |
dem Streit an. Es gehe „um die Herausforderung, diejenigen Menschen nicht | |
im Regen stehen zu lassen, die sich als Bürgen für syrische Flüchtlinge zur | |
Verfügung stellten“, hatte Innenmninister Boris Pistorius (SPD) im Dezember | |
erklärt. | |
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) plädierte dafür, die Bürgschaften | |
erlöschen zu lassen, sobald die davon begünstigten Flüchtlinge als | |
Asylbewerber anerkannt worden seien. Dies solle für zwischen 2013 und | |
Januar 2017 eingegangene Bürgschaften gelten. | |
Mittlerweile wurden Niedersachsen und Hessen von der Innenministerkonferenz | |
beauftragt, mit dem Bundesarbeitsministerium eine Lösung für das Problem zu | |
finden. In der Bundespolitik geht es allerdings um andere Fragen – bei den | |
Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD spielte das Thema | |
Bürgschaften keine Rolle. | |
Der evangelische Lüneburger Regionalbischof Dieter Rathing appellierte an | |
die Landes- und Bundespolitik, diese Frage schnellstmöglich zu klären. Man | |
müsse die Bürgen, „die in bester humanitärer Absicht gehandelt haben, | |
entlasten“, sagte er. Rathing stellte sich ausdrücklich hinter Bürgen und | |
Kläger: „Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers ist auf Seiten | |
der Gemeindemitglieder in Wolfsburg und unterstützt sie in ihrer Forderung | |
nach Erlass der Rückforderungen“, so der Bischof. | |
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) empörte sich darüber, dass | |
genau diejenigen ökonomisch bestraft würden, die „besondere Menschlichkeit�… | |
gezeigt hätten. „Es ist nicht hinnehmbar, wenn der Staat nun Helfern | |
nachträglich untragbare Kosten aufbürdet, wenn einmal mehr entmutigt statt | |
ermutigt wird“, sagte Roth. Die Grünen-Politikerin forderte Bund und Länder | |
auf, einen „Hilfsfonds“ aufzulegen, um die Bürgen zu entlasten. | |
22 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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