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# taz.de -- Hilfen für Geflüchtete im Doppelhaushalt: Regelmäßig zu wenig
> Die Koalition will die psychosoziale Versorgung von Geflüchteten
> verbessern. Doch auch wenn der Wille da ist hapert es an der Umsetzung.
Bild: Senatorin Elke Breitenbach (Linke) zu Besuch in einer Unterkunft für gef…
Der interessanteste Teil von Haushaltsverhandlungen spielt sich im Kleinen
ab. Hier können PolitikerInnen Prioritäten setzen, hier sieht man, wie
schwierig es ist, zusätzliches Geld für als wichtig erachtete Vorhaben
locker zu machen. Der Bereich Integration etwa hat [1][im neuen
Doppelhaushalt] einen jährlichen Etat von rund 423 Millionen Euro, davon
geht der größte Batzen (rund 390 Millionen) in fixe Kosten für die
Unterbringung von und Leistungen für Geflüchtete.
Gleichzeitig wurden seit der sogenannten Flüchtlingskrise viele neue
Strukturen aufgebaut, die nun, wo die Ankunftszahlen sinken und aus
Geflüchteten peu à peu MitbürgerInnen werden, wieder abgebaut werden
sollen. Ohne Verlust geht dies freilich nur, wenn die Regelangebote für
alle BerlinerInnen – beziehungsweise für den wachsenden migrantischen Teil
unter ihnen – ausgebaut werden. Was sich Rot-Rot-Grün unter dem Stichwort
„Interkulturelle Öffnung der Gesellschaft“ ohnehin vorgenommen hat.
Wie komplex die Gemengelage ist, zeigt folgendes Beispiel: Nachdem im
Flüchtlingssommer 2015 auf dem Lageso-Gelände Tausende Menschen unter
chaotischen Umständen auf Versorgung warteten, gründeten PsychologInnen und
ÄrztInnen, zunächst ehrenamtlich, die „Clearingstelle für traumatisierte
Geflüchtete“ an der Charité.
Diese bundesweit einzigartige Anlaufstelle wird bis heute von monatlich gut
200 Geflüchteten mit akuten Krisen, Stress- oder Traumafolge-Symptomen
aufgesucht. Dennoch soll sie zum Jahresende schließen – laut
Integrationsverwaltung, weil der Vertrag mit der Charité endet und die
Räume nicht mehr zur Verfügung stehen.
Die Frage ist: Werden nun die Regelstrukturen entsprechend gestärkt, damit
sie den Verlust ausgleichen können?
## 100.000 Euro im Notfallfonds
Ja, sagt die Integrationspolitikerin Bettina Jarasch von den Grünen. Zum
einen gebe es nun einen „Notfallfonds“ von 100.000 Euro pro Jahr für die
Erstattung von Dolmetscherkosten – bislang eine schier unüberwindliche
Hürde für die Behandlung von Flüchtlingen respektive MigrantInnen bei
niedergelassenen Therapeuten oder in den Psychiatrischen
Institutsambulanzen (PIA).
Zudem sollen die auf traumatisierte und psychisch erkrankte Geflüchtete
spezialisierten Kompetenzzentren Xenion und Zentrum Überleben 400.000 Euro
zusätzlich pro Jahr bekommen*, um ihre Fachstellenarbeit im Rahmen des
Berliner Netzwerks für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge (BNS) weiter
auszubauen. Auch sei es „in letzter Sekunde“ gelungen, die geplante Kürzung
von Mitteln bei den bezirklichen Kontakt- und Beratungsstellen
zurückzunehmen, die in Flüchtlingsheimen besonders zur Suchtproblematik
beraten.
Jarasch sagt daher: „Insgesamt haben wir die Versorgung von traumatisierten
und besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen deutlich gestärkt.“
Dietrich Koch, Leiter von Xenion, sieht ebenfalls einen Schritt in die
richtige Richtung getan, aber das Ziel bedarfsgerechter Versorgung sei noch
lange nicht in Sicht. Zwar sei es richtig, die Clearingstelle zu schließen,
„denn die Zeit der Notversorgung ist vorbei“. Aber Regelangebote wie die
PIAs, sofern sie sich für die Behandlung von Geflüchteten qualifiziert
hätten, seien großenteils schon jetzt überlastet.
## Die Mittel reichen nicht aus
Zudem sei der „Notfallfonds“ für Sprachmittler mit 100.000 Euro pro Jahr
für ganz Berlin viel zu klein, und gerade die PIAs oder Niedergelassene in
ihren Praxen könnten davon nicht einmal profitieren.
Und noch etwas ärgert den Psychologen, der seit Jahren dafür kämpft, dass
Berlin d[2][ie EU-Richtlinie zur Unterstützung besonders schutzbedürftiger
Flüchtlinge] umsetzt. Zwar gibt es nun erstmals Geld, mit dem das Landesamt
für Flüchtlingsangelegenheiten direkt im Ankunftszentrum eine Stelle
einrichten wird, die solche Schutzbedürftigen identifizieren soll.
Aber: Das Projekt im Umfang von 400.000 Euro pro Jahr muss erst
ausgeschrieben werden. Für Koch eine unnötige Verkomplizierung: „Der
geplante Beginn zum 1. Januar rückt damit in weite Ferne. Die zu erwartende
Versorgungslücke nach Schließung der Clearingstelle wäre vermeidbar
gewesen.“
Jarasch hat sich das von der Verwaltung erklären lassen: Weil Berlin laut
EU-Richtlinie zur frühzeitigen Identifizierung von besonders
Schutzbedürftigen verpflichtet ist, sehe die Verwaltung das als
„hoheitlich-staatliche Aufgabe“, die nach Vergabegesetz ausgeschrieben
werden müsse. Ihr Trost: „Immerhin tun wir dann endlich, wozu wir
eigentlich seit Jahren verpflichtet sind.“
(*In einer ersten Fassung des Textes stand irrtümlich, Xenion und Zentrum
Überleben würden 750.000 Euro zusätzlich bekommen. Diese Summe bekommt
allerdings das Berliner Netzwerks für besonders schutzbedürftige
Flüchtlinge (BNS), zu dem Xenion und Zentrum Überleben gehören. Von dieser
Gesamtsumme bekommen die beiden Organisationen 400.000 Euro ab. Wir bitten
den Fehler zu entschuldigen.)
11 Dec 2019
## LINKS
[1] /Berliner-Doppelhaushalt-2020/21/!5644582
[2] /Aktionsplan-fuer-EU-Asylreform/!5643600
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
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