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# taz.de -- Wohnungen für Geflüchtete: „Nachhaltiger als Sozialwohnungen“
> Das preisgekrönte Projekt „Wohnraum für Geflüchtete“ hat Erfolg – und
> Projektleiterin Bea Fünfrocken hat eine Idee, was der Senat beitragen
> könnte.
Bild: Bea Fünfrocken mit einer afghanischen Familie, die gerade in das Hauspro…
taz: Frau Fünfrocken, das psychosoziale Zentrum Xenion bietet
Psychotherapie und Aufenthaltsberatung für Geflüchtete. Gerade haben Sie
den Sozialen Menschenrechtspreis der Eberhard-Schultz-Stiftung bekommen für
Ihr Projekt „Wohnraum für Geflüchtete“. Wie kam es dazu, das ist ja nicht
gerade Ihr Kerngeschäft?
Bea Fünfrocken: In der Zeit um 2014, 2015 kamen immer mehr verzweifelte
Klienten und Klientinnen zu uns und sagten, sie würden verrückt in den
Unterkünften, und sie fänden einfach keine Wohnung. Schon damals lebten
manche viele Jahre in Heimen, ihre Kinder kannten nur Flucht und
Unterkunft, konnten nie richtig hier ankommen. Das ist auch aus
therapeutischer Sicht schlecht.
Es gab schon damals kaum freie bezahlbare Wohnungen in der Hauptstadt. Wo
haben Sie welche gefunden?
Es war zuerst sehr frustrierend. Aber ich habe dann, auch weil ich selbst
in einem selbstverwalteten Hausprojekt wohne, im Kerngehäuse in Kreuzberg,
angefangen bei Hausprojekten nachzufragen. Ich finde, das ist einfach das
Beste für Geflüchtete. Außerdem sind das Gruppen, die es oft schade finden,
dass sie meistens wenig gemischt sind. So hat sich zum Beispiel die
Kumi*13, ein Projekt des Mietshäusersyndikats in Schöneberg, an uns
gewandt, in welches jetzt zwei geflüchtete Familien einziehen konnten.
Warum sind Hausprojekte Ihrer Ansicht nach ideal für Geflüchtete?
In solchen Gemeinschaftsformen bist du in Kontakt mit den Nachbarn. Sie
sind grundsätzlich offen für Menschen aus der ganzen Welt und haben das
Selbstverständnis, dass man Sachen miteinander teilt, dass man nicht nur
ein Nachbar ist, sondern sich zusammen kümmert, um den Garten, um die
Finanzen, dass man füreinander da ist. Viele Geflüchtete kennen so ein
gemeinschaftliches Leben von zu Hause. Sie befremdet es eher, dass man hier
mit Nachbarn wohnt, die man nicht kennt.
Also Sie suchen gar nicht bei normalen Vermietern wie Deutsche Wohnen und
Co?
Wir haben uns von Anfang an auf Privatvermietende und an gemeinschaftliche
Wohnprojekte gewandt. Also an Vermieter, wo es nicht um den WBS geht – weil
die meisten unserer Klient*innen im Asylverfahren sind.
Und die bekommen keinen Wohnberechtigungsschein (WBS)?
Nein, und die Menschen mit Duldung auch nicht. Wir haben Familien, da haben
die Kinder eine Fiktionsbescheinigung, der Vater hat eine
Aufenthaltsgestaltung, die Mutter eine Aufenthaltserlaubnis – solche
komplizierten Fälle auf dem klassischen Wohnungsmarkt zu vermitteln ist
unmöglich. Wir brauchen ein kooperierendes Gegenüber.
Und wo finden Sie den?
Es gibt immer wieder Einzeleigentümer, die sich an uns wenden und uns eine
Wohnung anbieten. Dann gucken wir in unserer Liste der Wohnungssuchenden,
wer passen würde. Wir schauen, was für ein Haus das ist: Gibt es da auch
andere Kinder, sind es eher ältere Menschen, die ihre Ruhe haben wollten,
in welchem Bezirk liegt es? Dann schlagen wir das Wohnungssuchenden vor und
begleiten auch das Kennenlernen.
Sie arbeiten auch viel mit Genossenschaften zusammen. Warum? Haben die ein
gesteigertes Interesse daran, Geflüchtete als Mieter*innen aufzunehmen?
Na ja, man kann das nicht im Allgemeinen sagen. Aber ich finde,
Genossenschaft ist ein super Prinzip. Als ich die Wohnungsvermittlung
anfing, habe ich darum alle Genossenschaften angeschrieben, die ich kannte.
Der Rücklauf war mau, fast alle schrieben, sie hätten lange Wartelisten.
Aber dann kam die Genossenschaft am Ostseeplatz auf mich zu, die hatte
gerade den Prozess für das Gemeinschaftswohnen im Wedding begonnen – und
wollte Geflüchtete einbinden.
Und wie klappte das?
Im Prinzip super, bis das Problem mit dem WBS aufkam. Es haben sich
Geflüchtete beworben und zwei Jahre lang an dem Partizipationsprozess
beteiligt, haben mitgeplant, mitgestaltet. Aber dann war es ein
Glücksspiel, ob sie zum Zeitpunk des Einzugs auch eine Aufenthaltserlaubnis
haben würden – also einen WBS bekommen. Am Ende hat es geklappt, aber es
war ein Vabanquespiel bis einen Monat vor dem Einzug.
Also ein großes Risiko für alle Beteiligten.
Umso mehr hat es uns gefreut, dass danach die [1][Baugenossenschaft Begeno
16 mit ihrem neuen Projekt in Weißensee] auf uns zugekommen ist. Sie haben
uns vier Wohnungen für geflüchtete Familien und einige Wohnungen für junge
Geflüchtete angeboten – und sogar mit uns zusammen ausgerechnet, wie teuer
die Miete maximal sein darf. Weil ja von den Leistungsträgern nur eine
bestimmte Miethöhe als „angemessen“ übernommen wird. Das hat die
Genossenschaft in ihrem Finanzkonzept mitberücksichtigt und die Miete für
die Geflüchteten gesenkt. Aber die Genossenschaftseinlagen waren trotzdem
zu zahlen.
Das heißt?
Bei Genossenschaften ist es so: Man wird erst mal Mitglied, das kostet so
500 bis 1.000 Euro. Wenn man dann irgendwann einen Mietvertrag abschließt,
muss man zusätzlich die wohnungsbezogenen Pflichtanteile zeichnen, die die
Genossenschaft zur Gesamtfinanzierung braucht.
Und wie hoch sind die?
Bei Bestandsgenossenschaften, die es schon lange gibt, sind es so 2.000 bis
5.000 Euro, je nach Wohnungsgröße – etwa 70 Euro pro Quadratmeter.
Das geht ja noch.
Ja, und das übernehmen auch die Leistungsträger, etwa das Jobcenter. Im
Neubau brauchen wir aber heutzutage 1.100 Euro pro Quadratmeter. Das ist
das Problem: Genossenschaften, die Sozialwohnungen bauen oder ihre
Wohnungen zu einem sozialverträglichen Preis anbieten, müssen trotzdem
diese wohnungsbezogenen Pflichtanteile bekommen.
Aber die kann niemand zahlen, der eine Sozialwohnung braucht?
Nein, das kann niemand. Deswegen haben wir bei der Stiftung Trias ein
Sondervermögen ins Leben gerufen, um Spenden einzuwerben. Die Stiftung legt
das Geld also als Genossenschaftseinlage für Wohnraum für Geflüchtete an.
Es gibt auch Menschen, die direkt solidarische Genossenschaftsanteile
zeichnen, die sozusagen ihr Geld in einem Projekt anlegen, mit dem wir
zusammenarbeiten, um Wohnungen für Geflüchtete zu realisieren. In beiden
Fällen bekommt Xenion ein Belegungsrecht, das heißt, auch wenn die Person
auszieht, können wir für die Wohnung wieder Nachmieter vorschlagen.
Der Senat fördert ja Wohnungsbau von Genossenschaften durch
Grundstücksvergabe. Dafür verlangt er, dass ein bestimmter Anteil
Sozialwohnungen gebaut wird. Aber wie sollen Genossenschaften
Mieter*innen für ihre Sozialwohnungen finden, wenn die Menschen so hohe
Einlagen zahlen müssen?
Das ist das Problem. Der Senat hat das auch erkannt und bei der IBB ein
Förderdarlehen ins Leben gerufen, mit dem man Anteile erwerben kann.
Also hilft die Investitionsbank Berlin aus?
Ja, nur funktioniert das schlecht. Es gibt wenige Haushalte, für die das
Programm infrage kommt: Im vorigen Jahr wurden nur zwölf Anträge genehmigt.
Für das Förderdarlehen muss man nämlich solvent sein, das heißt: Einkommen
haben. Für Menschen im Leistungsbezug funktioniert das nicht, sie bekommen
kein IBB-Darlehen.
Quasi ein Förderprogramm, das niemand in Anspruch nehmen kann?
Ich verstehe es auch nicht, es ist wirklich am Problem vorbei angelegt.
Unser Vorschlag ist: Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sollte ein
Sondervermögen festlegen und das Geld in Genossenschaften anlegen, die
Wohnungen für Geflüchtete anbieten. Das Geld bleibt dort, solange die
Wohnung für Geflüchtete gebraucht wird. Das ist eine reine Geldanlage, und
sobald die Wohnung nicht mehr für den Zweck gebraucht wird, würde das Geld
zurückfließen und der Senat kann es für anderes ausgeben. Das ist sogar
nachhaltiger als Sozialwohnungen bauen!
Was sagt der Senat dazu?
Wir versuchen seit drei Jahren darüber mit der Stadtentwicklungsverwaltung
zu sprechen, aber irgendwie hat sie noch nicht angebissen. Das Einzige, was
sie bisher gemacht hat, ist, die Förderung für diesen IBB-Kredit zu
überarbeiten, damit ihn mehr Menschen nehmen können. Dafür haben sie den
WBS 180 eingeführt für Menschen der Mittelschicht, die etwas Geld haben,
aber keine Wohnung finden, damit auch sie in den Genuss dieser Förderung
kommen. Aber Menschen im Leistungsbezug hilft das weiterhin nichts.
Würde es helfen, wenn auch Geflüchtete in Berlin einen
Wohnberechtigungsschein bekommen würden?
Ja, zusammen mit dem Flüchtlingsrat und anderen fordern wir das seit
Jahren. Es geht ja auch nur darum, eine Berechtigung zu bekommen – eine
Wohnung hat man damit noch lange nicht. Trotzdem hat es Rot-Rot-Grün nicht
geschafft, den WBS für Geflüchtete einzuführen. Sogar Menschen, die mal
einen WBS hatten, weil sie eine Aufenthaltserlaubnis haben, können ihn
wieder verlieren.
Wie das?
Es ist absurd. Wir haben jetzt eine Familie aus Syrien, sie leben seit 2016
in Unterkünften, haben zwei Mädchen im Rollstuhl und einen Sohn. Sie hatten
ein Wohnungsangebot, aber ihr WBS war gerade ausgelaufen, und einen neuen
haben sie nicht bekommen, weil die Aufenthaltserlaubnis nur noch zehn
Monate gültig war. Die Wohnung haben sie darum nicht bekommen.
Bei all diesen Schwierigkeiten: Wie viele Wohnungen konnten Sie bisher
für Geflüchtete gewinnen?
Seit wir 2016 angefangen haben, konnten wir circa 200 Wohnungen vermitteln,
sowohl in Gemeinschaftswohnprojekten als auch über Einzeleigentümer oder
Hausverwaltungen. Wir könnten noch viel mehr schaffen. Mein Kollege und
ich, wir sind zu zweit, rotieren gerade, weil wir plötzlich lauter
Wohnungsangebote haben.
Woher?
Wir netzwerken viel, machen viel Lobbyarbeit und werden immer bekannter.
Und die Menschen, die gerne an Geflüchtete vermieten wollen, wissen, dass
sie bei uns ein Gegenüber haben, mit dem sie über alles sprechen können.
Das Ganze ist sehr arbeitsintensiv, wir begleiten den ganzen Prozess und
garantieren die Wohnbegleitung auch nach dem Einzug. Deswegen bekommen wir
so viele Angebote.
Könnte das auch in größerem Maßstab funktionieren?
Natürlich. Berlin hätte schon längst eine Beratungsstelle für Vermieter
aufbauen sollen, die an Menschen im Leistungsbezug und an Geflüchtete
vermieten wollen. Aber das ist ein zeitaufwendiges, langfristiges Geschäft.
Andere Kommunen, etwa Karlsruhe, sind da viel weiter und machen kreative
Angebote – damit Vermieter ein Interesse daran haben, an diese Gruppen zu
vermieten.
3 Nov 2023
## LINKS
[1] /Solidarisches-Wohnprojekt-in-Berlin/!5633632
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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