| # taz.de -- Bürgschaften für Flüchtlinge: Behördenchaos macht Bürgen arm | |
| > Zwei Eheleute sollen 26.000 Euro zahlen, weil sie für eine Syrerin | |
| > gebürgt haben. Ihre Klage scheitert – auch wegen der uneinheitlichen | |
| > Praxis in Ämtern. | |
| Bild: Beatrix und Bernd Metzner mit Heba Abazeid | |
| Berlin taz | Zwischen gesundem Menschenverstand und deutscher Bürokratie | |
| liegen häufig Welten. So auch im Fall von Bernd und Beatrix Metzner. Sie | |
| hatten 2015 mit einer Bürgschaft die Einreise einer jungen Syrerin und | |
| ihrem damals zweijährigen Kind ermöglicht. Drei Jahre später [1][fordert | |
| das Jobcenter rund 26.000 Euro vom Ehepaar.] Mit einer Klage am | |
| Verwaltungsgericht Berlin wollten die Metzners die Zahlung verhindern. Denn | |
| eigentlich hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bereits im | |
| Januar versprochen, dass solche und andere Rückforderungen nichtig seien. | |
| Doch die Metzners scheiterten am Donnerstag mit ihrer Klage vor Gericht an | |
| der undurchsichtigen Gesetzeslage. Selbst der zuständige Richter Lars | |
| Jenssen sprach von „Chaos in der Verwaltung“. Nach dem Urteil kündigten | |
| Bernd und Beatrix Metzner an, in Berufung zu gehen. | |
| Heba Abazeid ist die Schwester des Schwiegersohns der Metzners. Tochter und | |
| Schwiegersohn leben in Berlin. 2013 startete Berlin ein Aufnahmeprogramm, | |
| das in Berlin lebenden Familienangehörigen syrischer Flüchtlinge die | |
| Möglichkeit gab, diese aufzunehmen. Mit ihrer Bürgschaft ermöglichten die | |
| Metzners Heba Abazeid und ihrer Tochter eine sichere [2][Flucht] aus Syrien | |
| und eine neue Existenz in Deutschland. | |
| Voraussetzung war, dass beide eine Erklärung unterschrieben, in der sie | |
| sich verpflichteten, für alle Kosten in Bezug auf die beiden aufzukommen. | |
| So wie hunderte andere Hilfsbereite bundesweit, die in dem festen Glauben | |
| unterschrieben, dass die Verpflichtung erlischt, sobald den Geflüchteten | |
| Asyl gewährt wird. | |
| ## Die Erleichterung hielt nicht lange an | |
| Doch das Gesetz war unbestimmt und sah eine unbegrenzte Haftung vor. 2016 | |
| schuf der Bundestag Klarheit: Unabhängig vom Asylverfahren gelten | |
| Verpflichtungserklärungen seither für fünf beziehungsweise in älteren | |
| Fällen wie bei den Metzners drei Jahre. Daraufhin verschickten die | |
| Jobcenter deutschlandweit rund 2.500 Zahlungsaufforderungen. | |
| Nach Protesten erklärte Bundesarbeitsminister Heil 2019 das Problem für | |
| gelöst: „Ich kann in den nächsten Tagen die Jobcenter anweisen, von diesen | |
| Rückforderungen an Flüchtlingsbürgen abzusehen.“ Die Erleichterung war | |
| groß, hielt aber nicht lang an: die Weisung des Bundesarbeitsministeriums | |
| an die Jobcenter besagt nicht, dass alle Zahlungsaufforderungen aufgehoben | |
| werden sollen. Eine Ausnahme besteht, wenn die Ausländerbehörde | |
| „nachweislich“ über die Dauer der Verpflichtung aufgeklärt habe. | |
| Anders als in anderen Bundesländern unterzeichneten in Berlin alle | |
| BürgInnen eine Zusatzerklärung, die wie der ursprüngliche Gesetzestext eine | |
| unbegrenzte Haftung vorsah. Trotzdem handeln die Berliner Jobcenter nicht | |
| einheitlich. Hier beginnt das Chaos. Einige Jobcenter, wie in | |
| Friedrichshain-Kreuzberg oder Spandau, hoben mit Bezug auf die Weisung des | |
| Arbeitsministeriums die Zahlungsaufforderung auf. Andere, wie das Jobcenter | |
| Tempelhof-Schöneberg, machen weiterhin Ansprüche geltend. | |
| ## „Rechtsstaatlich höchst bedenklich“ | |
| „Das ist, als wenn ein Lehrer identische Arbeiten zweier Schüler | |
| unterschiedlich bewertet“, echauffierte sich Bernd Metzner am Donnerstag | |
| über die Ungleichbehandlung. Eine Gleichbehandlung mit anderen Fällen, die | |
| zugunsten der BürgInnen entschieden wurden, will das Ehepaar weiter | |
| einklagen. | |
| Der zuständige Richter Jenssen war eigentlich auf Seiten des Ehepaars, als | |
| er erklärte, er erkenne keine klare Praxis der Jobcenter. Für ihn sei | |
| deshalb das Verfahren „höchst bedenklich in rechtsstaatlichen | |
| Gesichtspunkten“. | |
| Dennoch entschied Richter Jenssen zuungunsten der Kläger. Er berief sich | |
| dabei auf zwei Urteile des Bundesverwaltungsgericht aus den Jahren 2014 und | |
| 2017. Nur in atypischen Fällen könne das Gericht demnach nach Ermessen und | |
| zugunsten der Kläger entscheiden. Atypische Fälle liegen beispielsweise | |
| vor, wenn sich die Einkommenssituation der BürgInnen drastisch | |
| verschlechtert. Das sei bei den Metzners nicht der Fall. | |
| Außerdem hielt der Richter die Weisung des Bundesarbeitsministeriums als | |
| Grundlage, auf der die Zahlungsaufforderungen aufgehoben wurden, für | |
| rechtswidrig. | |
| ## Fall von „grundsätzlicher Bedeutung“ | |
| Neben der Klage lehnte der Richter auch die Forderung der Kläger nach einer | |
| Unterbrechung des Verfahrens bis Ende Januar ab. Im Januar wollen die | |
| Jobcenter Statistiken vorlegen, welche Fälle sie nach Erlass der Weisung | |
| wie entschieden haben. | |
| Ein Lichtblick für die Kläger ist, dass Richter Jenssen eine Berufung | |
| zulässt. Jenssen spricht von einer „grundsätzlichen Bedeutung des Falls“. | |
| Diese Möglichkeit wollen die Metzners nutzen. „Hier erfolgt Rechtssprechung | |
| aufgrund von Chaos. Gerichte sollten mit Gerechtigkeit zu tun haben. Die | |
| wollen wir erreichen“, zeigt sich Bernd Metzner entschlossen mit Blick auf | |
| einen erneuten Termin vor Gericht – dann vor dem Oberverwaltungsgericht. | |
| Wann, steht noch nicht fest. | |
| 13 Dec 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jonas Julino | |
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