# taz.de -- Eilantrag in Karlsruhe: Kein Recht auf Familie? | |
> Das Bundesverfassungsgericht muss über Klagen von minderjährigen | |
> Flüchtlingen entscheiden. Sie wollen ihre Familien nachholen, dürfen aber | |
> nicht. | |
Bild: Minderjährige Flüchtlinge bekommen in einem Jugendhilfezentrum Deutschu… | |
Karlsruhe taz | Die Union will den Familiennachzug für | |
Bürgerkriegsflüchtlinge weiter aussetzen. Das verstößt möglicherweise gegen | |
das Grundgesetz. Beim Bundesverfassungsgericht liegen schon zwei Klagen | |
vor. Über einen Eilantrag muss noch diese Woche entschieden werden. | |
Ein 17-jähriger Syrer, der am Freitag volljährig wird, fürchtet, dass er | |
damit die Möglichkeit, seine Eltern nach Deutschland zu holen, endgültig | |
verliert. Seine Verfassungsbeschwerde ist daher mit einem Eilantrag | |
verbunden. Der Jugendliche kam im September 2015 direkt aus Syrien. In | |
Deutschland erhielt er subsidiären Schutz als Bürgerkriegsflüchtling. | |
Inzwischen ist der Jugendliche depressiv, aus Sorge um die in Syrien | |
zurückgebliebenen Eltern. Eine Psychologin attestierte, dass sich der | |
Zustand des jungen Mannes stabilisieren würde, wenn er mit seiner Familie | |
zusammenleben könnte. In Deutschland kümmere sich niemand um ihn. Sein | |
Vormund, ein Onkel, sei heroinabhängig. | |
Der zweite Fall betrifft einen 12-jährigen Jungen. Die Mutter flüchtete mit | |
ihm aus dem syrischen Homs. Über längere Stationen im Libanon und in | |
Ägypten kamen sie im Juni 2014 in die Türkei. Die Mutter fand Arbeit als | |
Buchhalterin, der Junge besuchte eine syrische Schule. Da die Familie für | |
den Jungen keine Chance sah, in der Türkei einen regulären Schulabschluss | |
zu machen, brach er im April 2015 mit einem Onkel nach Deutschland auf, die | |
Mutter sollte bald nachkommen. | |
Der Junge erhielt in Deutschland ebenfalls subsidiären Schutz und lebt | |
heute mit dem 27-jährigen Onkel in Dresden. Allerdings hat der Junge | |
schwere Migräne-Attacken und kann deshalb oft nicht in die Schule. Sein | |
Arzt attestierte psychosomatische Ursachen. Jeden Abend telefoniert der | |
Junge mit seiner Mutter, die er sehr vermisst. | |
Die Berliner Verwaltungsgerichte lehnten in beiden Fällen die Anträge auf | |
Familiennachzug ab. Dieser sei bei Bürgerkriegsflüchtlingen mit subsidiärem | |
Schutz bis März 2018 ausgesetzt. Da dies eine gesetzliche Regelung ist, | |
hätten die Gerichte keinen Ermessensspielraum. | |
## Familiennachzug dauerhaft bedroht | |
Mit Unterstützung der Organisation Jumen (Juristische Menschenrechtsarbeit) | |
erhoben die Familien in beiden Fällen Verfassungsbeschwerde. „Wir wollen | |
mit strategischen Prozessen eine Grundsatzentscheidung des | |
Bundesverfassungsgerichts erreichen“, sagt Geschäftsführerin Adriana | |
Kessler. | |
Die Kläger berufen sich vor allem auf Artikel 6 des Grundgesetzes. Danach | |
stehen Ehe und Familie „unter dem besonderen Schutz des Staates“. Die lange | |
Aussetzung des Familiennachzugs sei unverhältnismäßig. Zu berücksichtigen | |
sei auch die UN-Kinderrechtskonvention. Danach müsse das „Kindeswohl“ bei | |
allen staatlichen Entscheidungen als wesentliche Leitlinie beachtet werden. | |
Die im Gesetz vorgesehene Härtefallregelung greife nicht, weil sie nur auf | |
die Situation der Angehörigen im Ausland abstelle, nicht aber auf die der | |
minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland. | |
Derzeit ist der Familiennachzug nur für Bürgerkriegsflüchtlinge mit | |
subsidiärem Schutz ausgesetzt. Wer als politisch verfolgter Flüchtling | |
(GFK-Flüchtling) anerkannt ist, kann Angehörige nachholen – auch wenn sich | |
die Behörden bei der Bearbeitung der Anträge oft viel Zeit lassen. Der | |
Familiennachzug für Verfolgte konnte nicht ausgesetzt werden, weil dies | |
gegen EU-Recht verstoßen hätte. | |
Das Recht auf Familiennachzug für subsidiär Geschützte war erst im August | |
2015 eingeführt worden, um die Ungleichbehandlung mit den GFK-Flüchtlingen | |
zu beenden. Darauf hatte vor allem die SPD gedrängt. Dann aber kam die | |
große Flüchtlingsbewegung und die CDU/CSU setzte durch, dass der | |
Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge für zwei Jahre ausgesetzt wird. | |
Seitdem wird Syrern überwiegend nur noch subsidiärer Schutz zugebilligt. | |
Die Gerichte bestätigen das überwiegend. | |
Wenn sich die Union bei den Koalitionsverhandlungen durchsetzt, wird der | |
Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge dauerhaft ausgesetzt. Das | |
Problem würde damit verschärft. Pro Asyl kritisiert, dass dies auch die | |
Integration behindert: „Wer um das Leben seiner engsten Angehörigen bangen | |
muss, kann sich auf die Herausforderungen, die ein Neuanfang in fremder | |
Umgebung bedeutet, nur schwer einlassen.“ | |
10 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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