# taz.de -- CDU und CSU einigen sich bei Obergrenze: So-tun-als-sei-nie-etwas-g… | |
> 200.000 Menschen – diese ominöse Zahl soll CDU und CSU versöhnen. Der | |
> liebe Frieden geht dabei über das Wohl der Geflüchteten. | |
Bild: Präsentieren ihren Deal: Merkel und Seehofer bei der Pressekonferenz im … | |
Berlin taz | Wenn Angela Merkel etwas meisterhaft beherrscht, dann das | |
So-tun-als-sei-nie-etwas-gewesen. Was hat sie wegen der vermaledeiten | |
Obergrenze nicht alles über sich ergehen lassen müssen: Da war Horst | |
Seehofers etwas irrer Vorwurf, es gebe eine Herrschaft des Unrechts in | |
Deutschland. Da war seine Drohung, in Karlsruhe gegen die eigene Regierung | |
zu klagen. Da war die Demütigung beim CSU-Parteitag, bei der Seehofer | |
Merkel minutenlang auf offener Bühne belehrte wie ein kleines Mädchen. | |
Insofern ist die Frage, die der Reporter Montagmittag im | |
Konrad-Adenauer-Haus stellt, mehr als berechtigt: Wieso haben CSU-Chef | |
Horst Seehofer und die Kanzlerin eigentlich zwei Jahre gebraucht, um sich | |
beim Thema Flüchtlingspolitik zu einigen? Haben beide versagt? „Alles hat | |
seine Zeit“, sagt Merkel lakonisch. „Gestern war diese Zeit.“ | |
Pffft, war da was? Merkel ist schon wieder im routinierten Vorwärts-Modus. | |
Die Vereinbarung sei eine „sehr, sehr gute Basis“ für die Verhandlungen mit | |
FDP und [1][Grünen], sagt sie und: Am Mittwoch kommender Woche werde die | |
Union getrennte Gespräche mit FDP und Grünen führen, am Freitag sei dann | |
die erste gemeinsame Sondierungsrunde geplant. | |
Eine halbe Stunde nehmen sich Merkel und ihr ehemals erbitterter | |
Gegenspieler Zeit, um den Kompromiss vorzustellen. Stundenlang hatten | |
Verhandler beider Parteien im Kanzleramt um eine gemeinsame Linie in der | |
Flüchtlingspolitik gerungen, am späten Sonntagabend war der Deal dann auf | |
einem zweiseitigen Papier fixiert. Beide mühen sich nun, größtmögliche | |
Einigkeit zu demonstrieren. Seehofer lobt den Kompromiss überschwänglich | |
als „schlüssiges Regelwerk“, das auf alle Eventualitäten in der Zukunft | |
reagieren könne. | |
## Einen Namen hat diese „Gesamtzahl“ nicht | |
Davon allerdings kann keine Rede sein. Das Papier versammelt dürre | |
Formulierungen, die einen Rechtsschwenk der Union in der Flüchtlingspolitik | |
bedeuten, aber auch vieles offen lassen. „Wir wollen erreichen, dass die | |
Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen […] [2][die Zahl von | |
200.000 Menschen im Jahr] nicht übersteigt.“ Das ist der Satz, auf den | |
Seehofer zwei Jahre hingearbeitet hat. Einen Namen hat diese „Gesamtzahl“ | |
nicht. Sie heißt weder „Obergrenze“ noch „Richtwert“. Seehofer ist das… | |
egal: „Es kommt auf den Gehalt der Regelung an, nicht auf Begriffe.“ | |
Die Gesamtzahl wird gebildet, wenn man drei Gruppen zusammenzählt. Erstens: | |
Migranten, die in Deutschland einen Antrag auf Asyl (für politisch | |
Verfolgte) oder subsidiären Schutz (für Bürgerkriegsflüchtlinge) stellen. | |
Zweitens: Flüchtlinge, die im Rahmen von Kontingenten aus Krisengebieten | |
ins Land geholt werden. Drittens: Familien, die zu bereits hier lebenden | |
Flüchtlingen nachziehen. Von der Gesamtzahl abgezogen werden Migranten, die | |
zwangsweise „rückgeführt“ werden oder freiwillig ausreisen. | |
Keine Rolle bei der Berechnung spielen EU-Bürger, die nach Deutschland | |
ziehen, und sonstige Ausländer, die als Arbeitskräfte einwandern dürfen. | |
Eine Änderung der Gesamtzahl von 200.000 soll möglich sein, wenn | |
internationale Entwicklungen wie Kriege dazu führen, dass das Ziel nicht | |
eingehalten werden kann. Dann müsse die Bundesregierung einen Vorschlag | |
machen, über den der Bundestag abstimmt. Seehofer nennt die Einbindung des | |
Parlaments den „größten Fortschritt“. Auch eine Absenkung der Gesamtzahl | |
soll durch den Bundestag möglich sein, etwa bei stark steigender | |
Arbeitslosigkeit in Deutschland. | |
Seehofer hat mit diesem Papier seine Vorstellung aufgegeben, man könne die | |
Zuwanderung von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen regulieren und nach | |
Erreichen einer bestimmten Zahl einfach niemand mehr einlassen. „Das würde | |
eine Reform des Dublin-Verfahrens voraussetzen“, hat der CSU-Chef jetzt | |
eingesehen. Anfang 2016 sprach er noch von einer „Herrschaft des Unrechts“, | |
weil die Bundesregierung seine Vorschläge ablehnte. | |
## Bloß keine roten Linien ziehen | |
Nun betont Merkel, dass es eine „aus dem Recht der EU resultierende | |
Verpflichtung gibt“, jeden Asylantrag zu bearbeiten. Das kann sich aber | |
auch darauf beschränken, dass Deutschland feststellt, welcher EU-Staat nach | |
den Dublin-Regeln zuständig ist, und den Flüchtling dann dorthin | |
überstellt. Bisher hat Deutschland oft freiwillig auf solche Überstellungen | |
verzichtet, um die Staaten an den EU-Außengrenzen zu entlasten. Hier hat | |
Deutschland ein zulässiges Regulativ, um die „Gesamtzahl“ zu steuern. Das | |
Grundrecht auf Asyl steht dem nicht entgegen, da es von Union, SPD und FDP | |
1993 weitgehend abgeschafft wurde. | |
Problematisch ist vor allem, dass auch der Familiennachzug in die | |
Gesamtzahl einbezogen ist. Politisch verfolgte Flüchtlinge haben Anspruch | |
auf Familiennachzug. Machen sie davon intensiv Gebrauch, könnten kaum noch | |
neue Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Bei Bürgerkriegsflüchtlingen soll | |
deshalb der Familiennachzug weiterhin „ausgesetzt“ bleiben. Eigentlich | |
sollte diese Aussetzung im März 2018 enden. Das langfristige Verbot von | |
Familiennachzug dürfte verfassungswidrig sein, denn das Grundgesetz schützt | |
auch das Familienleben von Bürgerkriegsflüchtlingen. | |
Die Zahl der Abschiebungen will die Union vor allem dadurch steigern, dass | |
die Asylverfahren künftig nur noch in „Entscheidungs- und | |
Rückführungszentren“ durchgeführt werden. Dort sollen spezialisierte | |
Dolmetscher, Richter und Ärzte für schnelle Entscheidungen „binnen sechs | |
Wochen“ sorgen, sagt Seehofer. Beispielhaft seien die Einrichtungen in | |
Bamberg, Machning und Heidelberg. Wenn Migranten erst einmal auf die | |
Kommunen verteilt wurden, sei nach Ablehnung eines Asylantrags eine | |
„Rückführung kaum noch möglich“, behauptet Merkel. | |
Etwas ist auffällig: Beide bemühen sich, vor den Sondierungen für ein | |
Jamaika-Bündnis keine roten Linien zu ziehen. Der Kompromiss sei die | |
„gemeinsame Haltung“ von CDU und CSU, sagt Merkel. Seehofer hatte lange | |
behauptet, er werde keinen Koalitionsvertrag ohne Obergrenze | |
unterschreiben. Er sei gerne jemand, der in der Öffentlichkeit rote Linien | |
definiere, sagt er nun. „Jetzt ist die Zeit, ergebnisorientiert zu reden.“ | |
9 Oct 2017 | |
## LINKS | |
[1] /Kommentar-Krisengipfel-CDU-und-CSU/!5453510 | |
[2] /Gemeinsamer-Kurs-CDU-und-CSU/!5453508 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
Ulrich Schulte | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Schwerpunkt Flucht | |
CDU/CSU | |
Familiennachzug | |
CSU | |
Asylverfahren | |
Schwerpunkt Syrien | |
Familiennachzug | |
Asyl | |
Schwerpunkt Emmanuel Macron | |
Bündnis 90/Die Grünen | |
Jamaika-Koalition | |
Union | |
CDU | |
CDU | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
CSU-Chef Horst Seehofer unter Druck: Bayerns Junge Union fordert Rückzug | |
Mit der Jugendabteilung stellt sich der erste große Parteiverband offen | |
gegen Seehofer. Der CSU-Chef bleibt ihrer Jahresversammlung fern, dafür | |
spricht Söder. | |
Politische Willkür bei Asylverfahren: Regierung handelt destruktiv | |
Jedes Bundesland entscheidet anders über Asylbewerber. Das ist der Beweis | |
für Willkür. Die raubt Geflüchteten das Gefühl von Handlungsmacht. | |
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: Kein Familiennachzug für Syrer | |
Der Eilantrag eines 17-Jährigen, der demnächst volljährig wird, scheitert | |
in Karlsruhe. Offen bleibt, ob das Gesetz verfassungswidrig ist. | |
Familiennachzug nach Deutschland: 70.000 Syrer und Iraker warten | |
Regelmäßig geistern Szenarien von massenhafter Zuwanderung per | |
Familiennachzug durch die Republik. Wie viele kommen tatsächlich? Die | |
aktuellen Zahlen. | |
Eilantrag in Karlsruhe: Kein Recht auf Familie? | |
Das Bundesverfassungsgericht muss über Klagen von minderjährigen | |
Flüchtlingen entscheiden. Sie wollen ihre Familien nachholen, dürfen aber | |
nicht. | |
Frankreich öffnet Weg nach Europa: Legale Einreise für 10.000 Flüchtlinge | |
Frankreich setzt die Absichtserklärung eines Migrationsgipfels in Paris um. | |
Binnen zwei Jahren sollen 10.000 Flüchtlinge aufgenommen werden. | |
Grüne Jugend zum Unionskurs: „Jamaika kann uns schreddern“ | |
Die Junggrüne Jamila Schäfer wirft der CSU vor, das Geschäft der AfD zu | |
betreiben. Die Grünen würden die 200.000-Begrenzung „nicht mittragen“. | |
Verhandlungen über Regierungskoalition: Zeitplan für Jamaika-Gespräche steht | |
CDU und CSU haben sich auf eine Flüchtlings-Zielmarke geeinigt. Diese sorgt | |
für Zündstoff: Die CSU feiert sie als „Obergrenze“. Die Grünen sind | |
verschnupft. | |
Kommentar Krisengipfel CDU und CSU: Wildes Ringen, große Not | |
Was beim Krisentreffen der Union in der Flüchtlings-und | |
Einwanderungspolitik ausgehandelt wurde, dürfte auch für die Grünen | |
anschlussfähig sein. | |
Gemeinsamer Kurs CDU und CSU: Maximal 200.000 Flüchtlinge jährlich | |
CDU und CSU haben sich in Sachen Migration auf eine Position für die | |
Koalitionsverhandlungen geeinigt. Von Grünen kommen Kritik und Lob | |
gleichzeitig. | |
Gemeinsamer Kurs von CDU und CSU: Selfie-Angie vs. Obergrenzen-Horst | |
Seehofer dringt mit einem Zehn-Punkte-Plan auf einen rechteren Kurs der | |
Union. Ob die Kanzlerin das gutheißt, entscheidet letztlich über Seehofers | |
Zukunft. |