# taz.de -- Politische Willkür bei Asylverfahren: Regierung handelt destruktiv | |
> Jedes Bundesland entscheidet anders über Asylbewerber. Das ist der Beweis | |
> für Willkür. Die raubt Geflüchteten das Gefühl von Handlungsmacht. | |
Bild: Verwehrt der Staat den Familiennachzug, zieht es den Geflüchteten den Bo… | |
Eine Szene in einem Verwaltungsgericht in Brandenburg. Geladen ist der | |
Pakistaner Amin G., Belutsche. Sein Asylantrag war abgelehnt worden, diese | |
Richterin ist seine letzte Chance. G., drei Jahre in Deutschland, gut | |
Deutsch sprechend, erwerbstätig, erhält an diesem Tag von ihr seine | |
Anerkennung als [1][politischer Flüchtling]. Sein Anfangsbuchstabe im | |
Nachnamen hatte zur Folge gehabt, dass genau diese Richterin, bekannt als | |
„Altlinke“, für ihn zuständig war. Hätte sein Nachname mit einem W | |
begonnen, hätte ihr Kollege, als „harter Hund“ bekannt, die Klage G.s gegen | |
seine Ablehnung wohl abgeschmettert. | |
Ein Asylverfahren zu durchleben, das heißt, von Zufälligkeiten, von | |
Willkür, von Umständen abhängig zu sein, über die man keine Kontrolle hat. | |
Anwälte sprechen daher vom „zweiten Trauma“ eines Asylverfahrens, das viel | |
zu tun hat mit den Verhältnissen in Deutschland und nichts mit denen im | |
Herkunftsland. | |
Wie willkürlich Entscheidungen in Asylverfahren sein können, beweist eine | |
Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linke-Abgeordneten Ulla | |
Jelpke. Sie belegt, dass die sogenannten Schutzquoten je nach Bundesland | |
stark variieren können. Von Flüchtlingen aus dem Irak wurden in Berlin | |
beispielsweise in der ersten Hälfte dieses Jahres nur 50,3 Prozent als | |
schutzwürdig anerkannt. In Bremen hingegen waren es 96,4 Prozent. Die | |
Spannbreite der positiven Asylbescheide liegt bei Antragstellern aus | |
Afghanistan zwischen 30,9 Prozent in Brandenburg, 36,2 Prozent in Bayern | |
und 65 Prozent in Bremen. Bei Antragstellern aus dem Iran reichte das | |
Spektrum der Anerkennung von 37,6 Prozent in Bayern bis zu 85 Prozent in | |
Bremen. | |
Gerade für Geflüchtete aus den strittigen Herkunftsländern wie Irak oder | |
Afghanistan herrscht eine unterschiedliche Praxis. WissenschaftlerInnen der | |
Universität Konstanz untersuchten die Anerkennungsquoten zwischen den | |
Jahren 2010 und 2015 und stießen auch auf erhebliche Unterschiede. In | |
dieser Studie lagen das Saarland und Bremen bei den Anerkennungen vorn, | |
Berlin und Sachsen dagegen eher hinten. | |
## Willkür raubt Geflüchteten die Kraft | |
Die Gründe dafür sind komplex. So stellten die Konstanzer Forscher fest, | |
dass Bundesländer mit einer höheren Arbeitslosenquote eher weniger | |
Anerkennungen aussprachen. Bundesländer in guter wirtschaftlicher Situation | |
wie Bayern gewähren aber nicht unbedingt mehr Anerkennungen. Wo ein | |
fremdenfeindliches Klima mit rechtsextremen Gewalttaten herrscht, ist die | |
Schutzquote eher niedrig. Und: Auch verschuldete Länder können dennoch | |
recht flüchtlingsfreundlich sein. | |
Oft kommen die Entscheider des Bamf aus den Länderverwaltungen und richten | |
sich nach dem regionalen politischen Klima. „Entscheider orientieren sich | |
unter anderem auch daran, ob Verwaltungsrichter in der Region eher pro oder | |
kontra Flüchtlinge urteilen“, sagt Bernd Mesovic, Referent bei Pro Asyl. In | |
den Regionen herrschten unterschiedliche „Normalverteilungen der | |
Vorurteilshaltung“. | |
Geflüchtete können nicht bestimmen, wo ihr Antrag verhandelt wird. Ihnen | |
raubt das Gefühl, der Willkür ausgesetzt zu sein, viel Kraft. Das betrifft | |
nicht nur die Anerkennungsquoten, die Verwaltungsgerichtsurteile, sondern | |
auch Gesetzesänderungen, die eine persönliche Perspektive bedrohen. Die | |
Tatsache zum Beispiel, dass syrischen Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz | |
womöglich weiterhin der Nachzug von Ehefrau und Kindern verwehrt bleibt, | |
ist ein Kraftfresser ohnegleichen. Denn mit diesem Nachzug, der | |
Familienperspektive, hatten die Syrer fest gerechnet. | |
„Empowerment“, das Gefühl, die Handlungsmacht über das eigene Schicksal zu | |
haben, ist essenziell für die persönliche Stabilität. Dass die künftige | |
Bundesregierung Maßnahmen plant, die Tausenden von Flüchtlingen den Boden | |
unter den Füßen wegziehen, ist nicht nur politische Willkür. Es ist | |
hochgradig destruktiv. | |
14 Oct 2017 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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