# taz.de -- Kommentar Krisengipfel CDU und CSU: Wildes Ringen, große Not | |
> Was beim Krisentreffen der Union in der Flüchtlings-und | |
> Einwanderungspolitik ausgehandelt wurde, dürfte auch für die Grünen | |
> anschlussfähig sein. | |
Bild: Es heißt nicht „Obergrenze“, ist aber nah dran (Archivbild 2015) | |
Die Absurdität des Krisengipfels von CDU und CSU war beeindruckend. Da | |
treffen sich zwei Verbündete, die früher den Machterhalt über alles | |
stellten, zu einem Therapiegespräch. Sie prüfen zwei Wochen nach einer | |
Wahl, ob sie überhaupt in der Lage sind, gemeinsam zu regieren. Und einigen | |
sich mühsam bei einem Megathema, das seit zwei Jahren alles dominiert. | |
So etwas hat es noch nie gegeben. Schöner hätten Merkel und Seehofer den | |
BürgerInnen nicht vor Augen führen können, dass die Einigkeit im Wahlkampf | |
billiges Theater war. Sie steigen aus dem Ring wie zwei Boxer, die sich | |
zwölf Runden lang verprügelt haben. Taumelnd, geschwächt und derangiert. | |
Die eine bekam beigebogen, dass ihre Union die Nase voll hat von zu viel | |
Liberalität. Der andere kämpft um seine politische Zukunft, vielleicht auch | |
nur noch um einen würdigen Abgang. | |
Interessanter als Merkels und Seehofers Not aber ist die Frage: Verhindert | |
die künftige Flüchtlingspolitik der Union ein Jamaika-Bündnis? Ist sie für | |
die Grünen untragbar? Davon, das zeichnet sich ab, ist nicht auszugehen. | |
Die Logik des Merkel-Seehofer-Deals ist sogar für die Ökopartei tragbar, | |
auch wenn sie im Moment empört tut. | |
## Streit um den Familiennachzug | |
Ein harter Punkt in Jamaika-Verhandlungen dürfte der Familiennachzug | |
werden. CDU und CSU wollen ihn für Menschen, die subsidiären Schutz | |
bekommen haben, weiterhin aussetzen. Das ist für viele Grüne ein absolutes | |
No Go. Zudem hat Seehofer durchgesetzt, dass Deutschland nur 200.000 | |
Menschen pro Jahr aus humanitären Gründen aufnehmen soll. Wie der | |
Familiennachzug auf eine solche Zahl begrenzt werden soll, ist schwer | |
vorstellbar. Der Staat muss bei jedem Flüchtling dieselben Kriterien | |
anlegen, nach denen er Verwandte nachholen kann – und darf sie nicht nach | |
Belieben anpassen. | |
Aber es gibt sie, die Chancen auf Einigung. Da wäre zunächst das Grundrecht | |
auf Asyl. Die CSU gibt hier nach, sie will in Zukunft akzeptieren, dass das | |
deutsche Grundgesetz gilt. Damit zeigt Seehofer Realitätssinn – und | |
schwenkt auf die Linie der Jamaika-Partner ein. Eine Grundgesetzänderung | |
hätte sowieso keine Chance gehabt, der CSU-Chef wusste schon, warum er zwar | |
mit Karlsruhe drohte, aber vor einer Klage zurückscheute. | |
Und was ist mit Seehofers Lieblingszahl 200.000, die prominent in der | |
Einigung steht? Auch sie bildet keine unüberwindbare Hürde für Jamaika. Der | |
Passus ist hinreichend weich formuliert, um anschlussfähig zu bleiben. Dort | |
steht „Wir wollen erreichen“, und nicht: „Wir werden beschränken.“ CDU… | |
CSU wünschen sich also etwas. Wünschen kann man sich viel, das heißt aber | |
nicht, dass man darauf besteht. | |
Außerdem lässt sich die Zahl auch ganz anders interpretieren. Wenn das | |
Grundrecht auf Asyl bleibt, aber jedes Jahr aus humanitären Gründen 200.000 | |
Menschen aufgenommen werden, etwa über Resettlement-Programme, dann ist das | |
nichts anderes als ein Flüchtlingskontingent. Kontingente für besonders | |
Hilfsbedürftige aber sind ein Herzenswunsch der Grünen. Bliebe nur noch, | |
sich darüber zu streiten, was hinreichend großzügig ist. | |
9 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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