# taz.de -- Wohnsitzauflage für Geflüchtete: Aufs Dorf gezwungen | |
> Gewerkschaften, Künstler, Wissenschaftler protestieren wie Niedersachsens | |
> Grüne gegen die Zwangszuweisung von Geflüchteten. SPD-Regierungschef Weil | |
> hält dagegen. | |
Bild: Im Herbst hatten die 100 Einwohner in Sumte an der Elbe Angst vor Flücht… | |
HANNOVER taz | Niedersachsens rot-grüne Regierungskoalition steuert auf | |
einen Streit über eine Wohnsitzauflage für Flüchtlinge zu. „Im Grundsatz | |
positiv“ findet SPD-Ministerpräsident Stephan Weil die Möglichkeit, auch | |
anerkannten Asylbewerbern ihren Wohnort staatlich vorzuschreiben: „Bei | |
einer zu großen Konzentration in einigen wenigen Ballungsräumen kann es zu | |
Problemen kommen, zum Beispiel auf dem Wohnungsmarkt“, sagte der | |
[1][Regierungschef der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung]zur Begründung. | |
Viele Grüne lehnen die Zwangszuweisung von Flüchtlingen dagegen als | |
integrationsfeindlich ab: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie wir eine | |
Wohnsitzauflage rechtskonform und sinnvoll umsetzen sollen“, sagt die | |
Sprecherin für Flüchtlings- und Migrationspolitik der grünen | |
Landtagsfraktion, Filiz Polat, zur taz. | |
## Länder dürfen bestimmen | |
Die Auflage ist Teil des neuen [2][Integrationsgesetzes], das die | |
schwarz-rote Bundesregierung am Mittwoch beschlossen hat. Vorgesehen ist | |
nicht nur, dass Flüchtlinge mindestens drei Jahre nach ihrer Anerkennung in | |
dem Bundesland leben müssen, in dem ihr Asylverfahren abgeschlossen wurde – | |
die Länder sollen ihnen in dieser Zeit auch diktieren dürfen, wo genau sie | |
wohnen müssen. Ausgenommen sind MigrantInnen, die einen Job gefunden haben, | |
in dem sie mindestens 15 Stunden pro Woche arbeiten und mit über 712 Euro | |
deutlich mehr verdienen als den Mindestlohn. | |
Unterstützung für die kritische Haltung der Grünen kommt vom | |
niedersächsischen Flüchtlingsrat: „Beim Aufbau einer eigenen Existenz | |
werden Schutzsuchende damit gezielt benachteiligt“, sagt dessen | |
Geschäftsführer Kai Weber. „Das bestimmte Gebiete verlassen werden, hat mit | |
mangelnden Chancen gerade auf dem Arbeitsmarkt zu tun.“ Ähnlich | |
argumentiert auch die Hilfsorganisation Pro Asyl: Die Initiative der | |
Bundesregierung sei nichts anderes als ein „Desintegrationsgesetz“. | |
## Kritik von vielen Seiten | |
Kritik kommt auch von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden, | |
Menschenrechtsorganisationen und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). | |
„Viel wichtiger wäre es, im Ausland erworbene Berufsabschlüsse schnell und | |
unkompliziert anzuerkennen, um so den Zugang zu Arbeit zu erleichtern“, | |
kritisiert etwa der stellvertretende Vorsitzende des DGB Nord, Ingo | |
Schlüter. | |
Zuvor hatten auch Künstler, Autoren und Wissenschaftler wie Berlinale-Chef | |
Dieter Kosslick und der Philosoph Harald Welzer das Gesetz als einen | |
„Rückschritt in die 1980er-Jahre“ bezeichnet. Das Vorhaben sei „getragen | |
von Misstrauen und vorauseilenden Vorverurteilungen“ und spiele so | |
Rechtspopulisten in die Hände. | |
## Einige Menschen bleiben außen vor | |
„Das Gesetz sieht die Schaffung von 100.000 Ein-Euro-Jobs vor“, sagt dazu | |
auch Flüchtlingsrats-Geschäftsführer Weber. „Asylsuchende werden damit | |
pauschal abgewertet – dabei hat die Arbeitsverwaltung gerade einmal bei | |
jedem Fünften erfasst, welche berufliche Qualifikation überhaupt vorliegt.“ | |
Nötig seien Sprachkurse und Fortbildungen für alle Schutzsuchenden. Weber | |
kritisiert auch, dass nur Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak, Eritrea und dem | |
Iran in den Genuss von Integrationskursen kommen. Menschen aus Afghanistan | |
dagegen bleiben außen vor. „Dabei geht es allein um das politische Signal: | |
Wir wollen euch nicht.“ | |
Immerhin: Auch bei Niedersachsens Ministerpräsident Weil, der schon im | |
Januar in der taz für die Wohnsitzauflage geworben hatte, wachsen | |
angesichts der massiven Kritik die Bedenken: „Offen“ sei derzeit, „ob und | |
wann“ die Zwangszuweisung in Niedersachsen umgesetzt werde, sagt der | |
Regierungschef: „Wir würden eine solche Auflage sicher nur mit Augenmaß und | |
bei besonderem Bedarf einsetzen.“ | |
26 May 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.haz.de/Nachrichten/Politik/Niedersachsen/Stephan-Weil-im-Intervi… | |
[2] /Geplantes-Integrationsgesetz/!5307583 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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