# taz.de -- Serie zur Landtagswahl in Niedersachsen: Salzgitter macht dicht | |
> In NIedersachsen wird am 15. Oktober ein neuer Landtag gewählt. In dieser | |
> Serie geht es um Themen, die wir für wichtig halten. Diesmal: die | |
> Wohnsitzauflage | |
Bild: Auf der Suche: Salzgitter bietet viel Leerstand und günstige Mieten | |
Die Freiheit ist Saleh Aljasem besonders wichtig an dem Land, in das er vor | |
Krieg und Gewalt geflohen ist. „Freiheit und die Demokratie“, sagt er. Es | |
geht dem Syrer deshalb nicht in den Kopf, warum es nun ausgerechnet in | |
Deutschland Menschen verboten wird, in die Stadt zu ziehen, in der sie mit | |
ihrer Familie leben möchten. Der 41-jährige Familienvater spricht über die | |
negative Wohnsitzauflage, die der niedersächsische Ministerpräsident | |
Stephan Weil (SPD) vor Kurzem angekündigt hat. | |
Derzeit können die kommunalen Spitzenverbände eine Stellungnahme zu dem | |
Erlassentwurf abgeben. Erst danach kann er in Kraft treten. In die Stadt | |
Salzgitter dürften dann keine anerkannten Asylbewerber mehr ziehen, die | |
noch Leistungen des Staates bekommen. Ausgenommen sind enge Angehörige, die | |
bei ihren Familien leben möchten. | |
Aljasem ist im Oktober 2015 allein nach Deutschland gekommen, in die Nähe | |
von Berlin. Doch dort fühlte er sich allein gelassen. „Es war schwierig, | |
eine Wohnung zu finden“, sagt der Ingenieur. Von einem früheren Kollegen | |
bekam er den Tipp mit Salzgitter. | |
„Salzgitter hat uns Sicherheit gegeben“, sagt er. Hier habe er nicht nur | |
eine Wohnung gefunden, sondern auch Hilfe beim Bewerbungen schreiben, einen | |
Platz im Sprachkurs – und er konnte seine Frau und die vier Kinder | |
nachholen. | |
Obwohl seine Familie seither in Salzgitter vereint ist, ärgert ihn die | |
Wohnsitzauflage. „Die Leute möchten nach Salzgitter, weil sie hier Freunde | |
und Familie haben“, sagt er. „Wenn man sich wohl fühlt, kann man sich auch | |
einfacher integrieren.“ | |
In Salzgitter, einer Stadt mit rund 106.000 Einwohnern, leben rund 5.700 | |
Geflüchtete. „91 Prozent von ihnen beziehen Transferleistungen“, sagte der | |
Bürgermeister der Stadt bei einer Pressekonferenz mit dem | |
Ministerpräsidenten. Rund 2.900 Menschen seien erst nach Salzgitter | |
gezogen, nachdem sie als Flüchtlinge anerkannt wurden und sich deshalb | |
ihren Wohnort frei auswählen durften. Salzgitter ist beliebt, vor allem | |
wegen der rund 3.000 leerstehenden Wohnungen und den günstigen Mieten. | |
Es bestehe „die Gefahr einer Überforderung der kommunalen | |
Leistungsfähigkeit“, sagte Weil. Es müssen nicht nur Sprach- und | |
Integrationskurse organisiert werden. Die Stadt braucht auch mehr Kita- und | |
Schulplätze. Salzgitter sei überproportional vom Zuzug der Zuwanderer | |
betroffen, sagte Weil. Die Wohnsitzauflage, die das Land Ende 2018 | |
evaluieren will, solle der Stadt eine „Atempause“ verschaffen. Unter | |
jetzigen Bedingungen werde die Integration erschwert. | |
Das sieht Majad Al Ahmad anders. Auch er ist Syrer und lebt mit seiner | |
Familie in Salzgitter. Dass es eine syrische Community gebe, bremse die | |
Integration nicht. „Wir machen es uns gegenseitig nach“, sagt der | |
36-Jährige. Besuche jemand einen Sprachkurs, spreche man darüber. „Jeder | |
möchte sich weiterbilden, wo es geht.“ | |
Auch der niedersächsische Flüchtlingsrat protestiert gegen die | |
Wohnsitzauflage. Diese sei „ein bedenklicher Versuch, eine | |
Bevölkerungsgruppe anhand fragwürdiger, rassistischer Kategorien zu | |
reglementieren“, sagt Laura Müller. Die Zuzugssperre suggeriere, „dass | |
Flüchtlinge allein aufgrund ihrer Herkunft und ihres Status eine Belastung“ | |
seien. Die Maßnahme schränke zudem nicht nur Freiheitsrechte ein, sondern | |
bedeute auch einen erheblichen Verwaltungsaufwand. Es sollte stattdessen | |
Geld eingesetzt werden, um Kitaplätze zu schaffen oder Beratungsstellen | |
besser auszustatten. | |
Doch nicht nur der CDU-Bürgermeister will in der Stadt den Zuzug stoppen. | |
Auch Ulrich Hagedorn, der örtliche Leiter der Arbeiterwohlfahrt, glaubt | |
nicht, dass die Überforderung des Hilfesystems mit Geld allein in den Griff | |
zu bekommen ist. „Wir haben keine Räume und keine Dozenten“, sagt Hagedorn. | |
Sein Verband gibt Deutschkurse und berät die Geflüchteten. Es gebe in der | |
Region keine Bewerber für ausgeschriebene Stellen. Eine Atempause sei | |
deshalb gerade ohne Alternative. | |
21 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Andrea Scharpen | |
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