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# taz.de -- Niedersachsen: Stephan Weil über Asylpolitik: „Wir brauchen rela…
> Im Interview: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil über Haft im
> Heimatland, die Sicherung der EU-Außengrenzen und Integration auf dem
> Dorf
Bild: Will anpacken: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Zum Beispi…
taz: Herr Weil, nach den sexuellen Übergriffen in Köln und Hamburg, an
denen Flüchtlinge beteiligt gewesen sein sollen, haben Sie Haltung
angemahnt. Was meinen Sie damit?
Stephan Weil: Gerade eine liberale und mitfühlende Gesellschaft braucht
Grenzen, weil sie ansonsten überfordert ist. Wir müssen klarmachen, dass
Frauen kein Freiwild sind. Viele Menschen sind verunsichert. Den Tätern
müssen wir wirkungsvoll begegnen. Das meine ich mit Haltung.
Ist dazu mehr Polizei nötig?
Wir brauchen Polizei an den richtigen Stellen und Plätzen –und das
Verwaltungschaos in der Asylverwaltung des Bundes muss ein Ende haben.
Allerdings: Der Schutz vor sexueller Belästigung war auch schon vor Köln
und Hamburg Thema. Ein Nein ist ein Nein – das sollte immer gelten. Eine
schon im letzten Jahr von der SPD ins Gespräch gebrachte Verschärfung des
Vergewaltigungsparagraphen war aber auf Bedenken der CDU gestoßen.
Jetzt nimmt die Debatte einen scharfen Ton gegenüber Asylsuchenden an. Wie
finden Sie das?
Das ist ein Reflex auf die spürbare Verunsicherung in der Bevölkerung. Ziel
der Politik muss es sein, Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen – und
andererseits klarzumachen: Natürlich sind nur die allerwenigsten
Flüchtlinge Straftäter. Ich bin in vielen Flüchtlingsunterkünften gewesen.
Dabei habe ich immer wieder gedacht: Solche Schicksale, Rückschläge und
Bedrohungen habe ich in meinem ganzen Leben nicht erlebt – diese Menschen
verdienen unseren Schutz und Respekt.
Die CDU will eine Verschärfung des Asylrechts: Jeder, der zu einer noch so
kurzen Freiheitsstrafe verurteilt wird, soll das Recht auf Schutz
verlieren. Knickt die Union vor dem rechten Rand ein?
Die Union muss sich entscheiden, ob der „Wir schaffen das“-Grundsatz von
Kanzlerin Merkel gilt oder ob ein Generalverdacht gegenüber allen
Ausländern gepflegt wird. Im Moment blinkt die Union rechts und links
gleichzeitig – und das geht nicht.
Auch Ihr Parteichef Sigmar Gabriel hat „Haft im Heimatland“ gefordert.
Sigmar Gabriel hat gleichzeitig betont, dass wir uns massiv im Wohnungsbau
engagieren müssen, wenn wir bei der Integration erfolgreich sein wollen.
Die SPD ist gut beraten, Probleme nicht kleinzureden und gleichzeitig
Menschen, die aus bitterer Not kommen, so gut wie möglich zu helfen.
Und was halten Sie von der Forderung nach Haft im Heimatland?
Das wird schon heute in vielen Fällen versucht, hier ist mehr Druck auf die
Herkunftsländer sinnvoll. Ich kann mir allerdings schwer vorstellen, dass
man derzeit Menschen nach Syrien zurückschickt. Es gab die Übergriffe in
Köln, aber gleichzeitig sind über 40.000 Menschen in der syrischen Stadt
Madaja eingeschlossen und leiden Hunger.
Sie selbst haben die Wiedereinführung der Residenzpflicht vorgeschlagen.
Warum?
Das ist eine Übertreibung. Ich habe auf das Problem der ungleichen
Verteilung von Flüchtlingen aufmerksam gemacht. Die großen Metropolen sind
Hauptanlaufpunkte und in Teilen des ländlichen Raums gibt es Reserven. Wenn
mich ein Flüchtling fragen würde, würde ich ihm empfehlen, im ländlichen
Raum zu leben. Dort sind die Bedingungen besser, als in den überlasteten
Großstädten. Ich habe aber bewusst offen gehalten, wie wir das
Verteilungsproblem lösen, verstärkte Wohnsitzauflagen könnten auch ein Weg
sein.
Flüchtlinge dürfen sich ihren Wohnsitz schon heute nicht aussuchen.
Es geht mir nicht darum, dass Asylbewerber nicht mehr zum Auswärtsspiel
ihrer Fußballmannschaft fahren dürfen. Mir kommt es darauf an, dass der
Lebensmittelpunkt feststeht und geklärt ist, wo die Schulpflicht für die
Kinder besteht.
Was ist mit akzeptablen Wohnungen?
Wir sind seit September ununterbrochen im Dauer-Krisenmanagement, um
Notunterkünfte zu schaffen. Die Menschen leben dort unter sehr bescheidenen
Bedingungen. Stichwort Wohnungsbaupolitik: Wir können auch nicht zulassen,
dass die Ärmeren in unserer Gesellschaft in ständiger Konkurrenz um
bezahlbaren Wohnraum stehen. Das ist Gift für den sozialen Frieden. Also
muss Wohnungsbau die zentrale Aufgabe werden.
Planen Sie dafür zusätzliche Mittel im Haushalt ein?Ja. Wir haben in
Niedersachsen fast eine halbe Milliarde Euro dafür mobilisiert. Mit dem
Geld können wir aber nur den Bau von etwas mehr als fünftausend Wohnungen
fördern. Das reicht nicht für die rund 100.000 Flüchtlinge, die allein im
vergangenen Jahr nach Niedersachsen gekommen sind. Der Spruch „Wir schaffen
das“ ist nicht genug. Es ärgert mich, wenn Frau Merkel die Länder und
Kommunen bei der Umsetzung im Stich lässt.
Warum schlafen in Niedersachsen noch Menschen in Zelten?
Wir haben nur noch sehr wenige Zelte und sie sind ausgesprochen
wintertauglich.
Außerdem haben Sie einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen angemahnt –
mit Gewalt?
Grenzschutz ist immer auch ein obrigkeitlicher Akt. Nüchtern betrachtet ist
die einzige Alternative dazu die Wiedererrichtung der EU-Binnengrenzen, die
keiner von uns will. Es müssen auch Vereinbarungen mit der Türkei und dem
Iran geschlossen werden. Wir brauchen relativ früh Filter.
Ist das nicht zynisch: Wir bezahlen den Autokraten Recep Tayyip Erdoğan
dafür, dass er uns die Leute vom Hals hält?
Ich möchte nicht Herrn Erdoğan bezahlen. Aber Deutschland und die anderen
EU-Länder müssen nach meiner Überzeugung Beiträge dazu leisten, dass die
Situation der Flüchtlinge in der Nähe ihrer Heimatregion erträglich ist.
Ein schlimmes Beispiel sind Flüchtlingslager der UNHCR, in denen die
Lebensmittelrationen massiv gekürzt wurden. Dass sich unter solchen
Bedingungen Menschen auf die Reise machen, kann ich absolut nachvollziehen.
Sollen mit der Sicherung der Außengrenzen auch Terroranschläge verhindert
werden?
Der internationale Terror hat andere Möglichkeiten, Europa anzugreifen, als
über das Einschleusen von Flüchtlingen. Wir wissen seit Paris, dass Terror
auch und sogar gerade von Menschen ausgehen kann, die hier aufgewachsen
sind.
In Niedersachsen sind der Braunschweiger Karnevalsumzug und das
Fußball-Länderspiel in Hannover abgesagt worden – ohne konkrete Beweise.
Haben die Sicherheitsbehörden überreagiert?
An den Entscheidungsprozessen in Hannover war ich beteiligt. Wenn es
detaillierte Informationen von einer ernstzunehmenden Quelle gibt und die
Zeit drängt, gibt es zu einer Absage kaum eine Alternative.
Wie konkret ist die Terrorgefahr in Niedersachsen aktuell?
Die Gefahr ist nicht konkret, sondern abstrakt. Wir leben in Zeiten, in
denen man in keiner europäischen Großstadt ein Risiko ausschließen kann.
Deshalb sollten wir uns nicht in unser Schneckenhaus zurückziehen, aber die
Sicherheitsmaßnahmen erhöhen.
Wird es noch einmal zu einer Absage des Braunschweiger Karnevals kommen?
Dafür habe ich keine Hinweise.
11 Jan 2016
## AUTOREN
Andrea Scharpen
Andreas Wyputta
## TAGS
Niedersachsen
SPD
Asylpolitik
Residenzpflicht
Wohnsitzauflage
Schwerpunkt Syrien
Abschiebung
Flüchtlinge in Niedersachsen
Niedersachsen
Religion
NPD
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