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# taz.de -- Wie Samar S. in der Illegalität landete: Verliebt, verlobt, verste…
> Osnabrück will einen abgelehnten Asylbewerber nach Pakistan abschieben.
> Der Mann ist mit einer Deutschen verlobt und hat einen Ausbildungsvertrag
> in der Tasche.
Bild: Von der Ausländerbehörde getrennt: Samar S. und seine Verlobte
GÖTTINGEN taz | Samar S. lebt seit 2013 in Deutschland, er hat einen
Ausbildungsvertrag und ist verlobt. Trotzdem soll der pakistanische
Flüchtling aus Osnabrück abgeschoben werden.
Schon im Sommer 2014 wollte die örtliche Ausländerbehörde den heute
34-Jährigen nach Ungarn zurückschieben, von wo er eingereist war. Doch
Aktivisten vom örtlichen Bündnis gegen Abschiebungen und der Initiative
„No Lager“ verhinderten damals die Ausweisung von Samar S. nach Ungarn,
indem sie Behördenvertretern am geplanten Abschiebetag den Weg versperrten.
Den Aktivisten ist es seit 2013 gelungen, durch Demonstrationen und
Sitzblockaden mehr als ein Dutzend Abschiebungen nach den
„Dublin-Verfahren“ zu stoppen.
Auch Samar S. ist ein so genannter „Dublin-Fall“. Die Dublin-Abkommen legen
fest, dass Geflüchtete nur in dem Vertragsland, in das sie zuerst
eingereist sind, einen Asylantrag stellen können.
Für Deutschland, das bekanntlich keine EU-Außengrenze hat, ist das eine
praktische Regelung. Für die Flüchtlinge eher nicht, denn in vielen
Ersteinreiseländern sind die Zustände katastrophal. Die Ablehnungsquote ist
extrem hoch, die Flüchtlinge bekommen vielfach weder Arbeitserlaubnis noch
Unterstützung und werden in die Obdachlosigkeit, zum Betteln oder zur
Kriminalität gezwungen, um irgendwie zu überleben. In Ungarn droht ihnen
außerdem Haft und Misshandlung.
Nachdem die Abschiebung von S. gescheitert war, lief die Überstellungsfrist
nach Ungarn ab, und er durfte seinen Asylantrag nun doch in Deutschland
stellen. Nach Angaben von Freunden ist S. in Osnabrück „bestens
integriert“. Er spreche gut Deutsch, habe viele Bekannte und zum 1. August
einen Ausbildungsvertrag bei einem Osnabrücker Elektroinstallateur. Er ist
mit einer Osnabrückerin verlobt, die für die Hochzeit nötigen Papiere aus
Pakistan sind längst beantragt, aber noch nicht eingetroffen.
Im September 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den
Asylantrag von S. ab. Das Verwaltungsgericht Osnabrück bestätigte die
Ablehnung und verwarf am 14. Mai dieses Jahres auch eine Klage, mit der S.
eine sogenannte Ausbildungsduldung erstreiten wollte. In der vergangenen
Woche sollte er deshalb in sein Heimatland abgeschoben werden.
Am Mittwoch erfuhren der 34-Jährige, seine Verlobte und Mitbewohner, dass
für S. für den folgenden Tag ein Platz in einem Sammelcharterflug nach
Pakistan gebucht war. Rund 80 Unterstützer versammelten sich daraufhin
abends in der Wohngemeinschaft des Mannes im Osnabrücker Stadtteil Hellern,
um die Abschiebung durch friedlichen Protest erneut zu verhindern.
## Verbarrikadieren und Kuscheln
Sie versperrten die Zugänge von außen, verbarrikadierten sich im Haus, und
probten das Verhalten für den Fall, dass die Polizei Pfefferspray einsetzen
würde. „Während in der Küche ein Topf mit veganem Chili vor sich hin
köchelte, las eine Abschiebegegnerin aus einem Märchenbuch der Gebrüder
Grimm vor“, heißt es in einem Bericht der Neuen Osnabrücker Zeitung über
die Aktion: „Die übrigen kuschelten sich zusammen und schliefen nach und
nach ein.“
Weil es bis zum frühen Morgen ruhig blieb, bauten die Unterstützer die
Barrikaden wieder ab und gingen nach Hause. Erst am Vormittag fuhren
Mitarbeiter der Landesaufnahmebehörde und ein Streifenwagen vor – doch da
war das Zimmer des Pakistaners leer. Auch bei seiner Verlobten trafen die
Beamten den 34-Jährigen nicht an.
Länger verstecken wollte er sich aber nicht. Am Freitag wurde er erneut bei
der Ausländerbehörde vorstellig, um vielleicht doch noch eine
Ausbildungsduldung zu erhalten. Doch statt ihm das ersehnte Papier
auszuhändigen, rief die Behörde die Polizei. Bevor die Beamten eintrafen,
verließ S. das Gebäude. Er ist nun untergetaucht.
## Der Flüchtlingsrat sieht Ermessensspielraum
„Ihm muss jetzt klar sein, dass er sich illegal im Land aufhält“, sagte
Stadtsprecher Sven Jürgensen gestern. „Wir sind uns sicher, rechtlich
korrekt zu handeln. Da haben wir keinen Ermessensspielraum.“ Werde S.
irgendwo aufgegriffen, müsse er mit seiner Abschiebung rechnen. Seine
Verlobung stehe dem nicht entgegen.
Das sei nicht sicher, hält Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat
dagegen. „Wenn die Heirat eines abgelehnten Asylbewerbers unmittelbar
bevorsteht, dann hat das aufgrund der aktuellen Rechtsprechung sehr wohl
aufschiebende Wirkung.“ Auch wenn die dafür notwendigen Papiere ohne
Verschulden des Paares noch nicht vorliegen, könne eine Duldung erteilt
werden. „Ein Ermessen gibt es etwa, wenn die Dokumente da sind, wo der
Flüchtling nicht an sie herankommt.“ Möglicherweise sei dies ein
Ansatzpunkt für den aktuellen Fall in Osnabrück.
S. lebe jetzt in der Illegalität, sagt seine bisherige Mitbewohnerin Maria
Neunteufel. „Obwohl er alles getan hat, um genau da nicht zu landen.“ Die
Unterstützer wollen trotz der schwierigen rechtlichen Ausgangslage weiter
für ein Bleiberecht von S. kämpfen. „Wir sind seine Familie“, sagt
Neunteufel. „Geht nicht, das gibt’s für uns nicht.“
24 May 2018
## AUTOREN
Reimar Paul
## TAGS
Abschiebung
Integration
Ausweisung
Hochzeit
Schwerpunkt Flucht
Asylpolitik
Schwerpunkt Flucht
Asyl
SPD Niedersachsen
Abschiebung
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