| # taz.de -- Nach dramatischem Abschiebungsversuch: Autistischer 7-Jähriger dar… | |
| > Die Abschiebung eines palästinensischen Vaters und seines autistischen | |
| > Sohnes konnte abgewendet werden. Zumindest vorerst. | |
| Bild: Die Keinfamilie wurde aus Dresden zum Berliner Flughafen gefahren, wo sie… | |
| Dresden taz | In den Räumen des Dresdner Ausländerrates auf der | |
| Heinrich-Zille-Straße findet der siebenjährige M. A. keine Ruhe. Nur | |
| Sekunden hält es ihn neben seinem Vater A. A. am Tisch. Vor sich hin | |
| erzählend läuft er dann zu einem herumstehenden Klavier und schlägt | |
| ungestüm Tasten an. | |
| Der kleine Junge ist Autist. Seinetwegen ist der Vater im August des | |
| vorigen Jahres aus dem Libanon nach Deutschland gekommen. | |
| Die tiefgreifende Entwicklungsstörung von M. wurde schon in der Heimat | |
| diagnostiziert, im vorigen Herbst dann auch von der Berliner Charité und | |
| einer Dresdner psychotherapeutischen Praxis. Eine Intelligenzminderung und | |
| chronische Hals-Nasen-Ohren-Probleme kommen hinzu. | |
| „Außerhalb der Schule fehlt im Libanon jedes Verständnis für eine Krankheit | |
| wie Autismus“, erklärt der 43-jährige Vater. „Es gibt im Libanon keine | |
| Zukunft für meinen Sohn“, erklärt er. Um seinem Sohn eine gute Betreuung zu | |
| ermöglichen, machte er sich daher über Spanien auf den Weg nach | |
| Deutschland. Die Ehefrau und eine Tochter blieben im Libanon zurück. | |
| Ihre Klarnamen wollen weder Vater noch Sohn nennen. Denn die Erfahrungen, | |
| die sie in der Bundesrepublik machen mussten, haben sie vorsichtig werden | |
| lassen. | |
| ## Abschiebung nach dem Dublin-Abkommen | |
| Die Mediziner rieten mit Blick auf den autistischen Siebenjährigen zu | |
| klaren Umgebungsstrukturen, Regeln, Ritualen und vor allem zu | |
| Rückzugsmöglichkeiten. Ein halbes Jahr aber mussten beide zunächst in der | |
| Dresdner Erstaufnahmestelle Hamburger Straße verbringen. Betreuer Ismail | |
| Davul vom Ausländerrat schildert, wie der Sohn während dieser Maximaldauer | |
| in einer Erstaufnahmeeinrichtung psychisch abbaute. | |
| Wegen unklarer Abrechnungsfragen konnte M. zunächst nicht in einer | |
| Autismusambulanz behandelt werden. Auch andere pädagogische Förderung blieb | |
| ihm versagt. Nach Intervention des Ausländerrats konnten beide Ende März | |
| endlich in eine Einraum-Gewährswohnung des Sozialamts umziehen. Doch deren | |
| relative Ruhe konnten Vater und Sohn nur sehr kurz genießen. Dabei schien | |
| die seit ihrer Ankunft in Dresden drohende Abschiebung mithilfe des | |
| Ausländerrats zunächst abgewendet. Der schickte die ärztlichen | |
| Kindesbefunde an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), die | |
| kommunale Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) und das Verwaltungsgericht | |
| Dresden. Der autistische Junge galt als nicht reisefähig. | |
| Eine Abschiebung drohte formal nach dem Dublin-Abkommen, wonach für ein | |
| Asylverfahren das europäische Land zuständig ist, wo ein Flüchtling zuerst | |
| EU-Boden betreten hat. Das wäre in diesem Fall Spanien gewesen, auch wenn | |
| Vater und Sohn nur drei Tage dort im Gefängnis bei magerster Verpflegung | |
| verbracht hatten. Trotz der verschlechterten gesundheitlichen Situation von | |
| M. hatte das Verwaltungsgericht einen Eilantrag abgelehnt, der einen | |
| vorläufigen Schutz vor Abschiebung zum Ziel hatte. Stattdessen kam es in | |
| der Nacht vom 11. zum 12. April zum schlimmsten Fall. | |
| ## 350 Euro für ein Taxi | |
| Unangekündigt und auch für den Ausländerrat überraschend drangen | |
| Bereitschaftspolizisten um etwa 1.30 Uhr in die Wohnung ein, weckten den | |
| Vater und trotz dessen Unterlassungsbitten auch den Sohn. Der Vater musste | |
| in höchster Eile zwei Koffer packen, sein Handy abgeben und die | |
| Bargeldvorräte offenlegen. Gemeinsam mit seinem Sohn wurde er dann zum | |
| Berliner Flughafen Tegel gefahren, wo sie in den Morgenstunden in ein | |
| Flugzeug nach Spanien gesetzt werden sollten. | |
| Der Ausländerrat kommentiert dieses erbarmungslose Vorgehen als „eindeutige | |
| Verletzung des Kindeswohls nach UN-Kinderrechtskonvention und Versagen | |
| sächsischer Behörden“. | |
| „Für mich drohte der Weltuntergang“, beschreibt der Elektronik-Ingenieur A. | |
| seine Gefühle in diesem Moment. Nichts verbindet ihn mit dem Transitland | |
| Spanien, das Bemühen um eine Zukunft für seinen Sohn schien gescheitert. | |
| Doch am Flughafen Tegel wurde die Mitarbeiterin einer kirchlichen | |
| Abschiebebeobachtungsstelle auf das Vater-Sohn-Paar aufmerksam. Gemeinsam | |
| mit dem protestierenden Vater gelang es ihr, bei der aufgeschlosseneren | |
| Berliner Polizei Gehör zu finden. In letzter Minute wurde die Abschiebung | |
| wegen „Flugunwilligkeit des Sohns“ gestoppt. | |
| Die sächsischen Polizisten weigerten sich allerdings, die Kleinfamilie | |
| wieder nach Dresden mitzunehmen. Vater A. musste sein gesamtes Geld für den | |
| Monat April in Höhe 350 Euro für ein Taxi berappen – und seinen | |
| aufgewühlten und traumatisierten Sohn beruhigen. Erst nach Intervention des | |
| Ausländerrats wurden beide zurück in ihre Wohnung gelassen. Er habe dann | |
| „wieder atmen können“, beschreibt A. seine Empfindungen. | |
| ## Die Chancen stehen für Palästinenser schlecht | |
| Seit dem 9. Mai gibt es eine weitere gute Nachricht. Per E-Mail teilte die | |
| ZAB mit, dass man zumindest vorläufig auf eine Überstellung nach Spanien | |
| nach dem Dublin-III-Abkommen verzichte. Nach Ablauf einer bis Mitte Juni | |
| dauernden Frist erwartet Betreuer Davul einen endgültigen Bescheid. | |
| Dann wäre Deutschland das für ein Asylverfahren zuständige Land, dann kann | |
| hier ein Asylantrag gestellt werden. „Das Schlimmste blieb der Familie | |
| erspart“, sagt Davul. | |
| Aber Grund zum Jubeln gibt es nicht. Die Familie stammt eigentlich aus | |
| Palästina. A.s Vater gehörte als Kind zu den Hunderttausenden | |
| Palästinensern, die nach der Staatsgründung Israels 1948 im Libanon | |
| Zuflucht fanden. Eine Flüchtlingsfamilie im doppelten Sinn also. Aber die | |
| Chancen auf ein erfolgreiches Asylverfahren stehen für Palästinenser | |
| schlecht. | |
| Der ruhig und freundlich wirkende A. gibt dennoch die Hoffnung nicht auf, | |
| dass sein Sohn und die ganze Familie eine Zukunft in Deutschland finden | |
| können. Fast täglich steht er mit seiner Frau in Kontakt. M. wiederum fragt | |
| oft nach der Mutter. | |
| Das humane Einlenken der Behörden werten alle als ein gutes Zeichen. Nur | |
| für den Ablehnungsfall des Asylantrags erwägt der Ausländerrat die | |
| Einschaltung der Härtefallkommission beim sächsischen | |
| Ausländerbeauftragten. | |
| 4 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
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