# taz.de -- Füchtlingspolitik der Kommunen: Aus der Wohnung zurück ins Heim | |
> Viele Sammelunterkünfte sind leer, kosten aber weiter Geld. Einige | |
> Kommunen zwingen Flüchtlinge daher wieder zum Umzug. | |
Bild: Einige Kommunen schicken die Flüchtlinge wieder zurück in Sammelunterk�… | |
Manche Kommunen schaffen die dezentrale Unterbringung von Geflüchteten | |
derzeit wieder ab und verfrachten sie in Gemeinschaftsunterkünfte. Dorthin, | |
wo nach einhelliger Meinung von Experten Isolation, Abgrenzung und | |
ethnische Grüppchenbildung lauern. | |
Erkennbar ist diese Entwicklung nur an Einzelfällen, wie denen, die bei | |
Mirjam Kruppa aufschlagen. Die Thüringer Integrationsbeauftragte wurde in | |
den vergangenen Monaten mehrfach kontaktiert, weil Asylsuchende und | |
Geduldete, die bereits dezentral untergebracht waren, durch die zuständigen | |
kommunalen Behörden verpflichtet worden seien, ihre Wohnung zu verlassen | |
und in Gemeinschaftsunterkünfte zu ziehen. „Es betrifft verstärkt | |
asylsuchende Einzelpersonen, aber auch Familien, die bereits in | |
Einzelwohnungen untergebracht waren“, teilt Kruppa der taz mit. | |
Ein gutes Dutzend solcher Fälle haben Thüringer Flüchtlingshelfer seit | |
einem Jahr dokumentiert. Im Sommer 2017 schlug der Fall einer Roma-Familie | |
aus Serbien hohe Wellen. Die Familie mit drei schulpflichtigen Kindern | |
musste mehrfach zwischen Greiz und Erfurt hin und her ziehen, bevor sie | |
schließlich abgeschoben wurde. Eine solche Situation „beeinträchtigt die | |
Integration massiv“, sagt Kruppa. Die vertraute Umgebung war passé und die | |
Bindung zu ehrenamtlichen Unterstützern auch. | |
„Das Drama geht weitgehend unbemerkt über die Bühne“, sagt Ellen Könneker | |
vom Thüringer Flüchtlingsrat. Denn in Belegstatistiken und | |
Unterbringungszahlen tauchten diejenigen, die zurück in Sammelunterkünfte | |
geschickt werden, nicht auf. Flüchtlingshelfer konstatieren einen | |
gefährlichen Trend zur Zentralisierung. Mit den geplanten Ankerzentren wird | |
der nun politische Maxime. | |
Dabei gibt es gerade im Osten genug Wohnungen. Im Freistaat Sachsen stehen | |
230.000 Wohnungen leer – und von den Flüchtlingen, die seit dem Jahr 2015 | |
kamen, sind lediglich 50.000 in Sachsen geblieben. | |
## Fünf Jahre Mietbindung | |
Doch sächsischen und anderen Kommunen geht es zunächst einmal ums Geld. Auf | |
dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 mussten schnell viele | |
Unterkünfte her. Städte und Kreise mieteten deshalb, wo es ging, große | |
Wohneinheiten an, für die sie sich in der Regel gleich fünf Jahre lang | |
vertraglich banden. Die Nutzungsverträge für die Einrichtungen sind | |
zweckgebunden, das heißt, die Gemeinschaftsunterkünfte kosten – und werden | |
immer weniger gebraucht. | |
Schon ab dem Frühjahr 2016 schlossen bundesweit die ersten Heime wieder, | |
weil weniger Flüchtlinge kamen. Eine Einrichtung nach der anderen „vom | |
Netz“ zu nehmen, galt den Länderministerien auch als öffentlicher Nachweis, | |
die Lage wieder im Griff zu haben. | |
Aber in der Praxis ist das so einfach nicht. Besonders nicht in den | |
östlichen Bundesländern, wo viele Flüchtlinge nicht bleiben wollten. Aus | |
manchen Heimen verschwanden über Nacht die Bewohner mit Sack und Pack, um | |
in die westdeutschen Städte zu ziehen. In den Unterkünften herrschte | |
plötzlich Leere – und in den Rathäusern Ratlosigkeit. | |
Wo es nun geht, versuche man, „die größeren Einrichtungen wieder | |
abzustoßen“, sagt eine Sprecherin des Thüringer Kreises Greiz, aber das sei | |
eben abhängig von den Mietverträgen. Die lassen sich in der Praxis leichter | |
für Einzelwohnungen kündigen. Im Kreis Greiz leben von derzeit 336 | |
Flüchtlingen mehr als 200 in Gemeinschaftsunterkünften. | |
## Radebeul, das Villenstädtchen | |
In anderen Kommunen gehen einige der Großeinrichtungen wieder zurück ans | |
Netz. Wie in Radebeul. In dem Villenstädtchen vor Dresden hat der Landkreis | |
ein Heim wieder eröffnet, in dem gut 100 Flüchtlinge in Zweibett- und | |
Familienzimmern Platz haben. Zwei Jahre lang stand das Heim leer, nachdem | |
im Zimmer eines Bewohners nachts Feuer ausgebrochen war. Das zuständige | |
Landratsamt in Meißen baut eigentlich seit 2016 Unterbringungsplätze ab – | |
mangels Nachfrage. Solche Sammelunterkünfte würden aber gebraucht für | |
„allein lebende Personen“, erklärt eine Sprecherin. Vereinzelt bringe man | |
auch Familien zentral unter, „wenn keine dezentrale Unterbringung mangels | |
verfügbarer Wohnung möglich ist“. | |
Großunterkünfte haben für die Kommunen auch noch andere Vorteile. Sie sind | |
leichter zu managen als viele Einzelwohnungen. Verpflegung, Betreuung und | |
Sicherheit lassen sich dort leichter organisieren – und damit auch wieder | |
günstiger. Eine Sicherheitsmannschaft ist dann gleich für 100 Leute | |
zuständig, der Sozialarbeiter kann mit einem Besuch mehr Menschen | |
erreichen. | |
Das Heim in Radebeul, früher eine abgewohnte 90er-Jahre-Immobilie, ist | |
jetzt komplett neu saniert. Der örtliche Landtagsabgeordnete, Geert | |
Mackenroth (CDU), hat trotzdem ein ungutes Gefühl. Denn er ist auch | |
Ausländerbeauftragter des Sächsischen Landtags. Auch Mackenroth beobachtet | |
in letzter Zeit eine Tendenz, dass „manche Kommunen ihre Flüchtlinge gern | |
wieder in die Gemeinschaftsunterkünfte zurückverlegen wollen“ – und das o… | |
aus Kostengründen. Mackenroth, Jurist und alter Haudegen der sächsischen | |
CDU, sieht hier einen gefährlichen Zielkonflikt zwischen Kostenfrage und | |
Integration. Den sollte man „nicht pauschal und durchweg nach den Kosten | |
entscheiden“. | |
Das machen viele Kommunen aber doch. Weil der Kreis Sächsische Schweiz im | |
vorigen Sommer seine halbleeren Heime ausdünnen wollte, veranstaltete das | |
Landratsamt Pirna einen regelrechten Verschiebebahnhof. Hunderte | |
Flüchtlinge mussten in kürzester Zeit ihre Koffer packen und in andere | |
Heime umziehen. Als auch eine afghanische Familie mit vier Kindern ihre | |
Wohnung verlassen sollte, schlugen die Betreuer Alarm, bis die Familie | |
bleiben konnte. | |
Könneker vom Flüchtlingsrat Thüringen sieht Sammelunterbringung generell | |
kritisch. „Einige dieser Einrichtungen bieten ziemlich schlechte | |
Bedingungen“, sagt sie. „Schon allein deshalb müssen wir dringend zu dem | |
Grundsatz dezentrale Unterbringung zurück.“ | |
Bund und Länder hatten sich 2016 eigentlich darauf geeinigt, Asylbewerber | |
in der Regel dezentral unterzubringen, um ihnen die Integration in die | |
deutsche Gesellschaft zu erleichtern. Gerade Familien und Alleinerziehende, | |
die laut der EU-Aufnahmerichtlinie von 2013 unter besonderem Schutz stehen, | |
sind vorrangig in kleinen Einheiten – sprich: Wohnungen – unterzubringen. | |
Kindertagesstätten müssen in der Nähe sein, qualifizierte Sozialarbeiter | |
sollen ab und zu vorbeischauen. | |
## Homogene Nachbarschaft | |
Die Kriterien für dezentrale Unterbringung sind aber nirgends | |
festgeschrieben – was den Kommunen Spielräume eröffnet. Und diese nutzen | |
sie oft zur kostengünstigen Bewirtschaftung städtischer Liegenschaften und | |
weniger, um Integration zu befördern. In seinem „Heim-Tüv“ von 2017 weist | |
Sachsens Ausländerbeauftragter Mackenroth freundlich darauf hin, dass ganze | |
angemietete Hauseingänge keine dezentrale Unterbringung seien. Denn die | |
„damit einhergehende homogene Nachbarschaft kann die Integration | |
behindern“. | |
Manche Kommunen versuchen nämlich, leer stehende Wohnblöcke komplett mit | |
Flüchtlingen zu füllen, und zwar mit Unterstützung der Länder. Sachsen | |
empfahl den Kommunen schon 2015, leer stehende Wohnungen für Flüchtlinge | |
herzurichten, und machte dafür sogar Fördermittel locker. Man helfe damit, | |
„den Flüchtlingen, den Kommunen und dem Gesicht unserer Städte in einem | |
Zug“, frohlockte der damalige CDU-Innenminister. | |
Die rot-rot-grüne Thüringer Regierung legt den Landkreisen immer wieder | |
nahe, Wohnungen für Flüchtlinge anzumieten. Doch die Kreise entscheiden | |
selbst – und was dabei herauskommt, beunruhigt die Integrationsbeauftragte | |
Mirjam Kruppa. In einigen Kreisen, berichtet sie, würden Asylbewerber und | |
Geduldete „größtenteils in Gemeinschaftsunterkünften“ untergebracht. | |
Zwar machte die Regierung vor einem Jahr die zentrale Unterbringung | |
finanziell unattraktiver, indem sie Pauschalen strich. Die Kommunen | |
siedeln Flüchtlinge dennoch weiter um. Die Heime sind ja nun mal da. | |
28 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Christine Keilholz | |
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