# taz.de -- Mieten für Geflüchtete in Niedersachsen: „Das ist Wucher“ | |
> Für einen Schlafplatz kassiert Apensen im Kreis Stade bei Geflüchteten | |
> horrende Gebühren. Die Gemeinde ist damit kein Einzelfall in | |
> Niedersachsen. | |
Bild: Wer Krieg erlebt hat, kennt den wahren Wert einer Wohnung. Gemeinden lass… | |
HAMBURG taz | Um die Samtgemeinde Apensen, nahe Hamburg an der Elbe, ist es | |
normalerweise ja ziemlich ruhig. Aber derzeit steht die ländliche Kommune | |
im niedersächsischen Landkreis Stade, 10.000 EinwohnerInnen klein, stark | |
unter Druck. Der [1][Flüchtlingsrat Niedersachsen] aus Hannover wirft ihr | |
„sittenwidrige Gebührenforderungen“ vor. | |
Es geht um zwei junge Frauen aus der Ukraine, im Frühjahr vergangenen | |
Jahres 2022 vor dem Krieg nach Deutschland geflohen. Sie teilen sich ein | |
Zimmer von knapp 20 Quadratmetern in einer kommunalen Unterkunft. Beide | |
sind berufstätig, zahlen die Nutzungsgebühren selber. Im Juli 2022 habe die | |
Samtgemeinde ihnen mitgeteilt, das koste pro Person 511 Euro pro Monat, so | |
der Flüchtlingsrat. Also 1.022 Euro für ein einzelnes Zimmer? | |
Das sei „Mietwucher“, findet der Rat. In Ansatz gebracht wurden demnach 300 | |
Euro für die Unterkunft selbst, dazu 50 Euro Heizkosten, 30 Euro für Strom | |
und 131 Euro für sonstige Nebenkosten. Küche und Bad teilen sich die beiden | |
Frauen mit sieben anderen BewohnerInnen. | |
„Eine solche Forderung ist nicht vermittelbar“, sagt Muzaffer | |
Öztürkyilmaz, Referent der Geschäftsführung beim [2][Flüchtlingsrat | |
Niedersachsen], der taz. „Wir erwarten von der Kommune, dass sie das | |
ändert, und zwar deutlich.“ Denn „die Kommunen verfügen über Spielräume… | |
der Ausgestaltung der Gebühren- bzw. Entgeltsatzungen“, betont er. „Nach | |
dem niedersächsischen Kommunalabgabengesetz steht es ihnen frei, niedrigere | |
Gebühren zu erheben oder sogar vollständig von der Gebührenerhebung | |
abzusehen.“ Von diesen Spielräumen müsse die Gemeinde Gebrauch machen. | |
## „Forderung nicht vermittelbar“ | |
Flüchtlingsrats-Referent Öztürkyilmaz zielt mit seiner Kritik jedoch übers | |
rein Lokale hinaus: Er fordert das Land Niedersachsen auf, eine Obergrenze | |
festzusetzen, „orientiert an ortsüblichen Vergleichsmieten für | |
[3][Sozialwohnungen]“. Edgar Rot, Fachbereichsleiter Ordnungswesen in | |
Apensen, bestätigt die hohe Summe. „Die war so festgesetzt, die stand so im | |
Raum“, sagt er der taz. „Aber faktisch hat es sie nie gegeben. Wir haben | |
das Geld nicht angemahnt, nicht beigetrieben.“ | |
Die 511 Euro seien „verwaltungsintern“ auf 316,35 Euro pro Person reduziert | |
worden, rückwirkend. „Soviel hatte es vor der Erhöhung auf 511 Euro | |
gekostet.“ Der neue Bescheid sei Ende 2022 zugestellt worden. „Persönlich, | |
durch eine Mitarbeiterin meines Hauses“, betont Rot. „Sie hat ihn allen | |
Beteiligten auch auf Russisch erklärt.“ | |
## Neue Preise sind in Arbeit | |
Die 316,35 Euro seien allerdings nur eine Zwischenlösung. Derzeit arbeitet | |
die Samtgemeinde an einer neuen Gebührenkalkulation. Wie die ausgeht, ist | |
offen. „Eine größere Änderung des derzeitigen Betrags“, prognostiziert R… | |
„ist dabei aber nicht zu erwarten“. Der Flüchtlingsrat habe „leider nie | |
Kontakt zur Samtgemeinde gesucht“, sagt Rot. Apensen, das derzeit 230 | |
Geflüchtete beherbergt, lebe „eine Willkommenskultur“. | |
„Natürlich hat es Kontakte zur Samtgemeinde gegeben“, sagt Öztürkyilmaz. | |
„Nicht durch uns direkt, aber durch UnterstützerInnen vor Ort.“ Gebracht | |
habe das nichts. Von einer Änderung des Betrags ist dem Rat nichts bekannt. | |
„Aber selbst wenn es nur 316 Euro wären, entspräche das einem | |
Quadratmeterpreis von 30 Euro“, sagt Öztürkyilmaz. „Und das ist extrem | |
hoch.“ | |
Die beiden Ukrainerinnen unterliegen keiner Wohnsitzauflage, können also | |
wohnen, wo sie möchten. „Womöglich wäre es für sie günstiger, sich eine | |
normale Mietwohnung zu suchen“, räumt Rot ein. Es gibt da nur ein Problem: | |
In Apensen ist Wohnraum knapp. „Außerdem hat eine kommunale Unterbringung | |
ja auch Vorteile“, findet Rot. „Alles ist möbliert. Wenn was kaputtgeht, | |
ersetzen wir es. Es gibt soziale Betreuung. Außer um die Verpflegung und | |
das Kochen brauchen sich die BewohnerInnen um nichts zu kümmern.“ Das alles | |
sei teuer. Die Forderung des Flüchtlingsrats, das Land Niedersachsen müsse | |
die Gebühren begrenzen, kann Edgar Rot nachvollziehen. Aber: „Natürlich | |
muss das Land dann auch bereit sein, die Differenz zu tragen.“ | |
Gebühren wie Apensen sie erhebt, seien in Niedersachsen „die Regel“, | |
beklagt der Flüchtlingsrat. Er bezeichnet sie als „Wuchergebühren“. Und | |
dann rechnet er vor: In Burgdorf zahle man schlimmstenfalls 854,90 Euro pro | |
Monat pro Person, in Garbsen bis zu 849,90 Euro. In Lehrte fallen bis zu | |
579,60 Euro an, in Neustadt am Rübenberge liegen die Maximalgebühren pro | |
Person und Monat bei 681,31 Euro. Die Samtgemeinde Gellersen habe | |
beschlossen, die Gebühren der Unterbringung in einem | |
Gemeinschafts-Container zum 1. Februar von 232,09 Euro auf 455,92 Euro pro | |
Platz zu verdoppeln. Hannover verlangt von Einzelpersonen pro Monat 411,00 | |
Euro. | |
## Harburg kann es günstiger | |
Aber muss das wirklich sein? Offenbar nicht. Als Beispiel dient dem | |
Flüchtlingsrat der ebenfalls niedersächsische Landkreis Harburg: | |
Geflüchteten, die erwerbstätig sind, berechnet der maximal 180 Euro. | |
Öztürkyilmaz geht es vor allem um einheitliche Standards. „Im Moment ist ja | |
völlig unklar, was da alles einberechnet werden darf“, sagt er. „Zum | |
Beispiel darf es nicht sein, dass Flüchtlingen die Kosten von Leerständen | |
aufgebürdet werden, wenn Unterkünfte nicht voll belegt sind.“ | |
Herrscht in Apensen soziale Kälte? [4][Das Wappen der Samtgemeinde] sieht | |
jedenfalls wehrhaft aus: Auf rotem Grund reckt da ein gepanzerter Arm ein | |
Schwert in die Höhe. Die Lage sei komplex, sagt Fachbereichsleiter Edgar | |
Rot, seit dem vergangenen Sommer mit Kritik an den 511-Euro-Bescheiden | |
konfrontiert. Wer als Flüchtling nach Apensen komme, solle „sich | |
wohlfühlen“. | |
1 Feb 2023 | |
## LINKS | |
[1] /!s=%2522fl%25C3%25BCchtlingsrat+niedersachsen%2522/ | |
[2] https://www.nds-fluerat.org/ | |
[3] https://www.mw.niedersachsen.de/startseite/themen/bauen/soziales_wohnungswe… | |
[4] https://www.apensen.de/info/bild/bild-906000182-20410.html | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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