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# taz.de -- Debatte Schwulenhass unter Linken: Ich hab nichts gegen Schwule, ab…
> Fortschritte in Sachen LGBTI kamen in Deutschland vergleichsweise spät.
> Das liegt auch an den Linken und Linksliberalen hierzulande.
Bild: Es ist deprimierend, dass LGBTI*-Leute nicht gänzlich auf Solidarität v…
Eines der spannendsten Bücher der Saison ist eine Polemik. Verfasst hat sie
der Autor und Kulturmanager Johannes Kram, sie trägt den Titel „Ich hab ja
nichts gegen Schwule, aber …“ und unterstreicht den Satz mit dem nicht
minder ironisch gehaltenen Satz „Die schrecklich nette Homophobie in der
Mitte der Gesellschaft“. Es geht bei der Lektüre um die Neigung von
Comedians wie Dieter Nuhr und anderen, auf Kosten schwuler Männer Scherze
zu machen – weil über Schwuchteln zu lachen, das wird doch noch erlaubt
sein.
Die gut 190 Seiten kümmern indes sich so gut wie gar nicht um das
Erwartbare, um das, was ohnehin beinah kalauernde Wahrheit ist: dass
Konservative und Reaktionäre immer schon etwas gegen die Emanzipation von
Homosexuellen hatten, dass sie so gut wie alles dafür taten, meist in
Allianz mit den christlichen Kirchen und bei Desinteresse von
Gewerkschaften, das Leben von Lesben, Schwulen, Trans*- und Inter*menschen
gedemütigt, minderwertig, entwertet und falsch zu halten. Eben gerade so
geduldet, dies vor allem.
Allein: Woran liegt es, dass das australische Parlament nach einem
bejahenden Plebiszit [1][die Einführung der Ehe für alle] feiert, dass ein
Politiker wie Justin Trudeau in Kanada die [2][Entdiskriminierung von
LGBTI*-Gesetzesgeflechten] feiert und nicht nur en passant begrüßt? Womit
hat es zu tun, dass in Frankreich die Sozialisten gegen alle reaktionären
Widerstände die „Marriage pour tous“ durchsetzen und sie als wichtigstes
Verdienst ihrer Regierung feiern? Dass in Spanien, viele Jahre zuvor,
schon anfangs der nuller Jahre, die Linke in Spanien gegen den katholischen
Klerus und seine Parteien die Ehe für alle durchgesetzt hat?
Mit der Verdruckstheit der Linken, gleich ob alternativ, sozialdemokratisch
oder postrealsozialistisch gesinnt. Die Linken sind es, die immer mehr
Unlust denn Leidenschaft hatten, sich der bürgerrechtlichen Gleichstellung
von LGBTI*-Menschen nicht nur nebenbei, sondern von Herzen zu widmen.
Martin Schulz' Guerillaaktion im vorigen Sommer, als er in einem
parlamentarischen Eilakt die Ehe für alle auch gegen Kanzlerin Angela
Merkel durchsetzte – die dies kühl geschehen ließ –, war nur die Ausnahme:
Auf die Linke schlechthin war in Deutschland nie Verlass, wenn es um die
bürgerrechtliche Gleichstellung Homosexueller (und anderer Menschen, die
der „Naturhaftigkeit“ des Heterosexuellen sich nicht fügen wollten) ging.
## „Outing“ ist ein toxisches Wort
Dabei geht es nur noch darum: dass Schwules und Lesbisches und Trans*
Normalitäten sind. Es sind heterosexuelle Menschen gewesen, die sich am
stärksten vor beinah 20 Jahren über das Outing Hape Kerkelings und Alfred
Bioleks durch Rosa von Praunheim aufregten – das könne ihnen in einer
giftigen Umwelt schaden.
In Wahrheit rang der legendäre Filmemacher nur darum, seine Wut darüber
loszuwerden, dass die heteronormative (in der Regel ja linke) Kultur- und
Medienwelt der Bundesrepublik Schwules gern beschweigt – angeblich, um
homosexuelle Menschen zu schützen, tatsächlich jedoch, um das
heterosexuelle Rede- und Benennungsmonopol nicht brechen zu lassen.
Outing – das ist inzwischen ein toxisches Wort: Das tut man ja nicht. Warum
aber spricht man nicht drüber? Und dokumentiert über das Sprechen zum
„Anderen“, dass es eben anderes gibt?
Schwules, dies besonders, gilt als weniger wertig. In den sozialistischen
und kommunistischen Zirkeln der Zeit nach '68 galten ihre Anliegen als
Nebenwidersprüche. Homosexuelles sei, so weit ging die Verachtung, mit der
Revolution absterbend, ein Dekadenzphänomen des Kapitalismus.
Wie gut, dass es die kapitalistisch-liberale Bundesrepublik gab – in ihr
ließen sich solche Phantasmen nicht realisieren, die Schwulenbewegung
musste diese linken Schlacken nur abwerfen, das war schwer genug. Anfang
der achtziger Jahre waren es Linke, eher DDR- und
Classical-Antifa-orientierte, die sich über ein Gedenken an die
Rosa-Winkel-Häftlinge in NS-Konzentrationslagern in Hamburg empörten. Ein
Kranz in der Gedenkstätte Neuengamme dürfe nicht liegen blieben, weil er
die „warmen Brüder“ würdige und die anderen KZ-Opfer, die Politischen,
entehre.
## Kampf gegen das Sittengesetz
Oder ein Konflikt aus den fünfziger und sechziger Jahren, der bis in die
heutigen Tage hineinspielt: Fritz Bauer, der legendäre Frankfurter
Oberstaatsanwalt und Nazijäger, bekommt stets zuerkannt, er habe die
Auschwitzprozesse lanciert, möglich gemacht und politisch gegen die alten
Kameradien in den Justizapparaten durchgesetzt.
Es waren auch andere, die dabei mitwirkten, der rote Faden der Wut Fritz
Bauers, als Jude im dänischen und schwedischen Exil, remigriert Ende der
vierziger Jahre, war aber durch ein anderes Thema gefärbt, der Kampf gegen
die Nazis in der Bundesrepublik war ein wenn auch lohnender Beifang: Der
Schwabe kämpfte eisern seit den frühen fünfziger Jahren gegen das (vor
allem durch das Adenauer-Regime etablierte, überwiegend christlich
gesinnte) Sittengesetz, gegen die drakonischen Strafgesetze wider
Homosexuelle etwa.
Akkurate Recherchen erbrachten, dass Fritz Bauer selbst ein schwuler Mann
war, der freilich, schon aus Gründen des Selbstschutzes, auf jede sexuelle
Liebesbeziehung verzichtete. Und was machen seine Freund*innen wie die
Filmemacherin Ilona Ziok? Sind empört und giften, Bauers Homosexualität
könne nicht bewiesen werden und versehre das Andenken an diesen
heldenhaften Juristen.
Sie und ihre Freund*innen hätten sagen können: Oh, das wussten wir nicht,
dass Bauer seine Liebesfähigkeit in der Bundesrepublik nicht frohen Herzens
ausleben konnte – was für eine Tragödie! Für sie ist „Homosexualität“…
Wort, das an Unehrenhaftigkeit, Unwertigkeit und Unsauberkeit gemahnt.
Man nehme dieses Beispiel als eines von vielen. In der Popularkultur
äußerte bei der Vorstellung eines neuen Albums der
Ton-Steine-Scherben-Sängers Rio Reiser gegenüber den Journalisten: Na, ihr
könnt, wenn ihr über die Platte schreibt, gern erwähnen, dass ich schwul
bin … Reiser, der Grandiose, musste erfahren: Was für ihn Normalität war,
worüber hätte gesprochen werden dürfen, war den überwiegend linkslibertär
gesinnten Medienleuten keine Zeile wert. Dabei war gerade das Schwulsein
für Reiser ein tragender Pfeiler seines ästhetischen Empfindens, seines
Werks und seiner Arbeit schlechthin. Wollte das die heterosexuelle
Mehrheit zur Kenntnis nehmen? Lieber nicht.
## Andere politisch-kulturelle Ziele sind wichtiger
„Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber …“, wie Johannes Kram so süffig w…
treffend seine nun in Buchform gebündelten Kolumnen im Nollendorfblog
betitelt: das ließe sich auch über das sozialarbeiterische Establishment,
durch die Bank weltanschaulich links orientiert, hierzulande sagen, das in
den vergangenen 15 Jahren jedes LGBTI*-Anliegen faktisch abbügelte.
Mahnten Institutionen wie die Berliner Antigewaltstelle Maneo, junge
Trans*menschen, Lesben und Schwule fühlten sich in Einrichtungen für
Jugendliche nicht wohl, weil heterosexuelle Jugendliche, oft migrantisch
geprägte, ihnen das Leben bis zur Androhung körperlicher Gewalt schwer
machten, bekamen sie zur Antwort: Nein, das können wir nicht thematisieren,
das befördert doch nur Rassismus und die Rechten.
Auch in diesem Fall: Schwules (und Lesbisches etc.) muss auf angstfreie
Entfaltung der eigenen Lebensmöglichkeiten warten, andere
politisch-kulturelle Ziele sind wichtiger. Es ist deprimierend und fast
trostlos, dass LGBTI*-Leute nicht gänzlich auf Solidarität von Linken
verzichten müssen, aber sich dieser nicht wirklich sicher sein können.
Und dann diese Tonlage. Kommt eine öffentliche Figur mal umfänglich zu
Wort, kann mal Auskunft geben über das, was sie bewegt, wird es schwerst
sensibel. Das in der Tat exzellente [3][Outing des Fußballers Thomas
Hitzlsperger] in der Zeit vor fast vier Jahren berichtet nur davon, dass er
gegen ein früheres Going-Public nichts gehabt hätte, aber seine Berater,
Trainer Joachim Löw und andere ihm davon abrieten, weil er sich nicht
selbst schaden solle – als ob die Risiken Hitzlsperger nicht selbst hätte
abwägen können –, war in einem Sound therapeutischster Einvernahme, fast
einem Patienten gegenüber gehalten: Der Homo, das beschädigte und also
unrobuste Wesen, dargereicht von Moritz Müller-Wirth und Carolin Emcke.
## Deutschland ist ein heteronormatives Land
Wahr ist: Das linksliberale Establishment ist heterosexueller Art – es hat
es nicht einmal fertiggebracht, etwa die Ehe für alle oder den Spruch des
Bundesverfassungsgerichts zu einem Dritten Geschlecht, alles voriges Jahr,
zum Debattenthema zu machen, ob im „Presseclub“ oder bei „Illner“.
Last, but not least, zum Thema dieses Mangels an politischer Sympathie –
Mark Lilla, Professor für Ideengeschichte an der Columbia University. Der
äußerte nach dem Wahlsieg Donald Trumps seine Verbitterung darüber, dass
Hillary Clinton nicht hat gewinnen können, weil die Demokraten sich allzu
sehr auf identity politics verlegt hätten, auf die Projekte von
LGBTI*-Menschen und People of Color beispielsweise.
An dieser Kritik ist etwas dran – aber verstanden wurde sie, vor allem von
Linken wie Slavoj Žižek, als starkes Indiz, dass sich Nichtkonservative
allzu mächtig für Minderheitenanliegen eingesetzt hätten, nicht für die
Angelegenheit der working class people. Als ob Frauen und Männer der
Arbeiterklasse nicht auch ein Interesse an der Ehe für alle und anderem
„Gedöns“ hätten.
Und überhaupt: Warum hat sich eigentlich das Wort „Homophobie“ so
eingebürgert? Ist es nicht hübscher und belangärmer als „Schwulenhass“?
Warum meidet inzwischen alle Welt das Wort „schwul“ – und nimmt lieber die
lieblicher klingende, gleichwohl falsche Vokabel „queer“? Es wird Zeit,
dass sich die deutsche Linke mal überlegt, weshalb sie en gros und en
detail Homos zwar irgendwie okay fand, aber doch eher nicht so sehr
wertschätzte. Deutschland ist, im Vergleich zu Spanien, Großbritannien, den
Niederlanden, Belgien oder Frankreich, ein heteronormatives Land.
LGBTI*-Fragen sind keine, die auf der politischen Resterampe liegen
sollten. Sie gehen alle an. Ein kultureller Wandel steht an, er könnte
allen guttun.
2 Apr 2018
## LINKS
[1] /Ehe-fuer-alle-in-Australien/!5468886
[2] /Diskriminierung-von-LGBTQ-in-Kanada/!5466639
[3] /Fussball-und-Homosexualitaet/!5469306
## AUTOREN
Jan Feddersen
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