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# taz.de -- Die Oper und queere Männer: Das Spiel mit den Geschlechtern
> Queere Männer und die Liebe zur Oper – angezogen von der Dramatik und den
> großen Stimmen auf der Bühne. Was steckt hinter dem Klischee?
Bild: Michael-John Harper in der Operette „Die Perlen der Cleopatra“ an der…
Sie laufen zum Bahnhof. Zwei Männer, ein Paar. Sie halten Hände, haben
gerade das Ende von „Tristan und Isolde“ an der Staatsoper Berlin erlebt.
Jetzt laufen sie über die Prachtstraße Unter den Linden. Liebeslauf nach
dem Liebestod Isoldes.
Oper, Wagners Melancholie, ein schwules Paar. Was für ein Klischee, oder?
Betrachtet man dieses stereotype Bild, sieht man womöglich Männer in
gepuderten Perücken. Großes Drama mit Ohnmacht und Riechsalz. Oder aber die
schwärmenden Männergruppen im Prunksaal der Oper. Mit Champagner in der
Hand. Dieses Bild ist abgegriffen. Und doch ist es eine besondere
Beziehung: die Oper und der queere Mann.
„Gender und Identität liegen tief in der Tradition des Theaters“, sagt
Barrie Kosky, Intendant der Komischen Oper, der auch immer wieder selbst
inszeniert. Er bezeichnet sich selbst als queer. Hat schon viel über das
Verhältnis von queeren Männern zur Oper nachgedacht. Jetzt sitzt er auf
einem Ledersofa seines Büros in der Komischen Oper. Oder er sitzt fast.
Mehr noch hängt er an der Ecke des Sofas, scheint kurz vorm Sprung zu sein.
Neben ihm sein Hund, drahtiges Fell, der Blick unbeeindruckt. Dem
Intendanten ist es ein wichtiges Thema. Zu oft denken die Leute da
lediglich an Männer, die Maria Callas anhimmeln und sich Luft mit dem
Fächer zuwedeln. Das ist für ihn das wahre Klischee.
Das Theater wie auch die Oper baut auf das Spiel mit Identitäten, mit
Geschlechtern, mit Sexualitäten. Kaum eine Barockoper kommt ohne
Crossdressing aus, ohne das Verwirrspiel von Menschen, die sich entgegen
ihrem angenommenen Geschlecht kleiden. So etwa der Cherubino, der sich in
Mozarts Oper „Le nozze di Figaro“ immer wieder als Frau verkleidet. Oder
Amastre in Händels „Xerxes“, die sich als Mann verkleidet, um Xerxes der
Untreue zu überführen.
Das ist Maskerade, Travestie, Drag. Die Bühne ist ein Raum für alle
Möglichkeiten. Die Oper der Ort für das Als-ob, das die durchregulierte
Gesellschaft sonst nicht bietet. Auch heute noch nicht. Doch der Blick in
die Vergangenheit zeigt, dass die Oper noch viel mehr war.
„Zu früheren Zeiten gab es kein Grindr, keine queeren Clubs, nichts. Da war
das Opernhaus ein sozialer Treffpunkt auch für gebildete, bürgerliche
Männer“, sagt Kosky. Besonders von der Mitte des 17. bis ins 20.
Jahrhundert, in einer Zeit, in der die Oper als Kunstform immer
vielfältiger wurde.
## Die Diversität zeigt sich auf der Bühne
Beim Klappensex waren die Verhältnisse immer klar. Eine Toilettenkabine mit
einem Loch in der Wand. Das Gesicht spielte hier keine Rolle. Erkannt wurde
der queere Mann an seinem Penis. Hing der durch das Loch, war das Zeichen
eindeutig. Anders im Opernhaus. Im Foyer durchmischte sich das Volk.
Hetero, Homo, Bi, Trans, sie alle waren hier. Waren Teil des Spiels, das
auch auf der Bühne zu sehen war. Nicht alle erkannten sie sich. Diejenigen
die unentdeckt bleiben wollten, blieben es. Aber die, die einander erkennen
wollten, die erkannten sich. Im Zuschauersaal dann erlebten sie zusammen
eine hochdramatische, hochemotionale Stunde. Und wenn es gut lief, traf man
sich im Anschluss zum Sex.
„Es gibt wohl kaum ein homophobes Opernhaus auf dieser Welt. Die Bühne war
schon immer ein Raum für queere Menschen“, kann Kosky aus eigener Erfahrung
berichten. Er ist Australier, Jude, queer, Regisseur. Das (Musik-)Theater
kennt dieses Zusammenspiel der Identitäten. Es lebt davon.
Schauspieler*innen, Sänger*innen, Dramaturg*innen,
Beleuchter*innen, sie alle sind oft auch queer, entsprechen nicht der
Norm der Gesellschaft. Weder heute noch zu vergangenen Zeiten. Diese
Diversität zeigt sich auch auf der Bühne, zeigt sich in dem Publikum, das
vom Theater angesprochen wird. Für Kosky ist die Oper auch der Ort der
Erlaubnis, das zu sein, was man ist. Voll und ganz.
Also wieso nicht auch die großen Emotionen anerkennen, die die Oper
bestimmen? Die Dramatik, die queere Männer anzuziehen scheint. In der Musik
ist sie, im Kostüm, in der Stimme. Die Assoziationen zu dem Begriff
„männlich“ sind mannigfaltig. Emotionen gehören nicht dazu. Keine
Exaltiertheit, nicht die dramatisierte Expression des Inneren. Auch heute
noch verbringen viele queere Männer einen großen Teil ihres Lebens damit,
ihr „Anderssein“ zu überdecken. Indem sie nicht zu sehr gestikulieren. Blo…
nicht die Beine übereinanderschlagen. Die Stimme stets kontrollieren, sonor
klingen. Nicht zu hoch, möglichst wenige Emotionen transportieren.
Andernfalls könnte man ja entdeckt werden. Als queer, als die Bestätigung
des Klischees.
## Das macht eine queere Inszenierung aus
Die Oper ist all das, kondensiert. Die Bühne ist der Ort, in dem die Stimme
schwingt. In dem sie alle Emotionen trägt, die der tragische, lustige,
dramatische Stoff von ihr verlangt. Die das Leben von ihr verlangt. Egal
ob Mann oder Frau, sie alle modulieren ihre Stimme, geben ihr den großen
Raum, übertragen in jeder Färbung die ganz großen Emotionen. Sie werden
verstärkt durch die hohen Decken des Gebäudes. Durch die Rezeption des
Publikums. Durch das Lauschen, das Verstehen.
„Die eigene Stimme finden, Emotionen transportieren, genau das passiert in
der Oper“, bestätigt auch Barrie Kosky. Ihm ist bewusst, dass gerade ein
queeres Publikum seine Inszenierungen mit Interesse verfolgt. Dennoch
betont er, dass er nicht an dieses Publikum denkt, wenn er inszeniert.
Sondern an sich. Und ein Teil seiner Identität sei nun mal, dass er queer
ist. Und genau das mache dann auch eine queere Inszenierung aus: diesem
Teil des Ichs Ausdruck zu verleihen, ihm eine Stimme zu geben. Und dann zu
hoffen, dass das Publikum versteht.
Zumal sich viele Stoffe in der Oper auch einfach für eine queere
Interpretation anbieten. Etwa „Tristan und Isolde“, der zweite Akt. „Ich
Isolde, du Tristan. Du Tristan, ich Isolde.“ Genderidentitäten
verschwinden, sie transzendieren. In diesem Akt spielt das Geschlecht keine
Rolle mehr. Es geht nur noch um die Liebe zweier Wesen, die sich in ihrer
Körperlichkeit nahezu auflösen. Wie im Titel des aktuellen queeren Films
„Call me by your name“.
## „Die Türen müssen offen sein“
Doch wie kann Oper dieser Ort bleiben? Oder muss er das überhaupt, da doch
heute Onlinedating oder queere Clubs viel eher diese Orte des
Zusammenfindens sind? Geht der Oper dieser Teil des Publikums verloren?
Übrigens, das soll an dieser Stelle betont werden, nur ein Teil von vielen.
Frauen*, Transmenschen, heterosexuelle Männer. Sie gehören alle ebenso zur
Oper, haben alle ihre eigenen Geschichten und Traditionen, die
erzählenswert sind.
„Oper muss sein, was es ist. Die Türen müssen offen sein.“ Kosky möchte …
kann nicht beeinflussen, ob die Oper auch weiterhin ein queerer Ort sein
wird. Vielmehr sei es ein soziales Ökosystem, das autonom funktionieren
muss. Jeder Mensch muss seinen eigenen Zugang zu dieser Kunstform finden,
muss die Tür finden, durch die er gehen kann.
An der S-Bahn-Station Friedrichstraße. Die meisten Opernbesucher*innen
eilen hierher, um die Bahn zu bekommen. Das Paar gibt sich einen Kuss, die
beiden steigen in verschiedene Bahnen. Wahrscheinlich werden sie sich nie
darüber Gedanken machen wieso gerade sie, zwei Männer, die sich lieben, in
die Oper gehen. Aber irgendwie wissen sie, dass dieser Ort für sie da ist.
Wie der letzte Satz, den Isolde in der Oper singt: Unbewusst – höchste
Lust.
6 Apr 2018
## AUTOREN
Matthias Kreienbrink
## TAGS
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Queer
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Oper
Lesestück Recherche und Reportage
Komische Oper Berlin
Oper
Lesestück Meinung und Analyse
Popmusik
Geschlechtsidentität
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