| # taz.de -- Kommentar Todestag des Staatsanwalts: Fritz Bauer war der bessere 6… | |
| > Vor 50 Jahren starb der legendäre Staatsanwalt Fritz Bauer. Zu Unrecht | |
| > wurde er nicht so sehr verehrt, wie die 68er-Ikonen Dutschke und | |
| > Langhans. | |
| Bild: Ein Bild von Fritz Bauer in einer Frankfurter Ausstellung im Jahr 2014 | |
| Sonntag werden einige Menschen seiner gedenken, aber ein Ehre gebietender | |
| Teil der kollektiven Erinnerung ist der Tag nicht: Am 1. Juli 1968 wurde | |
| der prominenteste Staatsanwalt der damals noch jungen Bundesrepublik, Fritz | |
| Bauer, tot in seiner Badewanne gefunden. Mitten in der aufgewühlten Zeit | |
| der (nicht allein) studentischen Unruhen stirbt die Symbolfigur einer | |
| humanen Rechtsstaatlichkeit, einer Liberalisierung der Sitten, in einer | |
| noch autoritär gesinnten Bundesrepublik – konnte das sein? | |
| Hatte er nicht Feinde, Altnazis etwa, von denen es noch Hunderttausende | |
| gab? Menschen, denen er juristisch nicht nur im Verborgenen nachsetzte, und | |
| das oft erfolgreich? Bei der Autopsie seines Leichnams wurde kein | |
| Fremdverschulden festgestellt, der gebürtige Stuttgarter von 64 Jahren litt | |
| an einem geschädigten Herzen sowie einer akuten Bronchitis. | |
| Festgestellt wurde auch die Einnahme von Schlafmitteln, aber das war, wie | |
| Freunde und Freundinnen berichteten, für Bauer nicht außergewöhnlich, er | |
| habe ohne solche nicht zur Ruhe finden können. Kommenden Montag und | |
| Dienstag, immerhin, veranstaltet das nach ihm benannte Institut in | |
| Frankfurt am Main eine Tagung: „Fritz Bauer und die 68er“. Ein suggestiver | |
| Titel, denn er legt nahe, dass dieser Jurist eine besondere kulturelle oder | |
| politische Nähe zu jenen hatte, die für diese Ära namens 68 stehen, die | |
| linksradikalen Studenten. | |
| ## Ein libertärer Demokrat | |
| Und das ist ein Missverständnis, denn Bauer, der libertäre Demokrat, | |
| glaubte wie Hannah Arendt an die Möglichkeiten, die die Bundesrepublik als | |
| politisches Gemeinwesen bot – trotz aller Regierungsjahre Konrad Adenauers | |
| und seiner Partei, die die Bundesrepublik mit aller Kraft unter den | |
| Sittenschirmen strenger Christlichkeit zu halten wusste – gegen die Fritz | |
| Bauer zuallererst kämpfte. | |
| Indes: Gemessen an jenen Personen, die vor allem mit den studentischen | |
| Revolten des Jahres 1968 wichtig wurden, Ikonen wie Rudi Dutschke, Rainer | |
| Langhans, Fritz Teufel, Dieter Kunzelmann, Ulrike Meinhof oder Hans-Jürgen | |
| Krahl etwa, blieb die Verehrung Bauers eher bescheiden. Er war keine Figur | |
| linksradikalen Glamours, keine flamboyante Figur, die große Entwürfe von | |
| Weltrevolution oder der großen Umwälzung anzubieten hatte. | |
| Eher war er ein Mann, der dicke Bretter bohrte, die Kniffligkeit des | |
| Politischen anerkannte – und auf Überzeugungsarbeit setzte anstatt auf | |
| triumphale Revolutioniererei. Er war Jurist, aber was für einer: de facto | |
| ein Bürgerrechtskämpfer tatsächlich für all das, was Rechtspopulisten und | |
| Völkische heute hassen, was einen wie AfD-Vize Jörg Meuthen „vom | |
| links-rot-grün verseuchten 68er-Deutschland“ delirieren ließ. | |
| Denn diese, die Völkischen, wären mit einem wie Dutschke, der von | |
| nationaler Wiedervereinigung mehr träumte als von Liberalisierung der | |
| Verhältnisse, womöglich eher einverstanden gewesen. Einem wie Fritz Bauer, | |
| würden sie ihn kennen oder hätten ihn gekannt, wäre ihr Hass gewiss | |
| gewesen. Denn alles, wofür er stand, wofür er kämpfte, fand durchweg die | |
| Kritik jener, die unter den Nazis groß wurden oder schon während der | |
| Weimarer Republik zu den Nationalkonservativen, den Autoritären, den | |
| Zuchtmeistern von Sitte und Anstand zählten. | |
| Wer war Fritz Bauer, wie verdiente er sich seinen mehr als nur geringen | |
| Nachruhm? Aufgewachsen in einer jüdischen Familie im Schwäbischen, | |
| studierte er Rechtswissenschaft und war ein glühender Freund der Weimarer | |
| Republik, keiner, der ihr – sei es aus marxistisch-kommunistischen oder | |
| nationalsozialistischen Gründen – den Tod wünschte, im Gegenteil. Bauer, | |
| der angehende Starjurist, der nach der NS-Machtübernahme einige Monate im | |
| KZ Heuberg interniert worden war, konnte schließlich 1936 nach Dänemark | |
| emigrieren, später, aus dem NS-besetzten Land in das sichere Schweden. | |
| 1949 kam er als Remigrant nach Deutschland zurück – und wurde | |
| Landgerichtsdirektor in Braunschweig. Von 1956 an arbeitete er in Frankfurt | |
| am Main als Generalstaatsanwalt, unter dem Schutz des seinerzeitigen | |
| SPD-Ministerpräsidenten Georg-August Zinn. Bauer wollte an die | |
| freiheitlichen Traditionen anknüpfen, die während der Weimarer Republik | |
| bereits vital waren: Dies war ihm eine Art innerer Auftrag, ganz deutscher | |
| Patriot, für den die schwarz-rot-goldene Trikolore schon deshalb attraktiv | |
| war, weil sie von den Nationalsozialisten und Deutschnationalisten | |
| verachtet wurde. | |
| Bauers Wirken seit 1949 ist, gemessen an den wirren Revolutionsträumen der | |
| Minderheit der 68er wie eben Rudi Dutschke, immens. Nicht allein, dass er | |
| rechtswissenschaftlich gewieft die Diskurse um ein humanes Strafrecht, um | |
| Gefängnisse ohne Auslöschungscharakter, um rechtsstaatlich sattelfeste | |
| Verfolgungen von NS-Tätern beförderte und prägte: Fritz Bauer war | |
| maßgeblich an der Festnahme Adolf Eichmanns beteiligt – und ohnehin an den | |
| Auschwitzprozessen Anfang der sechziger Jahre in Frankfurt am Main. | |
| Nun funktioniert ein solches Engagement nur im Team, aber Fritz Bauer, von | |
| dem Teile seiner Anhängerschar partout nicht glauben möchte, dass er ein | |
| schwuler Mann war, weil sie diesen Hinweis für ein ihn beschmutzendes | |
| Faktum halten, hat tatsächlich die wichtigsten Weichenstellungen zu einem | |
| liberalen Rechtsstaat in der Bundesrepublik mit besorgt. | |
| Woran ihm freilich am stärksten lag, war mehr als die Ahndung – und damit | |
| öffentliche Erörterung – von NS-Verbrechen (und Verbrecher*innen), sondern, | |
| darauf wies Werner Renz hin, einst wissenschaftlicher Mitarbeiter am | |
| Fritz-Bauer-Institut, der Kampf gegen die Sittengesetzgebung der | |
| Adenauer-Jahre. Ihm ging es, wie man salopp sagen könnte, ums Gedöns. | |
| Um das Leid von gesetzlich verfolgten Minderheiten, schwulen Männern etwa, | |
| um die gesetzliche Benachteilung von Frauen, um die Versuche von | |
| katholischen wie evangelischen Pfaffen, Kulturelles zu zensieren, die | |
| Leinwände von „Schmutz und Unrat“ rein zu halten. Ihm ging es um die | |
| Möglichkeit, Jugendliche, die mit dem Gesetz in Konflikt kamen, nachhaltig | |
| resozialisieren zu können und nicht nur einzuknasten. | |
| ## Dem Land den autoritären Ungeist austreiben | |
| Was Bauer antrieb, war die Idee, dem Land zugunsten einer modernen, | |
| freiheitlichen Bundesrepublik den autoritären Ungeist auszutreiben – ihm | |
| ging es um das, was die Historikerin Christina von Hodenberg neulich als | |
| Studie publizierte: um ein anderes 68, um die Veränderung der Geschlechter- | |
| und Moralverhältnisse, nicht um Barrikaden und Sozialismen. Viel eher um | |
| das, was die Bundesrepublik ernsthaft besser gemacht hat: ein Land, das in | |
| seinem moralischen Selbstverständnis nicht auf Rache setzt, sondern auf | |
| Verständnis, Ausgleich, Kompromiss, Freiheit. | |
| Fritz Bauer erhielt nie ein Bundesverdienstkreuz, er hätte sich über diese | |
| Anerkennung gefreut. Wenn eine Person gestorben ist, kann sie, so sind die | |
| Regeln, einen solchen Orden nicht mehr erhalten. Es wäre ein Coup, würde | |
| das Bundespräsidialamt bei Fritz Bauer eine Ausnahme machen. Niemand wäre | |
| verdienter ausgezeichnet als er, der gelegentlich raubauzige, förmliche und | |
| hin und wieder cholerische Jurist, der diesem Land mehr Lebendigkeit | |
| ermöglicht hat als jene, für die das „offizielle“ 68 steht. | |
| 1 Jul 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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