Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Preisverleihung in Frankreich: Riskante Ehrung
> Nazi-Jäger Serge Klarsfeld hat einen Orden von einem Bürgermeister des
> Rassemblement National entgegengenommen. Er sollte ihn zurückgeben.
Bild: Serge und Beate Klarsfeld durch Rechte geehrt
Man stelle sich vor, in einer großen ostdeutschen Stadt sei ein AfD-Mann
Oberbürgermeister geworden und zeichne in dieser Funktion jemanden aus, der
seit Jahrzehnten als Antifaschist und Kämpfer gegen Antisemitismus aktiv
gewesen wäre. Oder ein Rechtskonservativer hätte in den 1960er Jahren dem
als „[1][Nazi-Jäger“ titulierten hessischen Generalstaatsanwalt Fritz
Bauer] einen Orden verliehen. Undenkbar – jedenfalls der historische Fall,
denn Bauer, von der Rechten hartnäckig diffamiert, hätte ihn niemals
angenommen.
Zu schrägen Ehrungen kommt es allerdings immer wieder, wie in dem Fall, der
gerade in Frankreich für Aufsehen sorgt. Der Pariser Rechtsanwalt und
Holocaust-Überlebende Serge Klarsfeld, der unter anderen den SS-Mann Klaus
Barbie gejagt und 1987 für dessen Verurteilung gesorgt hatte, ließ sich
kürzlich von Louis Aliot, dem Bürgermeister der südfranzösischen Stadt
Perpignan, mit einer Ehrenmedaille für seine Verdienste auszeichnen.
[2][Klarsfeld und seine Frau Beate] haben jede Menge Verdienstorden
erhalten und sind Unesco-Botschafter für Holocaust-Bildung. Das Problem ist
nur: Aliot ist eine Führungsfigur des Rassemblement National (RN), wie der
rechtsradikale Front National mittlerweile heißt, und er kämpft gerade um
die Nachfolge der RN-Chefin Marine Le Pen, mit der er lange auch privat
liiert war.
Der Fall wirft die Frage auf, wie man mit radikalen Rechten, die längst zum
politischen Alltag geworden sind, verfahren soll: entgegenkommend, um sie
zu mäßigen, oder verächtlich, wie sie es selbst mit der liberalen
Demokratie halten?
## Richtungskampf im Rassemblement National
Die RN ringt derzeit um den Kurs der Rechtspartei, die nun erstmals auch in
der Nationalversammlung stark vertreten ist: Soll sie sich weiter
„entteufeln“ (dédiaboliser), also die rechtsradikale Ideologie – und
Personalballast abwerfen (wie den von der [3][eigenen Tochter aufs
Altenteil beförderten Parteigründer Jean-Marie Le Pen]) und die
Führungsrolle im rechtskonservativen Lager anstreben? Oder soll sie sich
angesichts der Konkurrenz Eric Zemmours „Reconquête!“ weiter Rechtsaußen
als Fundamentalopposition gerieren?
Die Begründung von Serge Klarsfeld, warum er sich von Bürgermeister Aliot
zum Ehrenbürger ernennen und mit ihm fotografieren ließ, bezieht sich auf
diesen Richtungskampf. Klarsfeld erklärte „Libération“, damit den moderat…
Aliot unterstützen zu wollen.
Sein Sohn Arno bekräftigte das in einem Tweet: Wenn Teile des RN sich
weiterentwickelten, indem sie Untaten des Vichy-Kollaborationsregimes wie
die Razzia von Vel d'Hiv verurteilen, die Erinnerung an die Shoah pflegen
und das in der extremen Rechten grassierende einwandererfeindliche Theorem
des „Großen Bevölkerungsaustauschs“ für unpassend erklären, warum solle…
das nicht anerkennen? „Es ist besser, wenn die extreme Rechte gemäßigt
rechts wird als umgekehrt.“
Bissige Kommentare über die politische Naivität der Klarsfelds ließen nicht
auf sich warten. Aliot habe nur Lippenbekenntnisse abgelegt, er sei nichts
als ein weißgewaschener Klon einer tiefbraunen Partei, die aus dem Sumpf
der Vichy-Kollaboration stammt, von beinharten Nazis gegründet wurde,
Antisemiten und Rassisten eine politische Bühne bot.
## DNA der Rechtsextremen: Hass auf Juden
Dass er der faschistoiden Tradition treu geblieben ist, erkenne man an der
von Aliot kurz zuvor eingeleiteten Benennung einer Straße nach dem vor
zwanzig Jahren verstorbenen Pierre Sergent. Dieser war ein Anführer der
„Organisation armée secrète“ (OAS), die um 1960 mit blutigem Terror für …
Erhalt des französischen Algerien kämpfte und Tausende Tote und Verletze
auf dem Gewissen hat.
„Kann man“, fragt der Vorsitzende von SOS Racisme, Dominique Sopo, „ein
Kämpfer für die Erinnerung sein und nicht vor den Kopf gestoßen werden,
wenn versucht wird, Tausende republik- und araberfeindliche Verbrechen der
OAS in ebenso viele ehrenhafte Taten zu verwandeln?“
Kann man nicht, aber Klarsfeld wies auf neuerdings islamfreundliche
Äußerungen des Bürgermeisters hin. Weggefährten ermahnten den 87-Jährigen,
die Ehrung auszuschlagen. Sie erinnerten an seine gewaltigen Verdienste um
die Aufarbeitung der Vergangenheit in Frankreich und um die Verankerung der
Erinnerung an die ermordeten Juden, zu denen sein Vater zählte, im
kollektiven Gedächtnis der Nation.
Gegenüber der Wochenzeitung Paris-Match räumte Klarsfeld ein, die DNA jeder
Rechtspartei sei der Hass auf Juden. Aber er sehe, dass es „bei einigen
eine Entwicklung gibt, und ich forciere diese friedliche Entwicklung“.
Aliot sei und bleibe ein Reaktionär, gegen den er weiterhin kämpfen werde,
doch „aus Feinden werden Gegner, wenn sie sich mäßigen“.
## Banalisierung der Erinnerung
Diese Positionierung ist über Frankreichs Grenzen hinaus bedeutsam und
diskussionswürdig. Wie hält man es mit Rechtsradikalen, die sich
korrigieren, aber ihre Partei nicht verlassen, sondern auf einen Kurs der
Mäßigung bringen wollen? Wie glaubhaft ist eine „Entteufelung“
neofaschistischer Parteien, wenn sie wie in Frankreich, Italien und Ungarn
ständig dubiose Anspielungen auf die Vergangenheit machen?
Konnte man der Alleanza Nazionale glauben, dass sie unter Gianfranco Fini
eine respektable konservative Partei werden würde? Durfte man die
ungarische Jobbik in die Opposition gegen Viktor Orbán einreihen? Traut man
den Gemäßigten in der AfD zu, sich vom Faschisten Höcke zu trennen? Oder
sind solche Manöver nicht eher geeignet, die Ultrarechte koalitionsfähig zu
machen wie in Schweden und die Trennmauer zwischen Ihnen und der
etablierten Rechten niederzureißen?
Nicht nur in Frankreich wirkt der Konservatismus ausgelaugt und
prinzipienlos. Klarsfelds Manöver ist auch deshalb riskant, weil er eine
Banalisierung der Erinnerung an den Holocaust mitmacht, die in den Mündern
strammer Rechter zu kostenlosen Lippenbekenntnissen geworden ist. Bei allem
Respekt sollte er nicht Ehrenbürger Perpignans bleiben.
27 Oct 2022
## LINKS
[1] /Fritz-Bauer-Ausstellung-in-Braunschweig/!5818527
[2] /Bundesverdienstkreuz-fuer-Beate-Klarsfeld/!5008028
[3] /Portraet-der-Familie-Le-Pen/!5399200
## AUTOREN
Claus Leggewie
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Faschismus
Rechtsextremismus
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Schwerpunkt Frankreich
Marine Le Pen
Schwerpunkt Rassemblement National
Serge Klarsfeld
NS-Verfolgte
Schwerpunkt Rassismus
Fritz Bauer
Beate Klarsfeld
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ausstellung über den NS-Tatort Riga: Ein vergessener Ort des Holocausts
Eine Ausstellung in Hamburg erinnert an den Holocaust-Tatort Riga. Dort
starben 25.000 Menschen, darunter 753 Hamburger Jüdinnen und Juden.
Präsidentschaftswahl in Frankreich: Die Angst vor Le Pen
Viele Migrant:innen fürchten einen Sieg der rechtsextremen Kandidatin.
Sie sind keine Macron-Fans, kämpfen aber „lieber gegen Demokraten als gegen
eine Faschistin“.
Kommentar Todestag des Staatsanwalts: Fritz Bauer war der bessere 68er
Vor 50 Jahren starb der legendäre Staatsanwalt Fritz Bauer. Zu Unrecht
wurde er nicht so sehr verehrt, wie die 68er-Ikonen Dutschke und Langhans.
Linke nominiert Präsidentschaftskandidatin: Nazi-Jägerin Klarsfeld wird's
Nach dem Politikwissenschafter Butterwegge verzichtet auch
Linke-Politikerin Jochimsen auf eine Kandidatur als Bundespräsidentin. Die
Linke nominiert die Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.