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# taz.de -- Ausstellung über den NS-Tatort Riga: Ein vergessener Ort des Holoc…
> Eine Ausstellung in Hamburg erinnert an den Holocaust-Tatort Riga. Dort
> starben 25.000 Menschen, darunter 753 Hamburger Jüdinnen und Juden.
Bild: Den Eltern entrissen: Bernd Haases Zeichnung der “Kinderaktion“ der SS
Hamburg taz | Es ist ein vergessener Ort des Holocaust, abgelegen, im
Osten, noch unbekannter als [1][Babyn Jar] bei Kiew, wo SS und Wehrmacht
1941 in zwei Tagen 33.000 Jüdinnen und Juden erschossen. Dabei gab es
während des Zweiten Weltkriegs in Ostmitteleuropa etliche
Massenerschießungen durch Deutsche, unter anderem in [2][Maly Trostenez]
bei Minsk.
Auch die lettische Hauptstadt Riga war solch ein Ort, und wer in Hamburg
„Stolpersteine“ für in der NS-Zeit Deportierte liest, findet oft Minsk und
Riga als Todesorte. 753 Hamburger Jüdinnen und Juden wurden vom dortigen
[3][„Hannoverschen Bahnhof“ a]us nach Riga deportiert. Insgesamt 25.000
Menschen aus Deutschland, Wien, Prag und Brünn wurden 1941 und 1942 in die
lettische Hauptstadt verschleppt; etwa 1.000 überlebten.
Dabei hatte die lettische Bevölkerung, als die Deutschen kamen, schon
Deportationen durch die Sowjetunion hinter sich, die das Land 1940 infolge
des Hitler-Stalin-Pakts besetzt hatte. Im Juli 1941, nach dem Angriff auf
die Sowjetunion, besetzten die Deutschen Lettland; initiierten Pogrome und
errichteten das [4][Rigaer Getto]. Dort lebten auf engstem Raum fast 30.000
Menschen.
„Das Getto lag in der Moskauer Vorstadt, einem ärmlichen, bis dato von
polnischen und russischen Arbeiterfamilien bewohnten Viertel“, sagt
Franziska Jahn. Sie hat über das Getto Riga-Kaiserwald promoviert und als
Mitarbeiterin der KZ-Gedenkstätte Neuengamme eine Wanderausstellung
konzipiert, die nach einer ersten Station in Riga jetzt in Hamburg gezeigt
wird. Sie soll Riga stärker ins Bewusstsein rücken – auch als Ort von
Massakern durch die Deutschen.
## 25 Deportationszüge nach Riga
Davon gab es viele. Als im September 1941 der erste von 25
Deportationszügen in Riga ankam, war das Getto bereits überfüllt. Die SS
ermordete die Neuankömmlinge sofort im nahen Wald von Rumbula. Die nächsten
4.000 Verschleppten brachte man in einen verlassenen Gutshof, das spätere
„Lager Jungfernhof“. Und um das Rigaer Getto für weitere „Transporte“ …
Deutschland „freizumachen“, erschossen lettische und deutsche SS-Leute 1941
in drei Tagen 27.000 Jüdinnen und Juden.
In den folgenden Wochen kamen Zehntausende weitere Deportierte an. Und
abermals „schuf man Platz“: Im Zuge der „Aktion Dünamünde“ forderte d…
im Getto und im Lager Jungfernhof all diejenigen auf, sich zu melden, die
eine leichtere Arbeit in der Fischkonservenfabrik im Lager Dünamünde
wollten. Doch es war eine Falle. 1.900 von der SS als „arbeitsunfähig“
diffamierte Menschen lieferten sich selbst aus und wurden im Wald von
Bikernieki bei Riga erschossen. Auch der Hamburger Rabbiner [5][Joseph
Carlebach], seine Frau und drei seiner Kinder waren darunter.
Trotzdem sicherte „Arbeitsfähigkeit“ im NS-Staat nicht immer das Überlebe…
Mitte 1943 befahl SS-Chef Heinrich Himmler, die Gettos im besetzten
Litauen, Lettland und Estland aufzulösen und die Überlebenden in KZ zu
bringen. Daraufhin errichtete die SS das Getto Riga-Kaiserwald, in dem
mehrere Tausend Menschen darbten.
## Spätes, zögerliches Gedenken
An all das erinnerte man lange nicht. „In Lettland war man mit dem Trauma
der Deportationen 1940 und 1941 durch die Sowjets befasst“, sagt Franziska
Jahn. „Und der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus wurde nach 1945 im
dann wieder sowjetisch besetzten Lettland aus ideologischen Gründen nicht
offiziell gedacht. Die Inschriften ehren immer,alle sowjetischen Opfer des
Faschismus', sagt sie. Einziges Zugeständnis: Auf dem Gedenkstein, den
Überlebende 1963 im Wald von Rumbula errichteten, steht der Text auch auf
Jiddisch.
Seit 2001 steht im Wald von Rumbula auch eine vom Volksbund der Deutschen
Kriegsgräberfürsorge initiierte Holocaust-Gedenkstätte, seit 2002 eine
international finanzierte im Wald von Bikernieki. Auch in Riga begann das
offizielle Gedenken spät: Zwar eröffnete 1989 auf Betreiben des
Holocaust-Überlebenden [6][Margers Vestermanis] ein Jüdisches Museum. 2010
kam ein Getto-Museum hinzu. „Es steht nicht auf dem Gelände des einstigen
Gettos, sondern in der Nähe“, sagt Franziska Jahn. „Und leider sind die
erhaltenen Holzhäuser des einstigen Gettos nicht gekennzeichnet.“
Auch in Deutschland bleibt das Gendenken an den NS-Tatort Riga verhalten,
muss eigens aufgesucht werden: auf den erwähnten „Stolpersteinen“ und auf
Tafeln am einstigen „Hannoverschen Bahnhof“ etwa. „Auch die Gedenktafel am
Neustädter Bahnhof in Dresden, von dem aus Deportationszüge nach Riga
fuhren, wird von PassantInnen kaum bemerkt“, sagt Franziska Jahn.
Bleibt die Frage nach den Tätern: Neben der Wehrmacht sind deutsche
Polizeibataillone sowie deutsche und lettische SS-Männer zu nennen – etwa
der lettische SS-Offizier Viktors Arajs. Dessen „Jagdkommando“ hatte schon
vor der deutschen Besatzung lettische Jüdinnen und Juden verfolgt und
ermordet. 1979 wurde er wegen gemeinschaftlichen Mordes an 13.000 Menschen
von einem Hamburger Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt, die er auch
absaß.
Der SS-Mann Friedrich Jeckeln wurde 1945 in Lettland gefangen genommen,
1946 von einem sowjetischen Militärtribunal wegen der Ermordung von über
47.000 Menschen zum Tode verurteilt und zusammen mit weiteren SS-Männern
und Wehrmachts-Offizieren öffentlich gehängt.
## Täter in Deutschland kaum belangt
Deutsche Gerichte urteilten milder. Rudolf Seck etwa, SS-Kommandant des
Lagers Jungfernhof, der Tausende Juden für die Erschießung im Wald von
Bikernieki „selektiert“ hatte, sagte, er habe nicht gewusst, was mit diesen
Menschen passieren sollte. Das Landgericht Hamburg verurteilte ihn dennoch
1951 zu lebenslanger Haft. 1964 kam er frei, als sei nichts geschehen.
Und doch bleiben Bilder und Geschichten. So präsentiert die Hamburger
Ausstellung zum Beispiel den Abschiedsbrief Erich Chotzens, der mit seiner
Frau freiwillig einen Deportationszug bestieg, um die Schwiegermutter zu
begleiten; alle starben. Anderswo die offizielle Ablehnung eines Visa- bzw.
Ausreiseantrags sowie ein Brief von Betroffenen, aus dem die Verzweiflung
über die nun unabwendbare Deportation spricht.
„Besonders berührt hat mich das Foto von Mosche und Josef Schultz – zweier
kleiner Jungen, die im Getto vor einer Mauer stehen“, sagt Franziska Jahn.
„Es ist eins der wenigen Fotos in der Ausstellung, das nicht die Täter
gemacht haben, sondern der Vater der Jungen“, erzählt Franziska Jahn.
„Familie Schultz wurde aus Köln erst ins Rigaer Getto deportiert, nach
dessen Auflösung ins KZ Riga-Kaiserwald. Dort war Herbert Schultz der
Häftlingsälteste, der auch die Kommunikation zwischen Tätern und Opfern
übernahm.
Privilegiert war er deshalb nicht: Als die SS 1944 eine „Kinderaktion“
anordnete, wurden auch Schultz’ Söhne aus dem Lager geholt und in Riga oder
den umliegenden Wäldern ermordet. Das erwähnte Foto zeigt die Jungen wenige
Monate vor ihrem Tod. Die Eltern haben überlebt und 1950 noch einen Sohn
bekommen, den heute in Antwerpen lebenden Bernt Schultz. Er hat mir einen
Scan des Fotos seiner Brüder zur Verfügung gestellt, die er nie kennen
gelernt hatte.“
22 Jan 2023
## LINKS
[1] /Der-Holocaust-in-der-Ukraine/!5626667
[2] /Hamburger-Ausstellung-ueber-vergessenen-Massenmord/!5360123
[3] /NS-Gedenkort-in-Hafen-City-teileroeffnet/!5327763
[4] /Gedenken-an-den-Holocaust/!5667479
[5] https://www.jci.co.il/
[6] /Archiv-Suche/!324064&s=vestermanis&SuchRahmen=Print/
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
NS-Verfolgte
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Ukraine
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