| # taz.de -- Porträt der Familie Le Pen: Wie der Vater, so die Marine | |
| > Die Tochter schloss ihren Vater Jean-Marie aus der Partei aus. Doch mit | |
| > ihrem fremdenfeindlichen Programm steht sie ihm in nichts nach. | |
| Bild: Marine Le Pen steht längst nicht mehr im Schatten ihres Vaters | |
| Am 2. November 1976 kam Marine Le Pen ein zweites Mal auf die Welt. An | |
| diesem Tag nämlich explodierte im 15. Arrondissement von Paris eine Bombe. | |
| Der Sprengsatz riss zwischen dem vierten und fünften Stock ein enormes Loch | |
| in die Fassade des Mehrfamilienhauses. Der von Unbekannten verübte Anschlag | |
| galt dem Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen, der in diesem Haus mit seiner | |
| Frau Pierrette und seinen drei Töchtern auf zwei Stockwerken wohnte. Die | |
| Jüngste der drei Mädchen, die achtjährige Marine, wurde von ihren älteren | |
| Schwestern Marie-Caroline und Yann unter Trümmern und Glassplittern | |
| unversehrt, aber schockiert entdeckt. | |
| Sie begann zu ahnen, [1][was es bedeutet, die Tochter von Jean-Marie Le Pen | |
| zu sein]. In ihrer Autobiografie „À contre flots“ erinnert sie sich an | |
| dieses Trauma: „Ich war acht, und ich begriff, dass mein Vater sterben | |
| könnte, und schlimmer noch, dass man ihn töten wollte.“ Seither reagiert | |
| Marine Le Pen wie eine zu Unrecht Verfolgte reflexartig auf Attacken und | |
| Verdächtigungen. Auch wenn gegen sie oder ihre Partei wegen Steuerbetrugs- | |
| oder Unterschlagungsaffären bei der Finanzierung ermittelt wird, wittert | |
| sie dahinter Komplotte und Intrigen des „Systems“. | |
| Marine Le Pen war gerade vier Jahre alt, als der „[2][Front national] pour | |
| l’unité française“ (so die ursprüngliche Bezeichnung) 1972 entstand. Als | |
| Vorbild diente das 1946 von Mussolini-Nostalgikern gegründete italienische | |
| „Movimento Sociale Italiano“. Das Ziel war es, die nach dem Krieg völlig | |
| zerstrittenen und nach den verlorenen Kolonialkriegen politisch isolierten | |
| Fraktionen der nationalistischen Rechten in Hinblick auf die kommenden | |
| Wahlen in einer einigermaßen respektablen Vitrine zu vereinen. | |
| ## Beginn des Familienepos | |
| Der damals 44 Jahre alte Jean-Marie Le Pen war die ideale Besetzung für die | |
| Rolle eines Vorsitzenden einer solchen Auffangstruktur für Alt- und | |
| Neofaschisten, reaktionären Monarchisten, religiösen Ultrakonservativen, | |
| ehemaligen Mitgliedern der Untergrundarmee OAS und anderen Rechtsradikalen. | |
| Er war 1956 auf der Liste der Kleinbürgerbewegung des Rechtspopulisten | |
| Pierre Poujade als jüngster Abgeordneter in die Nationalversammlung gewählt | |
| worden. Kurz darauf aber nahm er Urlaub, um als Nachrichtenoffizier einer | |
| Fallschirmspringereinheit am Kampf gegen die algerische | |
| Unabhängigkeitsbewegung teilzunehmen. Was seine dortige Tätigkeit betraf, | |
| nannte er 1962 in der Zeitung Combat ungeniert beim Namen: „Wir haben | |
| gefoltert, weil wir dies tun mussten.“ | |
| Nach seiner Rückkehr ins Parlament machte er [3][auch aus seinen | |
| antisemitischen Ressentiments kein Hehl]. Dem (jüdischen) Premierminister | |
| Pierre Mendès France sagte er ins Gesicht, er wecke bei ihm „eine geradezu | |
| physische patriotische Abscheu“. Dass dies kein Ausrutscher war, belegen | |
| seine unzähligen antijüdischen Provokationen oder Versuche zur | |
| Verharmlosung des Holocausts, von denen nur ein Teil gerichtlich verurteilt | |
| wurden, wie seine Bemerkung, die Gaskammern seien ein „Detail in der | |
| Geschichte des Zweiten Weltkriegs“. Das ist einer der wenigen Punkte, in | |
| dem sich die heutige Front-National-Chefin, seine Tochter Marine, von ihm | |
| distanziert hat. | |
| Wie wenig Berührungsängste mit dem Nationalsozialismus ihr Vater hatte, | |
| belegen nicht nur seine politischen Weggefährten und FN-Mitbegründer, unter | |
| denen sich mehrere Exmitglieder der Waffen-SS und viele Nostalgiker des | |
| Nazi-Kollaborationsregimes von Philippe Marschall Pétain befanden, sondern | |
| sein 1963 gegründeter Verlag Serp. Dieser vertrieb unter anderem | |
| Nazi-Marschlieder sowie Reden von Mussolini, Hitler und Pétain. Wegen einer | |
| von Serp vertriebenen Schallplatte mit Gesängen des Dritten Reichs wurde er | |
| 1968 für Verherrlichung von Kriegsverbrechen verurteilt. | |
| Vielleicht wäre Le Pen eine Randfigur und seine Partei unbedeutend | |
| geblieben, wenn er nicht eine geradezu verdächtig opportune Erbschaft | |
| gemacht hätte. Hubert Lambert, ein FN-Sympathisant der ersten Stunde und | |
| reicher Erbe eines Familienunternehmens, hat Le Pen ein Vermögen von | |
| schätzungsweise 30 Millionen Francs und sein Anwesen Montretout in | |
| Saint-Cloud mit Villa und Nebengebäuden hinterlassen. Damit waren die | |
| Partei und die Familie saniert. Die Villa, in der drei Töchter aufwuchsen, | |
| wurde das Hauptquartier des Familienunternehmens FN. In der heute etwas | |
| heruntergekommenen Villa wuchs auch Yanns Tochter, Marion Maréchal-Le Pen | |
| auf. Diese Nichte der heutigen Parteichefin ist derzeit eine der beiden | |
| Abgeordneten des FN und gilt bereits als mögliche Nachfolgerin in der | |
| Le-Pen-Dynastie. | |
| ## Marine hatte eigentlich keine Parteikarriere im Sinn | |
| 1974 kandidierte Le Pen erstmals bei Präsidentschaftswahlen und erreichte | |
| 0,74 Prozent. Schon bei den Europawahlen von 1984 schreckten die | |
| FN-Kandidaten mit fast 11 Prozent jedoch die anderen Parteien auf. Mit der | |
| zunehmenden Zahl der Arbeitslosen in Frankreich wuchs das Echo für die | |
| fremdenfeindlichen Kampagnen der extremen Rechten. | |
| Dank der vom Sozialisten François Mitterrand vorübergehend eingeführten | |
| Verhältniswahl zog Le Pen 1986 mit einem nationalen Wahlergebnis von 9,65 | |
| Prozent zusammen mit 34 Parteikollegen als Abgeordneter in das Parlament | |
| ein. Der Schock war so groß, dass danach wieder das traditionelle | |
| Mehrheitswahlrecht galt, das dem FN (wie anderen kleinen Parteien ohne | |
| Bündnispartner) bisher kaum Chancen auf Sitzgewinne ließ. | |
| Ein herber Schlag war für Jean-Marie Le Pen die Spaltung der Partei 1998 | |
| nach einer von der Nummer zwei des FN, Bruno Mégret, angeführten | |
| Palastrevolution. Bitter war es für Le Pen, dass sich auch seine älteste | |
| Tochter Marie-Caroline mit ihrem Partner der Meuterei anschloss. Sie hatte | |
| er immer als seine legitime Thronfolgerin betrachtet. | |
| Die Rolle der „Dauphine“ fiel nun Marine zu. Sie hatte eigentlich keine | |
| Parteikarriere im Sinn. Als Jurastudentin an der Pariser Fakultät Assas | |
| hatte sie sich stattdessen einen soliden Ruf als Partygängerin in den | |
| Nachtklubs der Hauptstadt erworben hatte. Für eine Le-Pen-Tochter ist die | |
| Politik Teil der Familie. An der Uni verkehrte sie mit den rechtsradikalen | |
| Aktivisten des GUD (Groupe union défense), für die ihr Vater | |
| vergleichsweise ein „gemäßigter“ Rechtsnationaler war. Diese Kontakte zu | |
| den Rechtsradikalen sind hinter der Fassade einer „salonfähigen“ Partei nie | |
| ganz abgerissen. | |
| ## Von der Party- zur Parteigängerin | |
| Als Le Pen 2010 mit 82 Jahren ankündigte, er wolle die Parteiführung | |
| abgeben, gab er seiner Jüngsten vertrauensvoll den Vorzug. Er dachte, dass | |
| er so im Hintergrund die Fäden ziehen könnte. Marine Le Pen wurde im Januar | |
| 2011 von einem Kongress zur Parteichefin erkoren. Wer hätte damals gedacht, | |
| dass sie ihrem Vater in den Rücken fallen würde: 2015 wurde der | |
| Parteigründer aber mit ihrer Zustimmung aus dem FN ausgeschlossen, nachdem | |
| er in einem Interview erneut das Pétain-Kollaborationsregime verherrlicht | |
| hatte. Am wenigsten überrascht von diesem politischen „Vatermord“ ist ihre | |
| Mutter Pierrette, die schon immer gesagt hatte, ihre Jüngste sei ein | |
| „absoluter Klon ihres Vaters“. | |
| Der „Menhir“ war für die ehrgeizige FN-Chefin ein Fossil geworden. Während | |
| Jean-Marie Le Pen revanchistisch in die Vergangenheit zurückblickte und | |
| sich mit seinen rassistischen Sprüchen in der Rolle des rechtsradikalen | |
| Bürgerschrecks gefiel, will sie mit einem unverändert fremdenfeindlichen | |
| und nationalistischen Programm an die Regierungsmacht. Er malte den Teufel | |
| an die Wand – sie dagegen will diesen Schwefelgeruch loswerden. Doch leicht | |
| lässt sich die Nabelschnur nicht kappen. Da selbst die ihrem Idol Wladimir | |
| Putin nahestehenden Banken in Russland ihr dieses Mal keinen Kredit für die | |
| Wahlkampagne gewährten, musste die FN-Kandidatin schließlich ihren Vater | |
| anpumpen, der ihr mit Genugtuung seinen „Kriegsschatz“ zur Verfügung | |
| stellt. | |
| Den meisten Franzosen und Französinnen kommt es heute vor, als sei ihnen | |
| die Familiensaga der Le Pens wie aus einer TV-Serie oder den Feuilletons | |
| der Regenbogenpresse über die Grimaldis in Monaco bekannt. Die ursprünglich | |
| starke Ablehnung der Hassideologie hat sich mit der Zeit abgenutzt. Rund | |
| ein Drittel der Wähler findet heute an den Vorschlägen des FN nichts | |
| Erschreckendes oder heißt sie gut. Die Leute nennen die FN-Kandidatin | |
| längst beim Vornamen, fast wie eine Bekannte. | |
| Das letzte Kapitel in dieser politischen Familiensaga, die Erlangung der | |
| Macht, bleibt für sie noch zu schreiben. Wenn es ihr im jetzigen Anlauf | |
| nicht gelingt, wartet mit ihrer Nichte Marion bereits die Nächste aus dem | |
| Clan, um die Dynastie fortzusetzen. Zum ersten Mal seit der Gründung des FN | |
| wird heute die Möglichkeit, dass diese rechtsradikale Bewegung in | |
| Frankreich an die Macht kommt, nicht mehr ganz ausgeschlossen. Noch scheint | |
| es aber, dass die Franzosen dieses Ende der Le-Pen-Story nicht mit diesem | |
| Ende in ihren Geschichtsbüchern lesen wollen. | |
| 22 Apr 2017 | |
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| Rudolf Balmer | |
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