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# taz.de -- Französischer Kandidat Mélenchon: Der Letzte seiner Art
> Der linke Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon will Frankreich
> komplett umkrempeln. Er hat sich deshalb ziemlich gewandelt.
Bild: In den Umfragen ging es zuletzt nach oben für Jean-Luc Melenchon
Paris Libération | Sollte Jean-Luc Mélenchon die Wahl gewinnen, wäre er der
achte Präsident der Fünften Republik – und der letzte. Denn der 65-Jährige
will eine verfassunggebende Versammlung einberufen, um eine sechste
Republik einzuführen. Das Präsidentenamt wäre dann Geschichte.
Mélenchon hat in Frankreich viele Fans. Wenn er spricht, sind die Hallen
voll. Als exzellenter Redner erreichte er die Massen auch unter freiem
Himmel, in Paris, Marseille, Toulouse. Und er machte etwas, was bisher noch
niemand im französischen Wahlkampf gemacht hat: Er trat an mehreren Orten
gleichzeitig auf. Die moderne Technik kam ihm da zu Hilfe. Während er in
einer Stadt eine Rede hielt, konnten die Zuschauer in anderen Städten sein
virtuelles Double bewundern.
Auch in den sozialen Medien war er sehr präsent und seine sehr guten
Auftritte bei den TV-Debatten taten das Übrige: Nie waren seine
Umfragewerte besser als jetzt, kurz vor dem ersten Wahlgang: um die 19
Prozent. Damit ist Mélenchon den beiden Favoriten – dem Mann der Mitte,
Emmanuel Macron, und der Kandidatin der extremen Rechten, Marine Le Pen –
dicht auf den Fersen.
Schon einmal schien er gute Aussichten zu haben, die Endrunde der
Präsidentschaftswahl zu erreichen. 2012 war das, eine Woche vor dem ersten
Wahlgang lag er in den Umfragen bei 17 Prozent. Nach einem halbgaren
Wahlkampfendspurt landete er dann aber mit bitteren 11 Prozent der Stimmen
nur auf Platz 4.
Fünf Jahre später ist die Situation eine völlig andere. Mélenchons Sprecher
Alexis Corbière beschreibt das so: „Weite Teile der linken Wählerschaft
schwankten damals zwischen uns und François Hollande. Am Ende hat sich die
Mehrheit aus wahltaktischen Gründen für Hollande entschieden, um Nicolas
Sarkozy zu verhindern.“ Dieses Mal ist es Mélenchon, der von der Taktik der
Wähler profitiert – auf Kosten des Sozialisten Benoît Hamon.
## „Das unbeugsame Frankreich“
Die Sozialisten waren Mélenchons politische Heimat, lange saß er für sie im
Senat, und unter Premier Lionel Jospin war er kurze Zeit auch Minister, von
2000 bis 2002. Wenige Jahre später kehrte er der Partei den Rücken und
gründete 2008 die „Parti de Gauche“ nach dem Vorbild der deutschen
Linkspartei; mit Oskar Lafontaine ist Mélenchon befreundet. Um 2009 bei der
Europawahl anzutreten, bildete die neue Partei eine Allianz mit den
Kommunisten, die „Linksfront“. Mélenchon zog ins Europaparlament ein.
Dann hat er alles über den Haufen geworfen, um eine neue „Bewegung“ zu
gründen, dieses Mal der spanischen Podemos nachempfunden: „La France
insoumise“, „das unbeugsame Frankreich“. Sie schwenken nun keine roten
Flaggen mehr, sie singen auch nicht mehr die Internationale.
Entscheidender sind die Veränderungen, die man nicht auf den ersten Blick
sieht. Mélenchon verlässt sich nur noch auf wenige Vertraute. Der
altgedienten Schwergewichte der radikalen Linken hat er sich entledigt,
weil sie ihn nur behinderten. Auch wenn die Mitglieder sich angeblich
online beteiligen können, entscheiden Mélenchon und sein engstes Umfeld in
Wahrheit jetzt alles allein.
Auf vielen Ebenen versucht Mélenchon nun, die Fehler zu korrigieren, die
ihm vor fünf Jahren die nötigen Stimmen gekostet haben. Er hat seine
Wutausbrüche und seine Müdigkeit besser im Griff. Außerdem war es für ihn
wichtig, aus der Schublade „extreme Linke“ herauszukommen.
2012 hatte er noch ein Loblied auf die Mittelmeerregion und die Chancen von
Multikulti gesungen. Das hatte ihn Stimmen gekostet, weil die Wähler, die
eine radikale Position wählen wollten, Le Pen vorzogen. Seitdem spricht
Mélenchon nun anders über die Einwanderungsfrage, mehrdeutiger. Mitunter
klingt er dabei wie ein Rechtsextremer.
Im Juli 2016 behauptete er im Europaparlament, Arbeitsmigranten würden „dem
Arbeiter vor Ort das Brot wegnehmen“. Angela Merkel hat er, der in Tanger
in Marokko geboren wurde, dafür kritisiert, dass sie die Grenzen für
syrische Flüchtlinge geöffnet hat. Er hat sich gegen ein Bleiberecht von
Einwanderern ausgesprochen und schlägt als Lösung der Flüchtlingskrise
schlicht das „Ende des Krieges in Syrien“ vor. Er begrüßt das Eingreifen
der russischen Armee, ohne die Kriegsverbrechen in Aleppo anzuprangern oder
Baschar al-Assad für das Massaker in Chan Scheichun zu verurteilen.
Aus seiner Haltung zu Europa macht er inzwischen keinen Hehl mehr. Offen
spricht er vom Frexit, einem EU-Ausstieg Frankreichs „zusammen mit allen
anderen Ländern, die das wollen“, falls Deutschland sich weigert, die
Europäischen Verträge zu überarbeiten. Er will vor allem, dass die
Europäische Zentralbank ihre Unabhängigkeit verliert und Staatsschulden
komplett aufkaufen darf.
Indem er „die Kasten“ und „die Oligarchie“ anklagt, spricht Mélenchon
verschiedene Wählerschaften an. Nicht nur die Linken. In den vergangenen
Wochen hat der ehemalige Sozialist Mélenchon oft François Mitterrand
zitiert, den er vor dessen Tod häufig traf, und auch den Gründungsvater der
Fünften Republik, Charles de Gaulle. In dessen Tradition will Mélenchon den
französischen Universalismus verkörpern. Diese Methode funktioniert.
Zuletzt wandte sich Mélenchon dem Teil der Rechten zu, der von den
Skandalen um den konservativen Kandidaten François Fillon verunsichert
worden war. Er präsentiert sich als Intellektueller und zugleich als Mann
der Tat, der nichts auf dem Kerbholz hat.
Bleibt nur die Frage, ob die Wähler das Risiko eingehen, einen Mann zu
wählen, der wie einst Robespierre eine „Revolution“ ankündigt. Eine
bürgerliche Revolution zwar, mit Wahlzetteln statt Waffen. Eine Revolution
aber, die einen echten Bruch in der Geschichte Frankreichs verspricht.
22 Apr 2017
## AUTOREN
Lilian Alemagna
## TAGS
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Schwerpunkt Emmanuel Macron
Podemos
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Syrien
Rechter Populismus
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