| # taz.de -- Kolumne So nicht: Ein erotisches Europa für alle | |
| > In der Politik darf es nicht nur um Gut gegen Böse oder um | |
| > Neoliberalismus gegen Faschismus gehen – eine dritte Option ist immer | |
| > gut. | |
| Bild: „Gehörig angefeuchtet“: Philosophen bei Platons Gastmahl, Gemälde v… | |
| Eins von den 5 Dingen, die ich an der Uni gelesen und mir gemerkt hab, ist | |
| das Saufgelage von Platon, besser bekannt als Gastmahl oder Symposion. Der | |
| Grund für den bleibenden Eindruck ist sicher, dass ich fortan den Eindruck | |
| hatte, wer mit und über Leidenschaft diskutiert, ist nie ganz nüchtern. Es | |
| beschwingt das Rumspinnen und beflügelt die Vorstellungskraft ungemein, | |
| wenn ein bisschen Ausschweifung herrscht. | |
| Im Gastmahl hängen ein paar Philosophen, Künstler und Redenschreiber in den | |
| Seilen, weil sie noch verkatert vom gestrigen Zechen – oder wie es | |
| Aristophanes formuliert, „gehörig angefeuchtet“ – sind. Das hält sie ab… | |
| trotzdem nicht davon ab, sich erneut einschenken zu lassen und ausgerechnet | |
| in diesem Zustand die Leidenschaft, den Eros, zum Gegenstand ihrer | |
| rauschhaften Unterhaltung zu wählen: Warum ausgerechnet dieser Gott Eros so | |
| ein Wichtigtuer ist, wie er wurde, was er ist, warum sich ständig alles um | |
| ihn dreht, wo man ihn überall trifft und verpasst und warum er der Beste | |
| ist, den wir haben. Auch in der Politik. | |
| Dabei lässt Platon den Aristophanes über die Gründe des Umarmens, | |
| Vereinigens und Verlangens erzählen: Der Mensch sei mal ein Kugelwesen mit | |
| vier Beinen gewesen, das von Zeus zweigeteilt wurde und das seitdem auf der | |
| Suche nach seiner bessere Hälfte ist, wofür es Geschlechtsteile erhielt. | |
| Wie viel Liter Wein der Gute da schon intus hatte, überliefert Platon | |
| leider nicht en detail. | |
| Am Sonntag war wieder Leidenschaft: Präsidentschaftswahlen in Frankreich. | |
| Hocherotisch. Wenigstens mussten wir uns nicht gleich wieder anhören, dass | |
| das Land geteilt ist, die Gesellschaft gespalten, die Nation d’amour | |
| gesplittet. Von Fifty-fifty-Franzosen kann nämlich nicht die Rede sein. | |
| Wenn schon, dann müsste von der geviertelten Nation gesprochen werden. Nach | |
| dem Höhepunkt, der Hochrechnung, hörten wir dann doch wieder vom | |
| bevorstehenden Kampf Gut gegen Böse, Europa gegen Antieuropäer, | |
| Neoliberalismus gegen Faschismus, Protektionismus gegen Marktwirtschaft, | |
| Erneuerer gegen das Establishment. | |
| ## Unheimliche Vorstellung | |
| Es liegt in der Natur der Sache eines Duells, dass es zu einem auf Leben | |
| und Tod gemacht wird. Ob sich das für die französische Präsidentschaftswahl | |
| so einfach darstellen lässt, lese man bei den Experten nach, die sich in | |
| dieser Hinsicht mehr als uneinig sind. Dass der linke Kandidat Mélenchon es | |
| vorgezogen hat, lieber keine Empfehlung für die Stichwahl abzugeben, fanden | |
| viele bäh, igitt, unsympathisch. | |
| Was aber gehörig nervt, ist, dass alle politischen Fragen an der Frage, ob | |
| und wie das den Rechtsextremen schadet, geführt werden. Ob ein neoliberales | |
| Frankreich sich mit Europa harmonisch vereinigt, ohne dass sich die | |
| Sozialpolitik verändert? Nicht, dass mir Mélenchon ob seiner | |
| Volkssturmrhetorik sonderlich sympathisch wäre. Aber die Vorstellung von | |
| Europa, das keine Parteien, sondern nur noch Bewegungen kennt, ist mir | |
| unheimlich; eine dritte Option zu haben kann nie schaden. Was Aristophanes | |
| in seinem Kugelwesenmythos vernachlässigte: Vereinigung geht auch zu dritt. | |
| Auf ein erotisches Europa für alle! Prost. | |
| 25 Apr 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Doris Akrap | |
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